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Bin ich schuld, wenn jemand mit mir fremdgeht?

Illustration: Johannes Englmann.

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Ich kannte mal jemanden, der hatte ziemlichen Erfolg bei Frauen. So kurzfristig gesehen. Auch wegen der üblichen Ressourcen, die auf dem Basar der Bettgeschichten zählen: Aussehen, Selbstbewusstsein, Humor, Intelligenz, Kaltschnäuzigkeit, Einfühlungsvermögen (zumindest geschickt geheuchelt). Er hatte aber noch etwas anderes, eine magische Zutat für den Attraktivitätszaubertrank, seine Trumpfkarte: Er hatte eine Freundin. Schon seit Jahren war er mit einer guten Frau zusammen. Fest. Mit Treue und allem, zumindest mit vereinbarter Treue. Und er spielte diese Karte meisterhaft.

Ein balztechnischer Vorteil

Gingen wir zusammen aus und kamen mit Frauen ins Gespräch, ließ er irgendwann im Nebensatz fallen, dass „meine Freundin gerne amerikanische Romane liest“, oder dass „meine Freundin neulich auch in Sizilien war, echt toll dort, sagt sie“, und dergleichen Harmloses mehr. Anfangs glaubte ich an einen Irrtum, eine Fehlwahrnehmung meinerseits, wenn dieses wichtige Bit Kontext (vergeben/nicht vergeben) bei den angeflirteten Frauen keine abschreckende Wirkung zeigte.

Dann glaubte ich, es sei untergegangen, was er als sein eigener Whistleblower geleakt hatte. Oder ich hatte mir die Offenbarung nur eingebildet, in einem Versuch, den Freund aufrichtiger zu machen, als er war. Aber nein. Bald musste ich mir eingestehen: Die Tatsache, dass er eine Freundin hatte, gereichte ihm nicht zum Nachteil. Sie war, balztechnisch, ein Vorteil. Sie reizte viele Frauen erst recht, mit ihm anzubandeln. Und zwar umso mehr, je höher er seine Holde hängte, je lauter er die gemeinsamen Jahre oder Urlaube oder Zukunftspläne berichtete. „Ich weiß auch nicht“, sagte er einmal zu mir, „manchmal wirkt das wie eine Hypnose: Pass gut auf, ich bin vergeben, finde mich heiß!“ 

Das klingt jetzt total beschissen. War es irgendwie auch. Aber wie sagte mein Großonkel Theodor, der Förster: „Aus der Scheiße lernt man am meisten über ein Tier“, also in dem Fall: über den Menschen. Und dieser Text will sowieso nicht die moralische Schuld des Untreuen, also meines Freundes, untersuchen. Das wäre zu einfach. Keine Sorge, ich habe es ihm oft gesagt, also, das mit der Scheiße. So oft, bis wir keine gemeinsamen Abende mehr hatten.

Es geht mir heute, mit ein paar Jahren Abstand, um die Frauen, die mit ihm ins Bett gingen. Die meisten von ihnen wussten von seiner Beziehung und dem Treuebruch, den sie mitverantworteten. Und sie schienen ihn mindestens fahrlässig mitzugehen, wenn nicht sogar anzustreben. Juristisch ist das Beihilfe! Aber moralisch?

Er wird ja, so die Annahme, nicht wahllos seine Freundin betrügen

 

Man muss für eine Antwort wohl klären, warum die kommunizierte Freundin eher reizte denn abschreckte. Meine These: Einen Single-Boy vom nächtlichen Bar-Buffet wegknabbern, das ist für eine Frau keine sonderliche Herausforderung. Einen vergebenen Mann mitnehmen, das wertet, so könnte man meinen, die an sich banale Sache des One-Night-Stands jedoch auf. Denn er wird ja, so die Annahme, nicht wahllos seine Freundin betrügen. Sondern nur, wenn ihn etwas, oder besser eine aber mal so richtig reizt. Ein vergiftetes Kompliment. Aber ein Kompliment.

Das hat übrigens, glaube ich, zumindest im Ergebnis, eher wenig mit Geschlechtern zu tun. Ich kenne viele Männer, denen im Weg stehende Beziehungen relativ egal sind. Besonders anfixen tut sie der Kollateralschaden zwar nicht. Aber als Pragmatiker überlassen sie im Zweifelsfall die Entscheidung eben derjenigen, die sich damit zukünftig auseinandersetzen muss. Er gibt ihnen nichts, der Betrug. Aber er nimmt ihnen eben auch nichts. Also machen sie mit, weil hey, sie wird schon wissen, was sie tut. Und so lange der gehörnte Freund nicht bekannt oder Kampfsportler ist, who cares? Ich selbst bin auf Grund familiärer Prägung zum Glück immunisiert. Mit ungefähr 14 bekam ich von meiner großen Schwester einen Rat: „Es schwimmen so viele Erbsen in der Suppe! Wieso die essen, die schon auf einem anderen Löffel liegt?“ Daran halte ich mich, wie an so viele ihrer Ratschläge, seitdem erfolgreich. Ich habe gesehen, wie meine andere Schwester geheult hat, nachdem ihr Freund fremd gegangen war. Ich brauche Untreue nicht, egal von welcher Seite.

Aber zurück zur Schuld. Betrug ist Betrug und immer böse. Für die bis ans Ende durchdachte Schuldfrage ist die eigene Auseinandersetzung mit dem Geschädigten aber entscheidend, finde ich. Ist der betrogene Partner ein notwendiges Übel? Dann trägt man zwar Mitschuld, aber die Schuld bleibt im Vergleich zu der des Betrügers lauwarm. Oder ist der Betrug, wenn man ganz, ganz ehrlich ist, die Kirsche auf dem Kuchen? Wer letzteres vor sich selbst zugeben kann, kennt seine Verantwortung. 

Verantwortung für was genau? Der Betrug kann bestenfalls für immer verborgen bleiben, ein giftiges Geheimnis, irgendwann vergessen wie eine schlechte Note, die man den Eltern nie gezeigt hat. Und schlimmstenfalls einen Menschen in den Magen schlagen, die Finger brechen, sein Leben für Wochen und Monate zu einem Horrorfilm machen. Zellen sterben ab, Kinder werden nie geboren, Kriege brechen aus wegen Untreue.

Wer sich daran beteiligt sein will, muss wissen, mit welchem Feuer er spielt. Muss sich eingestehen, dass er den Finger an der emotionalen Zündschnur eines Fremden, manchmal (schlimmer noch) Bekannten hat. Wer das zur Luststeigerung tut, hat keine Ausreden. Wenn du also schon mal mit jemandem mit bist, nicht obwohl, sondern, ganz ehrlich, ein kleines bisschen weil die Nachtbekanntschaft vergeben war, weil es die Sache irgendwie aufwertete, besonders machte, naja, dann weißt du jetzt Bescheid. Was sagst du? Die Strafe für Mitwisser, die mir droht? Gute Frage. Jedenfalls: Ich flehe um Gnade.

Anmerkung: Weil das alles so passiert ist und beteiligte Menschen sich erkennen könnten, möchte unser Autor lieber anonym bleiben. Er ist der Redaktion aber bekannt. 

Dieser Text wurde zum ersten Mal am 21.11.2017 veröffentlicht und noch einmal aktualisiert – dann das Thema ist ja immer noch spannend. 

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