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Was mir das Herz bricht: Party-Gestrandete, die an eine neue Gruppe andocken wollen

Illustration: Katharina Bitzl

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Wenn im Club nicht viel los ist, beobachte ich die wenigen Menschen dort genauer. Heute ist so ein Abend. Und ein Typ fällt mir auf.  Undercut, graues, abgetragenes Sweatshirt, und immer wieder läuft er nervös zwischen Toilette und Theke hin und her. Warum macht er das?

Fünf Minuten später weiß ich es. Der Typ – Thomas – ist gestrandet. Er erzählt mir, meinem besten Kumpel Michael und meinen Freundinnen Luisa und Tanja beim Rauchen, dass seine Leute plötzlich weg waren. Einfach so. Und weil sein Handy-Akku leer ist und sein Zug raus in den Vorort erst morgen geht, muss er sich die Nacht um die Ohren schlagen. „Hey, Leute. Ihr seid doch cool. Wollen wir einen Schnaps trinken? Ja?“ „Klar, gerne“, sage ich und meine Freunde nicken. Warum keine neuen Leute kennen lernen? Ist doch geil! Vielleicht ist das eine dieser Geschichten, bei denen ein anfangs Fremder zu einem guten Freund wird. Sowas soll es ja geben. Und außerdem verdient es Respekt, dass Thomas aus seiner unglücklichen Situation das Beste machen will. Ich bin optimistisch.

Und auch Thomas ist optimistisch. Er gibt uns fröhlich einen Schnaps aus: „Das muss echt nicht sein. Wir kennen uns ja gar nicht“, meint Tanja. Der Gestrandete besteht darauf. Und spendiert gleich noch mal eine zweite Runde. Soziales Schmiermittel Alkohol und so. Ihr wisst Bescheid.

Also trinken wir die zweite Runde. Thomas erzählt vom Weinfest seines Schützenvereins und wie er einen Bürgermeister aus dem Umkreis besoffen angepöbelt hat: „Weil des a Sozi war. Logisch.“ Wir finden das nicht witzig, sondern peinlich. Vielleicht nur ein Ausrutscher und Thomas kann uns doch was erzählen, was wir cool finden? Fehlanzeige. Jetzt redet er begeistert von „The Last Ship “. Gott, wie meine Freunde und ich diese reaktionäre US-Militär-Serie hassen. Als Einziger höre ich noch höflichkeitshalber zu, während meine Freunde schon wieder über Dinge reden, von denen Thomas keine Ahnung hat.

Tanjas beste Freundin hat ein Kind bekommen. Von Markus. Ist das zu fassen? Von DEM Markus. Thomas kennt weder Tanja noch den Markus und steht, nachdem er seinen Serienmonolog beendet hat, wie ein Fremdkörper daneben. Und es ist gar nicht böse gemeint, aber irgendwie sind unsere Freundschaftsthemen interessanter als alles, was Thomas erzählt.

Wenn es im Gespräch schon nicht klappt, entsteht vielleicht beim Tanzen so etwas wie „körperliche“ Sympathie

Dann zerrt er uns auf die Tanzfläche. Wenn es im Gespräch schon nicht klappt, entsteht vielleicht beim Tanzen so etwas wie „körperliche“ Sympathie. Er tanzt mit Luisa– einer meiner Freundinnen. Besser: Er will mit ihr tanzen. Denn Luisa hat keine Lust. Thomas ist der Typ Mann, der erst mal die Hand der Frau nimmt und dann fragt, ob sie mit ihm tanzen will. Und Luisa ist die Typ Frau, die solch ein Verhalten übergriffig findet. Zu Recht!

 

Langsam merke ich, dass wir von einer besoffenen „bromance“ mit Thomas meilenweit entfernt sind. Er fragt mich: „Hey war das jetzt blöd, dass ich mit ihr tanzen wollte? Ich will euch nicht nerven.“ Er guckt mitleidig und ich antworte: „Ne, ne. Keine Sorge. Du nervst überhaupt nicht. Ist doch cool mit dir.“ Ist es nicht. Denn die Chemie stimmt nicht. Doch ich glaube weiter naiv und idealistisch an die friedensstiftende Magie des Alkohols, der jede Verbrüderung möglich machen soll. Das muss doch noch klappen! Hallo? Wir sind betrunken. Betrunken liebt man doch jeden. JEDEN! Alkohol macht aggressiv? Nein. Ich glaube an das Gute im Alkohol.

 

Wenn wir ehrlich sind, wollen wir nichts mit ihm zu tun haben

 

Doch heute ist das nicht so. Es wird nicht besser. Thomas passt nicht zu uns. Je mehr er erzählt, desto klarer wird das. Wir studieren Soziologie, er Jura. Wir sind links, er ist konservativ. Er findet die Musik hier zu „alternativ“, wir grölen hemmungslos zu „Don´t look back in Anger.“ Wenn wir ehrlich sind, wollen wir nichts mit ihm zu tun haben.

 

Es ist wie damals beim Ballspielen mit meinen Grundschulfreunden. Da gab es diesen Jungen, den ich einfach nicht mochte. Und dann habe ich ihm nie den Ball zugeworfen. Meine Mutter hat das bemerkt und gerufen: „Mäx! Du lässt ihn auch mitspielen. Ja genau. Wirf ihm den Ball hin! Einfach werfen! So ist es brav.“ Heute Abend dagegen gibt es keine Mama, die fragt: „Hallo geht’s noch? Natürlich darf der Thomas bei euch im Kreis mittanzen. Ja ganz genau so. Lasst ihn mittanzen.“

 

Es sieht nun so aus, als hätte Thomas unsere subtile Abneigung bemerkt. Er betäubt seinen Schmerz darüber mit vier weiteren Wodkashots, ist stark angetrunken und hofft im Rausch auf den „lucky punch“. Und fragt die ebenfalls betrunkene Luisa diesmal schüchtern, ob sie mit ihm tanzen will. „Warum, warum nur Thomas?“, denke ich. Luisa ist berüchtigt für ihre klaren Abfuhren. Wären wir beim Ballspielen, wäre das der Moment, in dem Thomas ihn voll in die Fresse bekommt: „Du nervst. Ich glaube, du hast gar keine Freunde.“ Autsch. Der hat gesessen. „Das war jetzt echt zu fies“, findet Michael. Doch der Gestrandete hört das nicht mehr, weil er wortlos gegangen ist.

 

Er stellt sein halbvolles Bier an die Theke, nimmt seine Jacke und will nur noch raus. Ich gehe rauchen.

 

Draußen sehe ich ihn an der Kreuzung stehen. Er sieht nur kurz zu mir rüber, aber es fühlt sich an wie ein endloser, vorwurfsvoller Blick. Und für einen Moment finde ich, dass er aussieht wie der Junge, dem ich damals nie den Ball zugeworfen habe. Er stolpert hinaus in die Nacht. Und bei jedem Schritt hallen die Worte von Luisa nach: „Ich glaube, du hast gar keine Freunde.“

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