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Was „Gender Studies“-Studierende sich anhören müssen

Illustration: Julia Schubert

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Das Studienfach „Gender Studies“ steht immer wieder unter Beschuss, und das nicht nur in Deutschland. Die AfD will den Studiengang komplett abschaffen, um „den Genderwahn zu stoppen“. Im rechtskonservativ regierten Ungarn gibt es den Studiengang an staatlichen Universitäten seit Kurzem nicht mehr – angeblich, weil Absolventen und Absolventinnen schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt hätten. Dass Gender Studies auf „Ideologie“ beruhen würde und deshalb keine richtige Wissenschaft seien, schwirrt immer wieder durch die gesellschaftliche Debatte. Wie anstrengend ist das für diejenigen, die Gender Studies studieren? Wir haben vier von ihnen gefragt:

Die wenigsten nehmen mich als Expertin ernst

Alexandra, 26, hat in Göttingen Geschlechterforschung im Bachelor studiert, im Master Gender Studies in Bochum.

„Oft erntet man als Reaktion erstmal ein Augenrollen. ‚Wer braucht das?‘, fragen manche. Die meisten können ihre Abwertung dann aber gar nicht begründen. Die haben einfach mal davon gehört und finden, dass das überflüssig ist. Im Bachelor haben mich auch oft Menschen gefragt, ob wir dann auch praktisch die Geschlechter studieren würden – also eine klare Anspielung auf Sex. Das war wirklich grenzwertig und hat sich im Master dann Gott sei Dank verbessert. Man hat immer einen Legitimationszwang, wenn man sagt, dass man Gender Studies studiert. Ich kann zwar nachvollziehen, dass jeder Mensch meint, mitreden zu können, weil wir nun mal alle ein Geschlecht haben. Aber die wenigsten nehmen mich als Expertin ernst, die meisten denken, genauso viel zu wissen wie ich.

In den vergangenen Monaten habe ich aber das Gefühl, dass sich die Diskussion verändert hat. Vor allem seit #MeToo sind die Menschen offener, Genderthematiken spielen auch in Seminaren anderer Fachrichtungen eine Rolle und auch die Berichterstattung der Medien ist differenzierter geworden. Wenn ich merke, dass jemand eine sehr ablehnende Haltung haben könnte, dann sage ich nicht, dass ich Gender Studies studiere, sondern Kultur, Kommunikation und Gesellschaft. Das ist auch Teil meines Masters. Dann werde ich gleich ernster genommen.“

Wie viele von den Frauen, die mit dir studieren, sind lesbisch?

Anna, 28, hat in Wien Gender Studies im Master studiert, im Bachelor davor Soziologie und Sozialwirtschaft. Heute macht sie in Kempten Gleichstellungsarbeit an einer Hochschule. 

„Eigentlich ist die Frage nach dem Studium ja eine nette Smalltalk-Frage. Ich hatte aber oft das Gefühl, dass ich mich richtig ‚outen‘ muss. Viele Menschen verstehen nicht, was wir eigentlich machen. Auf einer WG-Party wurde ich mal richtig ausgefragt: Studieren das auch Männer? Wie viele von den Frauen, die mit dir studieren, sind lesbisch? Und wie viele von den Hetero-Frauen kriegen es dann hin, eine erfolgreiche Beziehung zu führen? Das ist einfach übergriffig und völlig unangebracht. Dahinter steckt immer noch die Meinung, dass alle Feministinnen Männer hassen würden.

Viele haben eine abstrakte Angst vor dem Thema Gender. Manchen hilft es, wenn sie eine Person kennenlernen, die in ihren Augen ‚normal‘ aussieht und sich wissenschaftlich mit dem Thema auseinandersetzt. Ich würde aber sagen, dass die meisten in meiner Verwandtschaft immer noch nicht so richtig wissen, was ich eigentlich mache. Ich stelle mich normalerweise schon der Diskussion, aber manchmal finde ich es auch einfach nur anstrengend. Dann nehme ich es mir raus zu sagen: Ich bin privat hier und will jetzt nicht diskutieren.“

„Gender Studies als Wissenschaft stehen unter extrem hohem Legitimationsdruck“

Paula, 23, studiert in Oldenburg Gender Studies und Sozialwissenschaften im Bachelor

