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Das Coronavirus zeigt mir, wie privilegiert ich bin

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Das erste Wochenende in Corona-Selbstisolation habe ich regelrecht genossen. Denn für mich hieß die Aufforderung zum Drinbleiben im Wesentlichen: Zweieinhalb Tage lang kochen, Katzenvideos gucken, ausruhen. Dass der Grund für meinen freiwilligen Hausarrest alles andere als behaglich ist, war mir natürlich jederzeit bewusst. Aber zu spüren bekommen, habe ich ihn bislang nicht – und das zeigt, wie privilegiert ich bin. Und wie viele Vorteile mir das auch in Krisenzeiten bringt.

Ich bin jung, gesund, habe weder besonders infektionsgefährdete Menschen in meinem Umfeld, noch ein Kind, das ich jetzt den ganzen Tag betreuen muss. Ausgerechnet mein Beruf – Nachrichtenjournalist*in mit Schwerpunkt Ausland – ist momentan einer der krisensichersten. Meine täglichen Aufgaben kann ich mit geringen Einschränkungen von zu Hause aus erledigen und muss anders als selbstständige Künstler*innen oder Arbeiter*innen keine (immunschwächenden!) Existenzängste haben.

Wie sich das Virus namens SARS-CoV-2 währenddessen rasant ausbreitet und die Welt radikal verändert, kann ich in der Großstadt dank „fließend Internet“ in Echtzeit verfolgen: Die Infektionsrate steigt weltweit, Deutschland schließt seine Grenzen, die EU und der Schengenraum machen dicht, einige Staaten inklusive Deutschland haben im Kampf gegen die Ansteckung die Bewegungsfreiheit eingeschränkt, teils sogar Ausgangssperren verhängt. Sollte auch in Deutschland der öffentliche Nahverkehr eingestellt werden, wäre ich zwar fit genug für längere Fahrradtouren. Trotzdem trifft mich die zeitweise begrenzte Reisefreiheit von allen Einschränkungen in der Coronakrise noch am härtesten. Und allein das ist ein unermessliches Privileg: Dass mir nichts mehr zusetzt, als auf etwas verzichten zu müssen, für das ich sowieso selbst nie etwas geleistet hatte, von dem ich aber mein Leben lang profitiert habe.

Reisen ins Ausland zu Recherchen, Praktika, Sprachkursen oder Urlauben waren immer ein selbstverständlicher Teil meines Lebens. Jetzt hat meine Welt plötzlich Grenzen. Der deutsche Pass ist einer der stärksten der Welt. Jetzt gerade öffnet er nicht mehr viele Türen in andere Länder, aber er bringt gestrandete Deutsche per „Luftbrücke“ zumindest garantiert nach Hause – in ein Gesundheitssystem und eine Volkswirtschaft, in der sie wenig zu befürchten haben.

In Deutschland kann ich mir so oft die Hände waschen, wie ich will

Andernorts müssen die Bürger*innen sich existenzielle Sorgen machen – selbst in den ebenfalls reichen Industriestaaten der USA, weil ihr Präsident die Bedrohung durch das Coronavirus herunterspielt und so wertvolle Zeit vergeudet. Wenn ich den Bildern glauben kann, die derzeit im Netz kursieren, bilden sich dort schon Schlangen vor Waffengeschäften. Ich selbst muss momentan lediglich informiert bleiben, mir oft die Hände waschen und mein Bedürfnis nach Vorratskäufen unterdrücken – denn die könnte ich mir sogar leisten. Das deutsche Gesundheitssystem kommt während der Corona-Pandemie an seine Auslastungsgrenze – aber weil ich eine bezahlbare Krankenversicherung habe, muss ich grundsätzlich nicht zögern, mich im Ernstfall ärztlich behandeln zu lassen. An den Kauf einer Schusswaffe verschwende ich übrigens auch keinen Gedanken.

Vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus schützen mich in erster Linie also zwei Dinge: Der Ort, an dem ich lebe – und mein Wohlstand. Zugang zu sauberem Wasser ist seit 2010 ein von der UN verbrieftes Menschenrecht, viele Einwohner*innen Südafrikas haben keinen. „Wenn schmutzige Hände zur Verbreitung des Coronavirus beitragen, werden wir es wohl alle bekommen“, waren die lakonischen Worte einer Township-Bewohnerin bei Kapstadt, weil es dort kein fließendes Wasser gibt.

Ein Kolumnist des Guardian brachte es noch drastischer auf den Punkt: „Inequality kills“ – und das gilt bereits in Großbritannien, wo Menschen mit niedrigem Einkommen eine geringere Lebenserwartung haben.

In Deutschland kann ich mir so oft die Hände waschen, wie ich will und mir dank meines Einkommens Pflegeprodukte und Lebensmittel leisten – sogar, wenn sie plötzlich teurer würden. Wäre ich wie vier Millionen Menschen auf Hartz IV angewiesen, müsste ich irgendwann Waschen gegen Essen abwägen.

Alle Faktoren, mit denen die Corona-Pandemie uns derzeit unsere Verwundbarkeit vor Augen führt, treffen mich zuletzt. Das ist ein unermessliches Privileg in Zeiten einer globalen gesundheitlichen Bedrohung.

Trotzdem muss ich bedenken: Auch was mich nicht betrifft, betrifft mich. Denn jede*r von uns kann – durch scheinbar alltägliche und selbstverständliche Verhaltensweisen – zum Überträger oder zur Überträgerin des Virus werden und bringt damit alle um sich herum in Gefahr. Letztlich schützt mich vor dem Virus nur eines: die Rücksicht der anderen. Und Rücksicht bin ich auch allen anderen schuldig, die weniger Glück haben als ich. Als überprivilegierter Mensch heißt das: Solidarisch sein. Hilfe anbieten. Und verzichten. Auf alles, was andere nötiger brauchen als ich. Es wäre nur fair, mich auch nach der Pandemie viel öfter selbst einzuschränken.

Alle Meldungen zur aktuellen Coronavirus-Lage findet ihr zweimal täglich im SZ Espresso-Newsletter.

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