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"Ich will irgendwo ankommen und weiß nicht wo"

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Pola Beck, 30, hat Regie an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam studiert. Ihre Kurzfilme wurden auf mehr als 60 Festivals gezeigt und mit Preisen ausgezeichnet. „Am Himmel der Tag“ ist ihr erster Langfilm. Darin geht es um die 25-jährige Lara (Aylin Tezel), die ihren Eltern zuliebe Architektur studiert und kein wirkliches Ziel im Leben hat. Sie wird ungewollt schwanger und merkt, dass ihr Leben zum ersten Mal einen Sinn hat. Als ihr Kind im sechsten Monat stirbt, behält sie das tote Baby im Bauch und spielt ihrem Umfeld weiter die Schwangere vor.

Wir haben mit Pola Beck über ihren Film, das Tabuthema „stille Geburt“ und „Mitte-20-Dinge“ gesprochen.

jetzt.de: Pola, warum hast du dir für deinen Abschlussfilm an der Filmhochschule das Thema „stille Geburt“ ausgesucht?

Pola Beck: Ich hätte mir das so nicht ausgesucht, das Thema ist zu uns gekommen. Der Drehbuchautor Burkhardt Wunderlich ist vor vier Jahren mit einem Kurzfilmdrehbuch zu mir gekommen. Ursprünglich ging es um ein Mädchen, das ungewollt schwanger wird und dann das Kind verliert. Als eine Produktionsfirma dazukam, die meine Kurzfilme toll fand, haben wir beschlossen, daraus einen Langfilm zu entwickeln.

Wie seid ihr dann auf das Thema „stille Geburt“ gekommen?

Wir haben recherchiert, was mit Kindern passiert, die im sechsten, siebten oder achten Monat im Bauch sterben, und haben gemerkt, dass es keinen Film über dieses Thema gibt. Ich habe nur einen einzigen Film gefunden, in dem eine schwangere Frau Drogen nimmt und ihr Kind dann tot auf die Welt bringen muss.

Wie habt ihr dann weiter recherchiert?

Wir haben viele Berichte in Foren gelesen. Es gibt Seiten, auf denen die Leute Fotos von ihren toten Babys reinstellen. Uns hat interessiert, was mit diesem Kind passiert, wie man sich verabschieden kann, ob es eine Beerdigung gibt. Es ist so, dass man erst ab dem fünften Monat als Mensch gilt und ein Recht auf eine Beerdigung hat, davor nicht. Übers Internet und Bekannte haben wir Kontakt zu betroffenen Frauen und Eltern aufgenommen. Manche waren noch nicht bereit, darüber zu sprechen, andere haben von der Trauer erzählt, die von ihren Verwandten nicht mitgetragen wird, weil sie das Kind nicht gesehen haben. Die Hauptdarstellerin Aylin Tezel hat ein Ehepaar getroffen, das einen Dokumentarfilm gedreht hat, um das Erlebte zu verarbeiten und auch, weil das Thema in den Medien so tabuisiert wird.

 

Wie hast du es geschafft, dass der Film trotzdem so eine Leichtigkeit behält?

Das machen ganz viel die beiden Hauptdarstellerinnen aus, Aylin Tezel und Henrike von Kuick. Die hatten so eine Energie und Frische, selbst bei den schweren Szenen, die so danebengehen können, wenn man bemüht wirkt. Ich habe den beiden viel Freiheit gelassen und ihre Vorschläge immer dankend angenommen. Das zweite sind die Dialoge von Burkhardt. Der hat die Gabe, auch in die tragischsten Situationen Witz reinzubringen. Das macht es erträglich, den Film zu schauen und sich mit dem Thema zu befassen.

 

Worum ging es dir in dem Film noch?

Wir wollten eine Geschichte über unsere Generation machen, ein Lebensgefühl einfangen. Vor drei Jahren habe ich mich viel mit diesen Mitte-20-Dingen beschäftigt. Ich habe mich gefragt, was will ich eigentlich im Leben, was ist mir wirklich wichtig, will ich Kinder haben und, oh Gott, wann soll ich die bekommen? Ich war an einem Punkt, an dem ich gemerkt habe, ich will irgendwo ankommen und weiß gar nicht wo. Das hat mich mit dem Thema enorm verbunden, die junge Frau, die eigentlich keine Ziele hat, die schwanger wird und dann merkt, dass sie endlich etwas hat, in das sie ihre ganze Energie stecken kann.

 

Kennst du diese Sehnsucht nach einem richtigen Leben auch?

Ja, die kenne ich, aber nicht beruflich, sondern vor allem privat. Ich habe lange nach einer Identität gesucht, mir Gedanken gemacht, was ich für ein Mensch sein will, ich habe ständig meinen Stil verändert, mich oft verliebt und hatte dabei immer das Gefühl: Ach nee, das ist es nicht, ich suche noch weiter.

