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Restaurants in sterbenden Kaufhäusern brechen mir das Herz

Illustration: Julia Schubert

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Sie und er, beide fortgeschrittenen Alters, sitzen sich gegenüber. Sie stochert missmutig in ihrem „Schau mal Schatz, nur 2,20 Euro pro 100 Gramm“-Salat herum. Er traktiert mit der Präzision eines betrunkenen Chirurgen, zielsicher aber wenig elegant, gierig den Rostbraten. Interessiert fragt er sie nichts. Daneben zwei zu große Tassen mit weltmännischem „KAFFE O LÄÄ“. Aus dem schnieken Melitta-Automaten, der in den Siebzigerjahren mal nicht alt war.

Das Paar und ich sitzen im fünften und obersten Stockwerk einer tradierten Kaufhauskette – dem natürlichen Habitat klischeebehafteter Dining-Areas. Bei Galeria Kaufhof heißt das „Dinea“ und erinnert von der Optik her an eine Kantine, die gerne ein Sterne-Restaurant wäre. Ähnliches gilt für das Buffet. Alles ein wenig überholt bis überrundet. Das Einzige, was hier fortschrittlich ist, scheint das Alter der Gäste zu sein. Und der „GALERIA-HOTSPOT“, der mir dankenswerterweise ein wenig von seinem Internet abgibt. Ich muss mir keine Gedanken machen, er hat bestimmt noch genug. Danach fragen werden hier die wenigsten.

Diese Essensbereiche im Kaufhaus brechen mir das Herz. Denn sie wirken so überholt und aus der Zeit gefallen, so traurig und abgehängt, so ohne Zukunft. Kaufhäuser sterben, seitdem man ein „Online-“ vor sie setzen kann. Kaum jemand geht mehr auf ganztägige Shopping-Trips. Warum auch? Lieber schnell bei Amazon bestellen. So muss man sich auch mittags nicht in überholte Dining-Areas verirren. In der eh schon veralteten Kaufhauswelt hat man das Gefühl, als wäre das Restaurant-Stockwerk noch ein bisschen weiter weg vom Zeitgeist.

Nur die Alten scheinen das nicht gemerkt zu haben und stromern weiter in die Dineas dieser Welt. Dort steht die Zeit schon auf der Rolltreppe still. In Form einer älteren Dame, die gebückt die allseits bekannte „rechts stehen, links gehen“-Regel zu „auf beiden Seiten stehen“ uminterpretiert und dabei „Wir sind doch nicht auf der Flucht“ nuschelt.

Oben schlägt einem die Stagnation dann mit dem Gehstock ins Gesicht. An der Wand singen Tafeln Lobeshymnen auf überholte Geisteshaltungen: „Das beste am Spinat ist, wenn man ihn kurz vor Verzehr durch ein Steak ersetzt.“ Oder: „Ihre Frau hat Ihnen gestattet, ein Bier zu trinken? - Wir haben auch Drei-Liter-Gläser.“

Und dann das Essen: Die „Gartenfrisch“-Sektion des Buffets hat vermutlich noch nie einen Garten gesehen. Die Gerichte solcher Kaufhausrestaurants sind Gastronomie gewordene Genügsamkeit, gepaart mit Wirtschaftswunder-bis-Achtziger-Nostalgie. Kassler, Rouladen, Frikadellen, Braten-Gerichte, die für ein wenig zu viel Geld ein wenig zu schlecht schmecken – das Wohlstandsideal der alten Bundesrepublik.

Die guten alten Zeiten. Vergangenen Glanz umklammert man hier so innig wie das naschende Kind einen Lutscher. Nur dass der Lutscher hier in den Dreck gefallen ist und man ihn nun wirklich nicht mehr aufheben sollte. Alles hier sehnt sich nach der von Kaufhäusern in ihrer Blütezeit ausgehenden, unbeschwerten Heiterkeit. Und weil diese Heiterkeit so weit entfernt scheint, macht das doppelt traurig.

Zwei Tische neben mir hat eine betagte Frau ein Rendezvous mit ihrem eigenen Missmut. Es läuft nicht gut. Der Missmut scheint gelangweilt und löffelt seine wässrige Tomatensuppe, ohne die Frau zu beachten. Zu diesem Zeitpunkt bricht mir zum zweiten Mal das Herz. Aber nicht nur ihretwegen. Sie scheint sich mit dem Missmut gut zu arrangieren.

Sondern wegen der Schar designierter Dinea-Gänger, die mit der Gründlichkeit eines militärischen Manövers in das Restaurant strömen. Sie werfen ihre Jacken in deutscher Handtuch-Manier auf die ihre zukünftigen Sitzplätze und machen sich auf an die Essensausgabe. Sie tun, was sie schon seit Jahrzehnten tun: Sie wollen es sich „mal so richtig schön machen“. Und weil man früher eben ins Kaufhaus gegangen ist, um es sich richtig schön zu machen, machen sie es heute auch noch. Mit Ausflug in die Stadt, Braten auf dem Tablett und allem Drum und Dran.

Und warum auch nicht, mein Gott. Ich will hier gar nicht rüberkommen, wie der eitle Millennial-Priester, der die Coolness mit Löffeln gefressen hat. Wer soll auch mitkommen bei den ganzen Hans im Glücks, Dean & Davids, Vapianos und, und, und. Vielleicht ist das Kaufhausrestaurant auch etwas zum Festhalten in einer sich immer schneller drehenden Welt. Auf das Kaufhausrestaurant ist Verlass. Nicht so wie auf den Enkel, der sich nie meldet. Hier schreien einen keine Hashtags von Werbeplakaten oder Gangster-Rapper aus dem Smartphone an.

Hier wird man aufgenommen und fühlt sich vielleicht sogar etwas zu Hause, wer weiß. Manche sitzen alleine da, manche zu zweit, manche in Gruppen. Entweder wird sehr viel oder sehr wenig gesprochen. Die Servierwagen sehen aus wie Rollatoren. Als solche werden sie mitunter auch genutzt, um die wertvolle Fracht möglichst kleckerfrei von A nach B zu bugsieren. Ein bisschen sieht das dann leider auch aus wie das Altersheim, das manchen vielleicht in ein paar Jahren wirklich blüht. Die Soße schwappt etwas über den Tellerrand. Und mein Herz weint eine kleine Träne.

Was uns sonst noch das Herz bricht:

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