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Warum man sich nicht mehr über Money Boy lustig macht

Foto: Robin Krahl/Wiki Commons (CC-by-sa 4.0)

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Money Boy sitzt auf einem dunklen Sofa. Er raucht einen Joint, der zwischen den Zehen einer barfüßigen blonden Frau steckt. Sekunden später steht er gemeinsam mit ihr und einem halben Dutzend anderer, leicht bekleideter Damen in der Küche eines Lofts. Für das Video zum Song „Drip Juice“ macht Money Boy Party, zeigt sein Repertoire an Designerklamotten und mixt stattliche Mengen Hustensaft mit Sprite. So kennt man den 37-jährigen Wiener Rapper. Sein ausschweifender Lebensstil und die bisweilen trashige Musik, die er seit seinem Debüt-Song „Dreh den Swag auf“ 2010 veröffentlicht hat, machten ihn prominent.

Früher hagelte es Spott und Häme für Money Boys Songs und Videos. Wer sie sich anhörte und anschaute, tat dies meist zur eigenen Belustigung. Was aber bei den Kommentaren unter seinem „Drip Juice“-Video auffällt, ist, dass Money Boy und seine Kunst nicht mehr ironisiert werden. Stattdessen wird ernsthaft der Song und die Qualität der Musik kommentiert. Money Boy hat den Status eines ernstzunehmenden Musikers erreicht. Der Boy ist im Mainstream angekommen. Bewusst?

Der Kölner Rapper Lgoony ist seit Jahren Teil des Umfeldes von Money Boy. „Zwischendurch hat er extra immer einen schlechten Song gedroppt. Damit die Hater wiederkommen. Das haben die meisten Leute gar nicht gecheckt“, sagt er in einem Podcast. Seine Theorie: Money Boys Gaga-Humor ist ein kalkulierter. Er wird verkannt, das mögen die Fans. Mit einem Underdog kann man sich identifizieren.

Was aber auch auffällt: Die Qualität von Money Boys Produktionen ist deutlich gestiegen. Seine Songs wirken durchweg professionell produziert. Tracks, die er mitten in der Nacht nach einigen Styroporbechern voll Opiat-Limonaden-Mix innerhalb weniger Minuten aufgenommen hat, veröffentlicht er nicht mehr. Das kommt gut an. Der anfangs erwähnte Song „Drip Juice“ hat mittlerweile über 600 000 Plays auf Spotify, die Youtube-Klicks gehen schon in Richtung der 700 000. Der Song „Monte Carlo“, vor eineinhalb Jahren veröffentlicht, ist wohl sein größter Hit der letzten Jahre – mehr als 8,5 Millionen Mal wurde das dazugehörige Video auf Youtube angeklickt. Auf der Plattform haben Money Boys Songs und Videos durchweg Klicks im sechsstelligen Bereich. Solche Zahlen waren für ihn früher eine Ausnahmeerscheinung.

Er selbst nimmt sich völlig ernst – oder tut zumindest so

Würde Money Boy seine Weiterentwicklung als Künstler unterschreiben? Dem Artikel sollte ein Interview mit ihm vorausgehen. Er war unterwegs, also gab es die zehn Fragen per E-Mail. Vier Antworten kamen zurück. Hier ein Auszug:

jetzt: Ist es Einbildung, dass die Qualität von Money Boy-Songs in letzter Zeit deutlich gestiegen ist? Oder siehst du das selbst auch so?

Money Boy: Ich sehe, dass ich immer mehr Geld verdiene.

Hast du früher mit Absicht Songs rausgebracht, die „schlecht“ waren? Weil du wusstest, dass das für Gesprächsstoff sorgt?

Meine Songs waren immer dope.

Mhh, okay, danke. Nicht aus der Rolle zu fallen, ist auch ein Teil von Money Boys Erfolgsrezept. Stumpf, aber lustig. Er selbst nimmt sich völlig ernst – oder tut zumindest so. Money Boy ist ein riesen Fan von amerikanischem Südstaatenrap. Diesen versucht er, auch in seiner teilweise hingerotzten Art, ins Deutsche zu übertragen. Das ist ihm wichtig. 

