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Beim Karneval habe ich gemerkt, wie anders Feiern als Mann ist

Illustration: Federico Delfrati

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Feiern zu gehen, hieß für mich als Frau immer, Spaß zu haben – und gleichzeitig mit vielem rechnen zu müssen: Hinterherpfeifen, ekligen Anmachen, fremden Händen auf meinem Hintern oder manchmal sogar im Schritt. Wenn ich mich wehrte, wurde ich ausgelacht, als verklemmt bezeichnet oder weiter begrapscht: „Da stehst du doch drauf.“ Viele Ausgeh-Nächte haben mich sehr wütend auf viele Männer gemacht. Und dann ist Karneval und es kommt der Abend, an dem ich selbst als Mann feiern gehe. An dem ich die Kleidung meines Großvaters trage, mir einen Bart und buschige Augenbrauen schminke, eine Charlie-Chaplin-Maske und einen Hut aufziehe. Meine langen Haare binde ich zurück und verstecke sie darunter. 

Als ich in diesem Aufzug durch Kölns Straßen laufe, guckt mich kaum jemand an, geschweige denn mir hinterher. Die Blicke vieler Männer heften sich an Frauen in Hexen- oder Krankenschwester-Kostümen. Manche von ihnen bekommen das anscheinend gar nicht mit, sind vertieft in Gespräche mit ihren Freundinnen. Andere ziehen ihre Röcke weiter nach unten. Und ich frage mich wie so oft: Können Frauen sich nicht weiblich anziehen, ohne begafft zu werden? Das einzige Kompliment, das mir währenddessen zugerufen wird, ist: „Guter Charlie, Dude.“ Ich freue mich darüber. Denn offenbar bin ich so gut verkleidet, dass ich jetzt genau das bin: ein Dude. 

Niemand quetscht sich an mir vorbei und lässt seine Hand dabei auf meiner Brust liegen

Meine Freund*innen, einige neue Bekannte und ich gehen tanzen, in einer kleinen engen Bar, die für diesen Abend zur Tanzfläche umfunktioniert worden ist. Es ist heiß, ich ziehe meine Maske ab, mein geschminkter Bart muss für sich stehen. Obwohl sich alle dicht an dicht drängen, alle betrunken sind, einige Pärchen schon wild knutschend in Ecken stehen, werde ich kein einziges Mal bedrängt. Niemand quetscht sich an mir vorbei und lässt seine Hand dabei zu lange auf meiner Brust liegen. Niemand beugt sich an mein Ohr und fragt mich, ob ich öfter hier sei. Während meine Freundin, verkleidet als niedliche Giraffe, immer wieder von fremden Typen angetanzt wird, tanze ich mit mir selbst. Und liebe es.

Ich habe grundsätzlich nichts dagegen, dass beim Feiern geflirtet wird. Ich flirte auch selbst oft in Bars oder Clubs. Wo sonst sollte es passieren, wenn nicht dort? Es gibt aber einen Unterschied zwischen selbstbestimmtem Flirten und hässlichen Anmachen beziehungsweise sexuellen Übergriffen. Und in meinem Leben musste ich eben oft feststellen, dass viele Männer und Frauen diesen Unterschied nicht kennen. 

Eines fällt mir an diesem Abend besonders auf: Sogar die Hetero-Männer, die sich länger mit mir unterhalten, also an meiner Stimme und aus meinen Erzählungen hören müssten, dass ich eine Frau bin, haben offenbar nullkommanull Interesse an mir. Der Bart und mein Outfit scheinen sie so sehr zu verunsichern, dass sie gar nicht erst wissen wollen, wer darunter steckt. Ich meine damit nicht nur sexuelles Interesse. Sie interessiert mein Job nicht, meine Hobbys, mein Humor. Sie sprechen nur gezwungenermaßen mit mir, weil sie sich gerade an meinen Freundinnen abarbeiten, die mich aber weiter ins Gespräch inkludieren wollen.

An der Bar bietet mir niemand Schnaps an, vor der Tür fragt mich niemand nach einer Zigarette geschweige denn nach einem Gespräch. All die anderen Menschen in der Bar, ob sie nun als King Kong, Lady Gaga oder Dinosaurier verkleidet sind, kommen gut beieinander an. Nur ich werde weitgehend übersehen, wie mir scheint. Entweder haben sie alle wahnsinnigen Respekt davor, dass ich mich in meinem Kostüm keinem Geschlecht zuordnen lasse. Oder ich erlebe gerade, wie es ist als sehr kleiner Mann auszugehen: Niemand beachtet dich.

Es beunruhigt mich, dass Frauen offenbar vor allem dann ihre Ruhe haben, wenn sie so tun, als seien sie keine

Ich empfinde es als befreiend, heute so übersehen zu werden. Es beunruhigt mich aber auch, dass Frauen offenbar vor allem dann ihre Ruhe haben, wenn sie so tun, als seien sie keine. Und auch, dass ich gerade etwas an meinem Aussehen und Verhalten ändere, um in Frieden feiern zu gehen. Obwohl die Verantwortung, etwas zu ändern, ja eigentlich nicht bei den belästigten Frauen sondern bei den belästigenden Männern läge. Denn eigentlich ist meine oder die Kleidung anderer Frauen ja nicht das Problem. Das Problem sind  diejenigen Männer, die sich nicht kontrollieren können oder wollen, die oft nicht an Einverständnis interessiert sind. Nun habe ich es aber nun mal ausprobiert, und der erwartete Effekt ist wirklich da: Ich werde an diesem Abend automatisch zur Danebensteherin, während meine Freundinnen flirten. Aber liegt es wirklich nur an meiner Verkleidung? 

Am nächsten Tag will ich das überprüfen. Vielleicht, so denke ich, bilde ich mir das alles nur ein. Ich ziehe wieder los, mit den gleichen Freund*innen in die gleiche Ecke von Köln. Aber diesmal bin ich kein Mann, ich gehe bewusst als Minnie-Maus. An diesem Abend habe ich ungebete Hände an meinem Hintern und „Komplimente“ im Ohr, draußen werden mir Zigaretten angeboten. Ich werde am Ende des Abends von einem Mann an die Wand gepresst und geküsst, obwohl ich ihn bitte, aufzuhören. Der Mann ist der Bruder einer Freundin – und war am Abend vorher bereits mit Feiern gewesen. Als Charlie, so sagte er kurz zuvor, sei ich ihm ja noch gar nicht richtig aufgefallen.  

* Unsere Autorin möchte nicht, dass Menschen ihren Namen googlen und sich von da an Gedanken über fremde Hände in ihrem Schritt machen. Daher will sie hier anonym bleiben, ihr Name ist der Redaktion aber bekannt.

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