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„Nur, weil ein Mann sagt: ‚Ich bin seriöser Journalist‘, müsst ihr ihm nicht glauben“

Foto: Julia von der Heide

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Fast zehn Minuten lang arbeitet sich Sophie Passmann auf ihrem Instagram-Account in einem Video an Ken Jebsen ab. Man sieht ihr die Wut über dessen Aussagen an. Am Ende sagt sie: „Ich bin einfach erschöpft jetzt.“ Jebsen, ehemals Journalist beim Radio Berlin Brandenburg, behauptet zur Zeit in Videos, dass Bill Gates und seine Frau mächtiger als „Roosevelt, Churchill, Stalin und Hitler zusammen“ seien, dass die deutsche Bundesregierung sie dabei unterstützen würde, dass allen Menschen Mikrochips eingepflanzt würden und die Bevölkerung vorsätzlich dezimiert werden solle. Mehr als drei Millionen Menschen haben eines seiner jüngsten Videos angeschaut. (Hier ein Link zu einem Faktencheck des Ken-Jebsen-Videos.) Grund genug für die Autorin Sophie Passmann, diesen Verschwörungstheorien etwas entgegenzusetzen. 

jetzt: Sophie, in deinem Video regst du dich fast zehn Minuten lang über Ken Jebsen auf. Warum hast du das Video aufgenommen?

Sophie Passmann: Weil mich diese Attitüde in diesen Verschwörungstheorie-Videos in den letzten Tagen und Wochen einfach sehr aggressiv gemacht hat, nicht nur die von Jebsen. Irgendwie trifft das bei mir einen Nerv – diese Arroganz, zu glauben, dass alle Menschen, alle Experten und Expertinnen Unrecht hätten, nur man selbst und drei andere Leute auf der Welt hätten die Wahrheit erkannt. Ich habe dann aber trotzdem einen halben Tag lang darüber nachgedacht, ob ich das Video wirklich aufnehmen soll.

Warum?

Mir war klar, dass ich mich mit einer ganz eigenartigen Blase im Internet anlege. Dann wurde ich aber vormittags im Supermarkt wegen meiner Mund-Nasen-Schutzmaske angepöbelt, jemand rief mir zu: „Die Regierung lügt.“ Ich habe das als Zeichen genommen, dass ich dieses Video vielleicht tatsächlich aufnehmen sollte.

„Bei Leuten, die noch zweifeln, ist es wahnsinnig wichtig, zu diskutieren“

Wie bist du denn überhaupt auf Jebsens Video gekommen? 

Mich hatten wirklich viele Follower und Followerinnen auf Instagram angeschrieben, ob ich nicht über dieses Video sprechen kann. Anders hätte ich es wohl nie gesehen. Auf Instagram folgen mir viele junge Menschen, die nicht aus der Medienblase kommen. Denen wollte ich einfach sagen: Nur, weil ein Mann sagt: „Ich bin seriöser Journalist“, müsst ihr ihm nicht glauben.

Wenn man Videos von Verschwörungstheoretiker*innen geschickt bekommt, ist es oft sehr arbeitsintensiv, das Gegenteil zu beweisen. Denn die Macher*innen argumentieren häufig mit einer Mischung aus Lügen, Halbwahrheiten und tatsächlichen Fakten. Hattest du im Hinterkopf, dass man dein Video als Antwort schicken kann, wenn einem das Jebsen-Video geschickt wird?

Überhaupt nicht. Für mich war der Gedanke, dass das viral geht, vollkommen abstrus. Bei dem Video dachte ich wirklich nicht, dass das irgendwie rumgeschickt wird. Wenn es jetzt jemand für den Zweck benutzt, freue ich mich natürlich, aber ob man überhaupt reagieren sollte, wenn einem ein Jebsen-Video zugeschickt wird, das ist eine andere Frage.

Meinst du nicht, dass man versuchen sollte, Verwandte davor zu bewahren, in irgendwelche kruden Kreise abzurutschen?

Bei Leuten, die noch zweifeln, ist es wahnsinnig wichtig, zu diskutieren, gerade wenn es Familie ist. Aber wenn jemand richtig tief in diesem Sumpf aus Verschwörungstheorien ist, in dem geglaubt wird, dass nur dieser erlauchte Kreis aus ihnen selbst und Detlef D! Soost diese Verschwörung durchblickt hat, finde ich nicht, dass Blutsverwandtschaft dazu verpflichtet, zu diskutieren. Ich halte es für eine massive Zeitverschwendung. Ich kenne keine überzeugten Verschwörungstheoretiker und -theoretikerinnen, die daraus wieder zurückgekommen sind. Die radikalisieren sich eigentlich immer weiter in ihrer Doofheit.