 

Lara ist auch deswegen so unzufrieden, weil sie nur ihren Eltern zuliebe Architektur studiert. Was haben deine Eltern zu deinem Berufswunsch gesagt?

Die sind das komplette Gegenteil von Laras Eltern. Meine Mutter hat Schauspiel studiert und arbeitet als Schauspielerin und Schauspiellehrerin. Mein Vater ist Arzt und hat auch mal Film studiert. Ich habe ihnen mit 13 gesagt, dass ich Regie machen will, die fanden es total faszinierend, dass ich in ihre Fußstapfen treten will. Es ist nicht selbstverständlich, dass einen die Eltern so lassen. Die meisten haben Angst, dass ihre Kinder nichts auf die Reihe kriegen. In unserer Generation fangen viele zwei und mehr Studiengänge an, machen fünf Praktika und wissen immer noch nicht so richtig, was sie wollen. Unsere Eltern waren mit 30 verheiratet und hatten Kinder.  

 

Du hast deinen Film unter anderem über die Crowdfunding-Plattform "Startnext" finanziert. Damals hieß der Film noch "Und dann war alles still". Wie kam es zu dem neuen Titel? Der RBB, unser Co-Produzent, hat schon einen Dokumentarfilm mit diesem Titel. Ich hätte ihn nie geändert, aber die haben darauf bestanden. Wir haben viele Himmelbilder im Film und das Ende ist so hoffnungsvoll, Lara und Elvar (Tómas Lemarquis) liegen am Boden und schauen nach oben. „Am Himmel der Tag“ steht für Hoffnung, man wacht auf und die Welt dreht sich weiter.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wie kam das Projekt auf „Startnext“ an?

Wir haben dadurch 1.000 Euro bekommen, wenn man mindestens 300.000 Euro braucht, ist das nur ein sehr kleiner Teil. Isabell Suba hat für ihr Projekt „Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste[/link]“ ein richtiges Marketing-Ding hingelegt und fast 9.000 Euro bekommen, das war aber auch so ein Kamikaze-Projekt. So ein üblicher Spielfilm ohne bekannte Darsteller funktioniert auf diesen Plattformen weniger.  Damals war auch Aylin Tezel noch nicht so bekannt. Und es gibt ja auch Förderungen, das wissen die Leute.

 

Wie habt ihr die Nachricht aufgenommen, dass eure Hauptdarstellerin Aylin „Tatort“-Kommissarin wird?

Das kam während der Dreharbeiten heraus, damals habe ich noch gar nicht darüber nachgedacht, was das bedeuten wird, jetzt helfen uns ihre Popularität und die Presse natürlich. Und für sie ist es toll, weil es ihre erste richtige Kinohauptrolle ist und sie als Schauspielerin ernst genommen wird.

 

Wie geht’s jetzt weiter?   Am Donnerstag läuft der Film im Kino an, danach bin ich bei einigen Festivals, in Turin, in Regensburg und auf dem „Plus Camerimage“ in Polen. Ich schreibe an einem neuen Spielfilm. Und ich habe noch einen Dokumentarfilm in der Schublade, für den ich noch recherchieren muss.

 

Kannst du schon verraten, worum es dabei gehen wird?

In der Doku geht’s um die Großeltern- und Enkelgeneration, wie sich das Verhältnis zur Liebe verändert hat. Im Spielfilm erfährt ein Mädchen mit 27, dass ihre Eltern seit Jahren ein Parallelleben als Drogendealer führen. Die Eltern kommen in den Knast und sie muss Verantwortung für ihre Eltern übernehmen. Das ist eine wahre Geschichte von einer Freundin von mir.

 

Bei der Premiere in Berlin, den Hofer Filmtagen und beim Zürich Film Festival hast du schon miterlebt, wie die Zuschauer deinen Film aufnehmen. Wie hat sich das angefühlt?

Es war komisch. Im Kino habe ich gesehen, dass viele Tränen in den Augen hatten und ihre Taschentücher herausgeholt haben, manche haben auch ein bisschen geschnieft. Ich bin froh, dass mir viele danach gesagt haben, sie haben so geweint, das war so schön, andere haben gesagt, sie sind richtig glücklich, obwohl der Film auch traurig ist, und, dass er sie total überrascht und berührt hat. Das ist für mich das Allerwichtigste an einem Film.

 

Würdest du die Leute lieber zum Lachen bringen?

Das Gute ist, dass sie im ersten Teil des Films lachen. Und dann weinen sie.

 

„Am Himmel der Tag“ läuft ab Donnerstag, 25.11., in ausgewählten Kinos, u.a. in Berlin (Babylon, Ladenkino, UCI Colosseum, Sputnik), Hamburg (UCI Mundsburg) und Köln (UCI).

 

Text: kathrin-hollmer - Fotos: ALINFilmproduktion, privat

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