Auch schon 2010, als er den Song „Dreh den Swag auf“ herausbringt und das dazugehörige Musikvideo auf Youtube hochlädt. Der Song geht viral. Sogar der Rapper Casper, damals kurz vor der Veröffentlichung seines Durchbruch-Albums „XOXO“, teilt ihn über seine Social-Media-Kanäle. Und trotzdem wird Money Boy in allen Medienberichten ähnlich dargestellt: als Depp. Eine Frage schwebt über allem: Meint der das echt ernst? Nur einer stellt sich diese Frage nicht: der Boy selbst. Natürlich meint er das ernst. Das checken die anderen nur nicht. Aber die sind eh nicht fly. Was für 1 Life.

Wie bitte? Auch das ist ein Teil der Evolution von Money Boy zum ernstzunehmenden Musiker: er redet ziemlich speziell. „Gönn dir“, „vong“, „was 1 Life“, „I bims“, „fly“, „ahnbar“, „Swag“. All das sind Begriffe, die Money Boy geprägt und etabliert hat. Nahezu jedes Jahr stehen seine Neologismen zur Debatte bei der Wahl zum „Jugendwort des Jahres“ – 2011 („Swag“), 2016 („fly sein“) und 2017 („I bims“) haben sie sogar gewonnen.

Money Boy weiß, was er tut. Als Sohn einer Lehrerin und eines Unternehmers wuchs er im 15. Wiener Bezirk Rudolfsheim-Fünfhaus auf. An der Universität Wien studierte er bis 2008 Publizistik und Kommunikationswissenschaft und machte einen Magisterabschluss. Prof. Dr. Peter Vitouch betreute damals seine Arbeit. In einem Interview beschreibt er, was ihn an dem Rapper fasziniert: „Ich möchte vorab sagen, dass ich Money Boy für alles andere als dumm halte. Das darf man ihm nicht unterstellen, auch wenn seine Produktionen da gerne einen anderen Eindruck vermitteln. Money Boy beliefert die Population mit den besten Versatzstücken aus seiner Erfahrung im wissenschaftlichen und privaten Umgang mit Rap. Und das funktioniert. Er wirft seinem Publikum genau das vor, was sie brauchen, akzeptieren oder wollen. Das ist eine bemerkenswerte publizistische Leistung.“

2019 geht es Money Boy offenbar darum, in allen Bereichen seines Entertainer-Daseins ein höheres Maß an Qualität zu liefern. Er verzichtet auf abgelesene Freestyles, schlechte Comedy-Shows und Physik-Unterricht auf Youtube. Alles kam eigentlich gut bei den Internet-Hiphop-Fans an. Warum der Wandel? Zurück zu Lgoonys These vom Anfang. Gibt sich Money Boy jetzt wirklich mehr Mühe? Verzichtet er auf das kalkulierte „Schlechte“? „Man muss aufpassen, wenn man bei ihm das Wort ‚Trash‘ verwendet“, sagt sein Produzent Young Kira, der auch schon für Capital Bra und Prinz Pi gearbeitet hat. „Vielleicht war es genau Money Boys Qualität, dass er es so gemacht hat, wie er es gemacht hat. Seine Hoodreports von früher kennt jeder. Sie strahlen genau den Charme aus, den es damals gebraucht hat. Und das kann man auch auf seine Tracks übertragen.“

„Die Ausarbeitung der Idee ist ihm heute wichtiger als früher“, sagt Young Kira

In den Hood Reports erklärte Money Boy in Selfievideos, wie das Leben in seinem Wiener Bezirk so abläuft. Die Themen: seine alles überstrahlende Freshness, Buttermesser als Nahkampfwaffen und allerlei weiteres Gangsterzeug. Das alles hat genug Potenzial, um äußerst peinlich zu werden. Ein weißer Mann mit Magisterabschluss, der mit Cap und XXL-Baggyhose durch Wien läuft und von den Unwegsamkeiten seines bürgerlichen Stadtviertels berichtet. Aber Money Boy erzählte die Geschichten so überspitzt und dadurch pointiert, dass das Format einen durchaus hohen Unterhaltungswert hat. Die letzte Folge ist mittlerweile ein paar Jahre her, ein Nachfolger bis jetzt noch nicht angekündigt. Das Internet wäre begeistert.