„Fast alle von uns sind anfällig für Verschwörungstheorien“

Hast du denn nicht auch mal die Erfahrung gemacht, dass du irgendein Verschwörungstheorien-Video angeschaut hast und erstmal gedacht hast „Woah, krass. Das wusste ich gar nicht, was da abgeht“ – und dich später aber ertappt hast, dass du da auf irgendeine Masche reingefallen bist?

In Freiburg, wo ich studiert habe, gibt es das einzige Parapsychologische Institut in Deutschland. Das beschäftigt sich mit Übernatürlichkeit und unter anderem auch Verschwörungstheorien. Deswegen konnte ich mich ein Jahr an der Uni auch damit beschäftigen. Da habe ich wissenschaftliche Texte gelesen, Studien von kritischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen gelesen, die solche Theorien widerlegt haben und habe trotzdem immer wieder gemerkt, dass ich gedacht habe: „Aber was, wenn diese Theorie doch stimmt?!” Fast alle von uns sind anfällig für Verschwörungstheorien, es hat etwas Faszinierendes.

Dann musst du doch Verständnis haben, für die Menschen, die auf solche Videos reinfallen.

Ich habe ja auch Verständnis für die Anfälligkeit. Aber ich weiß auch, dass man da richtig schnell wieder rauskommt, wenn man bereit ist, nicht nur die Leute zu lesen oder anzuschauen, die genau das schreiben, was man lesen möchte.

Was macht Ken Jebsen denn eigentlich richtig, damit sich seine Videos manchmal so weit verbreiten?

Ken Jebsen ist sehr gut darin, komplexes Denken zu imitieren. Doch je mehr man sich davon anschaut, desto mehr sieht man: Er ist arrogant und wirr. Entweder, er nimmt sich wirklich ab, dass er als einer der Ersten verstanden hat, was alle anderen nicht verstanden haben. Oder er ist böswillig und weiß, dass, wenn man beim rbb rausfliegt, weil man als Journalist nicht ordentlich gearbeitet hat, man mit so einem Gelaber aber trotzdem noch irgendwelchen Jürgens und Monikas, die einen Faible für Verschwörungstheorien haben, PayPal-Geld aus der Tasche ziehen kann. Er ist entweder verrückt oder bösartig oder beides. Und das merkt man seiner Argumentation an. Er arbeitet unjournalistisch, macht irgendwelche unlogischen Schleifen, vermischt Kommentar, Analyse und Bericht. Hauptsache es klickt ordentlich.

In den Kommentaren unter deinem Video wurde dir auch vorgeworfen, dass du Fakten und Meinungen vermischst, dass du ein größeres Ziel verfolgen würdest.

Ja, ich geb es zu: Ich bekomme seit drei Jahren einen monatlichen Scheck von der Bill and Melinda Gates Foundation. Und ich habe mich damals bereit erklärt, für sie Halbwahrheiten zu verbreiten. Alles was ich sage, kommt eigentlich als direkte Anweisung von Microsoft. Ironie aus.

Du bist es ja leider schon gewohnt, Shitstorms und Hasskommentare zu bekommen. Wie war das diesmal?

Diese Verschwörungstheorie-Blase ist sehr divers zusammengesetzt. Das sieht man ja auch auf den Demos, da sind Linke, Rechte, Esoteriker und Esoterikerinnen. Und ähnlich waren auch die Kommentare. Da gibt’s die Prolls, die sagen: Du brauchst einfach mal wieder einen Mann, dann kommst du wieder zu Verstand. Dann gibt es die, die dich mit Pseudo-Fakten in Grund und Boden argumentieren wollen und die Reichsbürger-Denunzianten, die schreiben: Ich habe folgenden offiziellen Stellen und Behörden Bescheid gegeben, dass Sie als Mitarbeiterin nicht mehr tragbar sind. Irgendwie kommt alles an Reaktions-Abfall zusammen, den man bekommen kann.

„Es ist der egalste Shitstorm, den ich je bekommen habe“

Ist es dadurch für dich heftiger?

