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Dürfen Frauen über sexistische Witze lachen?

Illustration Jessy Asmus

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Vielleicht muss man an so einem klischeebeladenen Ort wie dem Fitnessstudio anfangen. Da war ich nämlich neulich in so einem Kurs mit kleinen Podesten und Gewichten. Mit mir 15 Frauen zwischen 20 und 40 und zwei Männer, einer davon war der Trainer.

Der war von Beginn an ein bisschen seltsam. Zeigte die ganze Zeit ungefragt sein Sixpack und faselte etwas davon, der Körper müsse bei den Übungen hart wie ein Stock sein – „nicht wie ein Dildo“. Als wir im Anschluss eine Übung möglichst aggressiv machen sollten, sagte er zu einer Kursteilnehmerin, die das nicht so gut hinbekam: „Aggressiv, kennste? Oder nur, wenn du deine Tage hast?“. Danach erzählte er noch dem einzigen männlichen Kursteilnehmer, er solle sich hier bloß keine Frau nach dem Aussehen aussuchen. Sondern nach ihren Fähigkeiten beim Kochen und Putzen, davon hätte man länger was.

„Eigentlich ist es unfair von mir, Lachen über sexistische Witze falsch zu finden. Blondinen dürfen ja auch über Blondinenwitze lachen“

Der Mann schaute verlegen zu Boden. Hilfesuchend sah ich mich um, das ging ja mal gar nicht, da müsste man doch jetzt mal lautstark … der Gedanke blieb stecken. Denn die Frauen um mich herum lachten wie wild, sogar die, zu der der Trainer den dämlichen Spruch mit den Tagen gemacht hatte. Und ich verstummte. Hier war ich mit meinem Verständnis von Humor in der Minderheit. Verunsichert fragte ich noch meine Nebenturnerin, ob sie das jetzt gerade wirklich lustig fände oder aus Höflichkeit lachen würde. Ihre Antwort: „Klar ist das lustig, ist doch mal was anderes!“

Dass Humor streitbar ist – eine Binsenweisheit. Aber dass Frauen über etwas lachen, dass ich offenkundig sexistisch finde, das hatte ich noch nicht erlebt, oder?

Genauer darüber nachgedacht stimmt das natürlich nicht. Ich kenne das aus dem Fernsehen. Da rennen Tausende Frauen zu Mario Barth, der Witze macht wie „Warum mein bester Freund und Chantal sich getrennt haben? Sie stand vor ihm und sagte: Ich geh zum Fitness. Bauch, Beine, Po. Daraufhin er: Wieso? Davon hast du genug. Mach doch lieber Brüste.“ Diese Witze werden im Netz auch in zahlreichen Frauenforen geteilt, die Leserinnen schreiben dann darunter „Ich kann nicht mehr, mir tut der Bauch weh vor Lachen“. Eigentlich ist es unfair von mir, das falsch zu finden. Blondinen dürfen ja auch über Blondinenwitze lachen und sowieso, dass jemand „über sich selbst lachen kann“, gilt ja als Riesenkompliment. Warum Frauen also nicht über sexistische Sprüche?

Um meine seltsame Haltung bei dem Thema erklärt zu bekommen, telefoniere ich mit der Diplom-Psychologin Sonja Heintz. Sie forscht an der Universität Zürich zum Thema Humor, was, wie im Telefonat schnell deutlich wird, nicht nur lustig, sondern auch frustrierend sein kann. Denn „Wie genau Humor funktioniert, ist eigentlich immer noch ein Rätsel“, sagt Heintz. Immerhin: Man konnte schon zwei Komponenten ausmachen, die ein funktionierender Witz enthalten muss. „Zum einen muss er irgendeine Form der Unstimmigkeit enthalten, die am Ende häufig aufgelöst wird. Und zum anderen muss die Situation verspielt sein“, sagt Heintz. Als Beispiel führt sie Youtube-Fail-Videos an. Der Heiratsantrag, bei dem der Mann mit Ring in den Teich fällt, ist nur lustig, wenn klar ist, dass der Mann am Ende nicht tot ist. „Es muss klar sein, dass das Ganze ein Witz ist und keine ernste Konsequenzen hat“, sagt Heintz. Gleichzeitig bedeute „verspielte Situation“ aber auch, dass der*die Zuhörer*in sich in der richtigen Stimmung für einen Witz befindet – was ein gewisses Maß an Menschenkenntnis erfordert.

Langfristig konnte bisher nicht nachgewiesen werden, dass Stereotype aus Witzen tatsächlich Auswirkungen auf den Alltag haben

Für mich sind das immerhin schon zwei Indizien, warum ich über die sexistischen Witze des Trainers nicht lachen konnte. Erstens: Wir kennen einander nicht. Ich kann nicht beurteilen, ob er nebenbei vielleicht die Emma abonniert hat und das alles ironisch meint. Meine Menschenkenntnis sagt aber: Eher nicht. Bei Freund*innen, deren Einstellung zu dem Thema ich kenne, ist das anders, da kann ich eher über sexistische Witze lachen. Und zweitens: Für mich sind diese Witze nicht konsequenzlos. Ich befürchte nämlich schon, dass dieses Bild von Frauen, das er da verbreitet, haften bleibt. Blondinen gelten ja auch als der Stereotyp der dummen Frau, egal, wie viele Nobelpreise welche gewonnen haben – haben die vielen Witze dazu beigetragen? Ich habe also Sorge, dass die Frauen im Fitnessstudio mit ihren Lachern dazu beitragen, dass die Beschränkung von Frauen auf ihre Koch- und Putzfähigkeiten gesellschaftlich akzeptiert wird. Ist das paranoid?