„In meinem nahen Umfeld sind die Reaktionen eher positiv. Ich habe einen Freund*innenkreis, der Gender Studies als Wissenschaft ernst nimmt und mich in dem unterstützt, was ich tue. In Situationen, in denen ich auf Menschen mit einem anderem politischen Fokus stoße, erlebe ich häufiger mal unangenehme Diskussionen, starke Reaktionen und einen ungewöhnlich hohen Legitimationsdruck. Damit meine ich, dass viele Personen ungefragt pseudopolitische Halb-Info-Diskussionen anfangen und denken, nur weil ich einen gesellschaftlich umstrittenen Studiengang studiere, wäre ich die richtige Adresse für so etwas.

Ich studiere nun seit fast drei Jahren und habe bisher zwei Arten von Reaktionen ausgemacht: Entweder sind die Menschen supportive und wollen in einen interessierten, fachlichen Austausch treten. Oder sie reagieren mit Abneigung, wissen nicht genau, was mit Gender Studies gemeint ist, aber haben schon ‚so einiges gehört’. Dann wollen sie mir in einem Monolog erklären, was sie dazu denken.

Häufig sage ich ganz direkt, dass ich keine Lust oder Energie für diese Diskussion habe, da die meisten Menschen wenig an einer tatsächlichen Diskussion interessiert sind. Sondern eher mitzuteilen ‚was sie ‚schon immer mal einer Studierenden der Gender Studies sagen wollten‘. Wenn jemand hingegen ehrliches Interesse zeigt, diskutiere ich das gerne.

Ich merke natürlich, dass Gender Studies als Wissenschaft unter extrem hohem Legitimationsdruck stehen. Vor allem aus rechten und rechtspopulistischen Richtungen wird das Konzept Gender selbst ja häufig angezweifelt oder dessen Existenz infrage gestellt.

Mit mir persönlich ‚macht‘ das wenig, da ich mich von solchem Gedankengut gut distanzieren kann. Es ist aber natürlich unheimlich anstrengend, immer wieder seine ‚universitäre Existenz‘ legitimieren zu müssen. Personen, die sich nicht informiert haben und einfach Halbwissen reproduzieren, finde ich noch anstrengender als Populist*innen, die das Konzept Gender komplett ablehnen. Gegen solche Meinungen kann man wissenschaftlich und fachlich gut argumentieren.“

„Zu Geschlecht hat jeder eine Meinung, und die meisten sind der Ansicht, dass die auch richtig ist“

Anne, 28, hat in Göttingen Gender Studies im Bachelor und Master studiert. Heute gibt sie Seminare zu Thema Gleichstellung, Geschlecht und Sexismus.

„Irgendwann habe ich einfach immer gesagt, dass ich Politikwissenschaften studiere, wenn ich geahnt habe, dass die Diskussion gleich anstrengend wird. Ich hatte keine Lust mehr, mich zu rechtfertigen. In meinem Orchester, auf Partys, oder bei der Mitfahrgelegenheit bin ich immer wieder auf Unverständnis gestoßen, dann sagen die Menschen: ‚Was stellen die sich alle so an mit dem Geschlecht?‘. Auch beliebt: sexistische Witze nach dem Motto ‚Also meine Frau kocht gerne, da braucht es keine Wissenschaft dafür.‘

Ich hatte nie das Gefühl, als Expertin wahrgenommen zu werden. Zu Geschlecht hat jeder eine Meinung, und die meisten sind der Ansicht, dass die auch richtig ist. Bei anderen Studienfächern ist das anders, zum Beispiel bei Medizin. Klar ist es auch schön, dass mit Geschlecht an sich erst mal jeder Mensch etwas anfangen kann. Aber so gut wie niemand erkennt an, dass ich mich besser auskenne, weil ich mich wissenschaftlich mit der Thematik auseinandersetze.

Die eigene Meinung wird Genderstudierenden von Gesprächspartnern immer sofort aufgedrückt. Als Lann Hornscheidt groß in den Medien war, hat mir jeder sofort ungefragt seine Meinung zum Thema Gendern erzählt. Das ist ermüdend und unnötig.“

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