Überhaupt nicht. Es ist der egalste Shitstorm, den ich je bekommen habe. Die Doofheit, die Arroganz und auch die Aufgeregtheit trieft aus jeder Zeile. Ich lese das und denke: Schön, dass ihr euch gerade damit beschäftigt. Besser, wenn ihr euch an einem 26-jährigen Girl aus Berlin abarbeitet, als wenn ihr euch noch ein Jebsen-Video reinzieht.

Aber macht diese Mischung diese Bewegung nicht gefährlicher? Es wirkt so, als würde diese Bewegung die Gesellschaft deutlich tiefer durchdringen, die Menschen, die diese Videos teilen, plötzlich deutlich häufiger auch aus dem eigenen Bekanntenkreis kommen.

Das kommt wahrscheinlich daher, dass die Trennschärfe gerade verlorengeht. Es gibt sehr viel berechtigte Zweifel und Kritik an der Vorgehensweise in der Corona-Krise. Das sind ja nicht alles Bill-Gates-Verschwörungstheorien, die da verbreitet werden. Es gibt einfach sehr viele philosophische, juristische und zivilgesellschaftliche Debatten darüber, ob diese Maßnahmen, wie sie getroffen werden, so richtig sind. Die sind alle wichtig und wirklich nötig, damit wir gemeinsam durch diese Krise kommen. Wir sind es nicht gewohnt, derart an der Substanz unseres Miteinanders zu kratzen. Da geht es um die grundsätzlichen Werte, um das Gerüst der Gesellschaft. Das sind Grundsatzfragen, die mit Vertrauen in die Politik und deren Handlungsfähigkeit zu tun haben. Da können manche Fragen, die gestellt werden, sich im ersten Moment verrückt anhören oder gegen den eigenen Wertekatalog gehen. Diese Fragen müssen aber trotzdem diskutiert werden.

In dem Video gehst du auch auf Detlef D! Soost ein, der erst vor kurzem fragte, ob wir in einer Demokratie oder einer Diktatur leben.

Diese „Fragen“ von ihm sind in meinen Augen keine Fragen, sondern implizite Aussagen. Und das, was diesen vielsagenden Fragen zu Grunde liegt, ist: Es gibt eine Impfpflicht oder gar einen Impfzwang. Aber diese Pflicht oder den Zwang gibt es faktisch nicht. Daraus kann man entweder schließen: Detlef D! Soost ist hart uninformiert oder er ist Verschwörungstheoretiker. Letzten Endes gibt es viele, die diese „Fragen“ für sich als Mittel entdeckt haben, um ihre Verschwörungstheorien zu verbreiten. Das Gefühl: „Der stellt doch nur Fragen“ nimmt aber auch vielen Menschen die Berührungsangst, diese Videos zu verbreiten.

Durch die Corona-Krise und die Debatten bilden sich plötzlich ganz neue Allianzen. Haftbefehl feiert Angela Merkel, Markus Söder ist everybody's Darling. Lehrt uns die Corona-Krise Gemeinsamkeiten an den unerwartetsten Orten zu finden?

Dass Haftbefehl Angela Merkel feiert, hätte ich vor ein paar Monaten für deutlich wahrscheinlicher gehalten, als dass Markus Söder als geeigneter Kanzlerkandidat gilt. Dass man aber plötzlich Leuten in Talkshows interessiert zuhört, die man vor drei, vier Wochen noch für designierte Crazy-People gehalten hat und denkt: „Das ist ja alles ganz schön vernünftig“, das erlebe ich auch bei mir selber.

Woher kommt das?

Diese Krise ist so komplex. Da gibt es die virologische, die juristische, die wirtschaftliche Perspektive und viele mehr. Man muss die Krise ganzheitlich und aus den verschiedensten Blickwinkeln betrachten. Plötzlich stellt man fest: Es gibt ja eine Daseinsberechtigung für die liberale FDP. Als Linke kann man weiterhin ihre Wirtschafts- und Steuerpolitik furchtbar finden, aber deren Blickwinkel auf Gesetze, ihre Allergie gegen Verbote, das ist zurzeit genauso wichtig, wie ein sozialpolitischer Aspekt, den die SPD einbringt. Andere Parteien bringen andere Aspekte ein, die man vielleicht übersehen hätte. Daher kommen diese ungewohnten Allianzen.

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