„Die Ausarbeitung der Idee ist ihm heute wichtiger als früher“, sagt Young Kira. „Money Boy hat oft signalisiert, dass er sich da mehr Gedanken machen möchte. Er recordet nicht mehr alles zu Hause, sondern in Wien im Studio. Man merkt, dass er da eine Entscheidung getroffen hat. Er hat Bock.“ Und dabei bleibt er Rap-Fan. Auch für Money Boy, der schon so manches im Laufe seiner Karriere vorher kalkuliert hat, wäre es wohl ein Leichtes gewesen, sich einen Dancehall-Afrotrap-Beat zu schnappen, ein aufwendiges Video dazu zu drehen und auf der aktuellen Deutschrap-Welle mit zu surfen.

Aber: „Money Boy hat einen anderen Ansatz gewählt“, sagt Young Kira. „Er bringt vielleicht Songs raus, die als ‚schlecht‘ angesehen werden, aber er probiert damit eigentlich nur aus, was funktioniert. Das machen andere genauso – die bringen zehn Songs raus und hoffen, dass einer davon irgendwie ein Hit wird.“

In Deutschland wird Musik, vor allem Hip-Hop, oft ambivalent wahrgenommen. „Wenn die 257ers einen Song über ein Stück Holz schreiben, ist das cool und witzig und die ganzen Mallorca-Leute feiern das. Aber wenn Money Boy mit Absicht den Song ‚Dicke Eier‘ macht, dann ist das nicht lustig?“, fragt Young Kira. „Das ist einfach eine Sache des persönlichen Humors. Ich kenne genug Leute, die das, was Money Boy macht, krass finden und sagen: ‚Das kann keiner außer ihm.‘“

Das Phänomen Money Boy ist vergleichbar mit dem Hype um die Rapperin Bhad Bhabie in den USA. Die mittlerweile 16-jährige Danielle Bregoli wurde 2016 als Gast der US-Talkshow „Dr. Phil“ bekannt. Sie benahm sich dort daneben und wurde vor allem wegen ihres Spruchs „cash me outside, how 'bout dat“ bekannt. Irgendwie gelang es ihr anschließend, sich vom Internet-Meme zur jüngsten Rapperin der Geschichte zu mausern, die es in die Top 100 der US-Billboard-Charts geschafft hat. Eine Analogie zu Money Boy: Eigentlich macht sich jeder über sie lustig – aber irgendwie möchte man doch mehr von ihr sehen. Sie erfüllt sich gerade ihren Traum von der professionellen Musikkarriere.

Und genau das macht Money Boy auch. Er macht die Musik, auf die er Bock hat. Der Hype um seine Eskapaden (der legendäre Auftritt beim Fernsehsender joiz, kurzzeitige Namensänderung in Why SL Know Plug und so weiter) ist nicht mehr so groß wie noch vor zwei Jahren. Dies tut seiner Musik gut. Die nahbare Figur von früher, die wie der komische Typ von nebenan wirkt, bleibt er trotzdem. Nur, dass er sich mehr Mühe gibt. Mal schauen, was er als nächstes auf Lager hat. Wahrscheinlich etwas ganz anderes als die aktuelle Hustensaft-Drogen-Musik à la Ufo361 und Bonez MC in den Charts. Die hat Money Boy ja sowieso schon vor Jahren gemacht – als er noch dafür belächelt wurde.

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