Vielleicht ein bisschen. Zumindest langfristig konnte bisher nicht nachgewiesen werden, dass Stereotype aus Witzen tatsächlich Auswirkungen auf den Alltag haben, erklärt mir Sonja Heintz. Kurzfristig allerdings schon. So legte der Sozialpsychologe Thomas Ford in einem Experiment 2008 männlichen Studierenden neutrale und sexistische Witze vor und ließ sie danach Empfehlungen für das Jahresbudget von studentischen Wohltätigkeitsorganisationen verteilen, wobei eine Organisation sich für die Förderung von Frauen einsetzte. Ein Teil der Männer gab dem Frauenförderungsverein nach den sexistischen Witzen ein geringeres Budget als allen anderen Vereinen, zeigte also diskriminierendes Verhalten. Allerdings waren diese Männer auch von vornherein Frauen gegenüber negativ eingestellt – die Witze hatten in diesen Fällen also nur einen verstärkenden Effekt bereits vorhandener Einstellungen.

Warum finden manche Frauen es lustig, beleidigt zu werden?

Dass vernünftige Menschen, nur weil sie auf einmal den ganzen Tag Mario Barth hören, nicht umgepolt werden können, ist also schon mal erleichternd. Aber selbst wenn die sexistischen Sprüche des Trainers nicht dazu führen werden, dass alle auf einmal Frauen hinter dem Herd sehen wollen, bleibt für mich die Frage: Warum finden manche Frauen es lustig, beleidigt zu werden?

Auch hier kann Sonja Heintz weiterhelfen: „Man kann Witze auf eigene Kosten lustig finden, weil man in einer verspielten Stimmung oder weil man sich selbst einfach nicht so ernst nimmt. Wir beobachten aber auch, dass die betroffenen Gruppen den Witz einfach nicht auf sich selbst beziehen“, sagt die Wissenschaftlerin. Das Mario-Barth-Beispiel eignet sich gut dafür: Bei Barth ist es immer eine bestimmte weibliche Person, die an irgendetwas scheitert – meistens seine Freundin. Natürlich steht das synonym für Klischees über Männer und Frauen, die Zuhörerinnen spalten das aber von sich ab. Mario Barths Freundin kann nicht Auto fahren, man selbst aber schon. Der Witz ist somit nicht auf eigene Kosten.

„Bei Mario Barth kann man zudem gut beobachten, dass Humor nicht nur über Inhalte, sondern auch über seine Struktur funktioniert“, sagt Heintz. Die Witze seien stets ähnlich aufgebaut („Kennste/ Meine Freundin xyz/ Pointe“), der Moment, in dem man lachen soll, ist klar vorgegeben. „Ähnlich wie der Tusch bei Fastnachtsreden“, sagt Heintz. Und das führe zu einem interessanten Gruppenphänomen, denn: Lachen steckt an. Was ich im Negativen im Fitnessstudio gefühlt habe, dieses Unwohlsein wenn man als Einzige nicht über den Witz lacht, funktioniert auch umgekehrt. Und wenn auf den Tusch alle um einen herum anfangen zu lachen, macht man eben mit. Das führt aber auch dazu, dass die vortragende Person nicht wirklich merkt, wenn sie eigentlich nicht lustig ist – es lachen ja alle.

Ich nehme mir also vor, beim nächsten Mal in besagtem Fitnesskurs trotzdem etwas zu sagen. Denn wer weiß, wer dort nur aus Gruppenzwang und wer aus echtem Amüsement mitgelacht hat. Bevor ich das Telefonat mit Frau Heintz beende, muss ich allerdings noch eine Frage stellen, die auch stets unsere Redaktion umtreibt: Wer hat denn nun mehr Humor? Männer (zumindest die in unserer Redaktion behaupten das) oder Frauen? Glücklicherweise gab es da gerade eine Studie:  Ein Team um die britische Psychologin Jade Hooper hat herausgefunden, dass Männer objektiv gesehen nicht witziger sind als Frauen. Aber wer von beiden kann nun mehr über sich selbst lachen? „Männer können über Männerwitze weniger lachen als Frauen über Frauenwitze“, sagt Heintz. Am Ende finden sie allerdings beide Witze über das jeweils andere Geschlecht lustiger.“ Zumindest da gilt also Gleichberechtigung.

Dieser Text wurde zum ersten Mal am 25.04.2016 veröffentlicht und am 12.07.2020 noch einmal aktualisiert.

 

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