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Neues Feindbild: "Twitter-Tussi"

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Der Medien-Branchendienst Meedia schickt täglich dutzende Mails an Menschen, die „was mit Medien machen“. Darin: Insider-Gesabbel, Einschaltquoten und Fernseh-Tipps für alle, die behaupten, aus beruflichen Gründen den Fernseher einzuschalten.

Ab und zu berichten die Meedia-Autoren aber auch über vermeintliche oder echte Phänomene aus den Weiten der Medien-Welt. So auch letzte Woche, als die US-Wahlberichterstattung endlich überstanden war und die Fernsehzuschauer ganz erschöpft waren vor lauter Hochrechnungen, Live-Schaltungen und niemals funktionierenden Touchscreens in den Wahlstudios der Sender.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Erklärt dem Zuschauer, was "gerade so im Netz abgeht": Die sogenannte "Twitter-Tussi"

Angeteasert mit den Worten „Wer braucht schon die Frauen-Quote? Wer was werden will, wird Twitter-Tussi“ folgt ein Text über den neuen Trend-Beruf „Social Media Redakteur im Studio“, in dem Stefan Winterbauer über Online-Redakteurinnen lästert, die im Fernsehen das Internet vorlesen. Der Job der „Twitter-Tussi“ sei wie geschaffen für junge Damen, „die (...) halbwegs gescheit aussehen und „was mit Medien“ machen wollen.“

Unter dem Text mit dem sexistischen Grundton und seiner lahme Alliteration sammelten sich schnell Kommentare, die vom Lob auf die "schöne Satire" über "Wäre dieser Artikel auch entstanden, wenn das alles Männer gewesen wären?" bis hin zur Beschwerde über "die unsägliche Art und Weise", in der Twitter im Fernsehen eingebunden werde, reichten. Auf Twitter selbst bekam Winterbauer eine Menge Zuspruch von Twitterern, die seinen Text lustig fanden, doch auch hier wurde der Sexismus-Vorwurf laut. „Wow. @meedia so ungeschminkt sexistisch, dass es über Niveau und Intellekt der Redaktion keine Zweifel lässt", schreibt Teresa Bücker, "übel, unsachlich, sexistisch und schlecht recherchiert", twittert Anja Windmüller.

Darüber hinaus erregte der Beitrag vor allem unter Online-Redakteuren und betroffenen (vor allem männlichen) Im-Fernsehen-das-Internet-Erklärern Aufmerksamkeit. Zum Beispiel die von Titus Gast, der auf seinem Blog unter der Überschrift „Ja, ich bin Twitter-Tussi. Na und?" erklärt, warum es den Part des Menschen, der aus dem Internet vorliest, eigentlich gibt: Weil das Internet „in den klassischen Medien kein selbstverständlicher Kommunikationsraum" sei. Noch nicht. Denn das Ziel der „Twitter-Tussis", so Gast, sei eigentlich ihre Abschaffung. Und bis dahin könne man sich auch ruhig ein bisschen darüber lustig machen. Frederic Huwendiek, der sich selbst "Twitter-Tussi fürs Zweite" nennt, argumentiert ähnlich wie Gast, dass das Internet weiterhin erklärungsbedürftig sei. WDR-Online Redakteur Dennis Horn hingegen kritisiert zwar den sexistischen Ton des Textes („Natürlich ignoriert Winterbauer, dass es auch eine amtliche Menge männlicher Twitter-Tussis gibt, sozusagen iPad-Idioten"), bittet aber die Kollegen auch, mit der Internet-Vorleserei aufzuhören. An der seien allerdings nicht die Damen und Herren Schuld, die dann tatsächlich am Computer oder vor der Twitter-Wand stehen, sondern die Redaktionen der Sendungen. „Vielleicht liegt hier das eigentliche Problem: Redakteure, die noch nie mit Facebook und Twitter gearbeitet haben", schreibt Horn.

Noch vor seinem Blogpost hatte Horn sich bedauernd gezeigt: „Schade: Der furchtbare @meedia-Twitter-Tussi-Artikel verhindert, dass man einmal ernsthaft über Internet-Vorleser im Fernsehen diskutiert", twitterte er. Und dann hat sich trotz des gehässigen Ursprungsartikels diese erstaunlich sachliche und interessante Diskussion (plus eine nötige Portion Kritik am Sexismus!) darüber entwickelte, ob es den jungen Menschen im Nachrichtenstudio braucht, der den Fernsehzuschauern erzählt, was parallel zum Echtzeitgeschehen „gerade im Netz so abgeht", oder ob das Nacherzählen des Internets nicht viel mehr eine der großen Absurdität unserer Zeit ist. Die können wohl doch mehr als nur Tweets vorlesen, diese Menschen im Netz.


Text: christina-waechter - Foto: dpa

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