Flutkatastrophe im Ahrtal

„Ich habe im Paradies gelebt“

Die Wassermassen haben Rebecca das Haus genommen.

Drei Monate später ist das Heimweh schwächer und Spendengeld überwiesen worden – aber noch lange nicht alles gut.

Flutkatastrophe im Ahrtal

„Ich habe im Paradies gelebt“

Die Wassermassen haben Rebecca das Haus genommen.

Drei Monate später ist das Heimweh schwächer und Spendengeld überwiesen worden – aber noch lange nicht alles gut.

Von Marcel Laskus
7. November 2021 - 9 Min. Lesezeit

Seit zweieinhalb Jahren lebt Rebecca mit ihrem Mann in einem Haus auf dem Grundstück ihrer Eltern in Dernau. Sie haben die Wohnung darin haben renoviert, eine neue Küche eingebaut, die Wände gestrichen, den Garten verschönert. Vor dem Haus parkt der VW-Bus, mit dem sie, so oft es geht, in den Urlaub fahren. Innen hat Rebecca, die gern malt und zeichnet, ihr eigenes kleines Atelier eingerichtet. Am Nachmittag des 14. Juli 2021 will Rebecca mit einem Freund weiter das Parkett verlegen. Der neue Boden wäre der letzte Schritt. Die Wohnung wäre dann endlich fertig und so, wie sie es sich vorgestellt haben. Dann fängt es an zu regnen. Und der Regen hört nicht mehr auf. Rebecca erzählt am Telefon:

Meine Alpträume waren mein Glück. Was ich nachts träume, ist am nächsten Tag lange in meinem Kopf präsent, ich reagiere darauf. Ein Traum, der zu dieser Zeit immer wiederkehrte, war, dass unser Haus einmal abfackeln würde. Das ist nie passiert. Aber ich habe meine Schlüsse daraus gezogen. Die Träume haben mich zum Nachdenken gebracht. Was würde ich in solch einer Situation als erstes retten? Intuitiv hatte ich schnell die Sachen beisammen, die ich unbedingt mitnehmen muss. Unsere Heiratsurkunde, Ausweise, den Laptop.“

Auf bis zu 5,3 Meter stieg das Wasser in Dernau, so zeigt es noch heute die Markierung an der Fassade von Rebeccas Haus. Rebecca und ihr Freund, der ihr an diesem Tag bei der Renovierung half, flüchteten auf die Terrasse eines Nachbarn, dessen Grundstück höher lag. Rebeccas Mann war für die Freiwillige Feuerwehr im Einsatz. Am nächsten Morgen wurden Rebecca und ihr Freund mit einem Helikopter aus dem überschwemmten Gebiet in Sicherheit gebracht.

Das Wasser war nun wieder weg. Aber alles war überzogen von einer dicken Schicht Schlamm. Es stank nach Benzin und Öl, man konnte es auf der Zunge schmecken. Bei der Tankstelle gegenüber zischte es. Ein Auto stand mitten auf den Gräbern des Friedhofs. Es fühlte sich an, als seien wir Darsteller in einem Katastrophenfilm. Im Haus angekommen wurde mir klar, was das Wasser angerichtet hat. Unser großer, schwerer Ami-Kühlschrank lag quer in der Küche. Wie ein gefällter Baum.

Als ich nach oben schaute, sah ich: Die Decke biegt sich ja nach unten. In diesem Moment war mir klar, dass ich hier weg muss.

Auf bis zu 5,3 Meter stieg das Wasser in Dernau, so zeigt es noch heute die Markierung an der Fassade von Rebeccas Haus. Rebecca und ihr Freund, der ihr an diesem Tag bei der Renovierung half, flüchteten auf die Terrasse eines Nachbarn, dessen Grundstück höher lag. Rebeccas Mann war für die Freiwillige Feuerwehr im Einsatz. Am nächsten Morgen wurden Rebecca und ihr Freund mit einem Helikopter aus dem überschwemmten Gebiet in Sicherheit gebracht.

Das Wasser war nun wieder weg. Aber alles war überzogen von einer dicken Schicht Schlamm. Es stank nach Benzin und Öl, man konnte es auf der Zunge schmecken. Bei der Tankstelle gegenüber zischte es. Ein Auto stand mitten auf den Gräbern des Friedhofs. Es fühlte sich an, als seien wir Darsteller in einem Katastrophenfilm. Im Haus angekommen wurde mir klar, was das Wasser angerichtet hat. Unser großer, schwerer Ami-Kühlschrank lag quer in der Küche. Wie ein gefällter Baum.

Als ich nach oben schaute, sah ich: Die Decke biegt sich ja nach unten. In diesem Moment war mir klar, dass ich hier weg muss.

Nach Angaben des Tourismusvereins sind etwa 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger des 1800-Einwohner-Ortes von den Schäden des Hochwassers betroffen. Etliche Gebäude in Dernau hat die Kraft der Wassermassen zerstört, andere Häuser müssen wegen der Feuchtigkeit entkernt oder abgerissen werden.

Manchmal habe ich mich schlecht gefühlt, weil ich so viel retten konnte. Andere Leute in Dernau haben alles verloren, einige sogar ihre Angehörigen. Ich habe aber auch einiges verloren. Ich male gerne, ein paar meiner Gemälde mussten weggeschmissen werden. Das Bulli-Buch, in dem wir unsere Reisen mit dem Bus festgehalten haben, auch. Genauso das Hochzeitsbuch, aber das hatte ich digital gespeichert und konnte es deshalb neu drucken. Am meisten habe ich mich über die Videokassetten geärgert. Ich wollte sie eigentlich endlich digitalisieren lassen, vor allem die Kassette von der Indienreise mit meinem Papa, bei der ich zwölf war. Denn diese Reise hat mich sehr geprägt. Hundert Euro hätte das gekostet. Ich war zu geizig. Jetzt bereue ich es.

Wir haben Fotos eingeschweißt, es mit Katzenstreu, Föhnen und anderen Techniken versucht. Das hat mal besser geklappt und mal weniger.

Es gibt ein Foto von einem Kindergeburtstag, da sind fast alle Teilnehmer durch die Feuchtigkeit verschwommen. Nur meine Cousine ist noch drauf. Ich habe es behalten.

Beim Aufräumen dachte ich immer wieder: Wäre es nicht einfacher gewesen, wenn alles weg wäre? Die ganzen Wasch-Tage, alles zu putzen, und es dann doch nicht sauber zu bekommen.

Ich konnte beim Löschen der Erinnerungen zusehen. Das war schmerzhaft.“

Wir haben Fotos eingeschweißt, es mit Katzenstreu, Föhnen und anderen Techniken versucht. Das hat mal besser geklappt und mal weniger.

Es gibt ein Foto von einem Kindergeburtstag, da sind fast alle Teilnehmer durch die Feuchtigkeit verschwommen. Nur meine Cousine ist noch drauf. Ich habe es behalten.

Beim Aufräumen dachte ich immer wieder: Wäre es nicht einfacher gewesen, wenn alles weg wäre? Die ganzen Wasch-Tage, alles zu putzen, und es dann doch nicht sauber zu bekommen.

Ich konnte beim Löschen der Erinnerungen zusehen. Das war schmerzhaft.“

In den Tagen nach der Flut reisten etliche Politikerinnen und Politiker in von der Flut betroffenen Gebiete, um den Betroffenen Mut zuzusprechen, unter ihnen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Nachdem sie zuvor an anderen Orte war, besuchte sie auch Altenburg. Hier, zehn Kilometer entfernt von Dernau, leben Rebeccas Eltern.

Altenburg hatte direkt nach der Flut sehr wenige Hilfskräfte und kaum Soldaten von der Bundeswehr vor Ort. Das soll nicht undankbar klingen. Jeder, der dabei war, war eine große Hilfe. Wir hätten mehr Menschen dort gebraucht, und so musste die Hilfe in Altenburg fast komplett von freiwilligen Helfern gestemmt werden. Dann kündigte sich für den 3. September der Besuch von Angela Merkel an. Ich verstehe ja, dass es für viele Betroffene gut ist, mal gehört zu werden, und dass die politischen Führungspersonen vor Ort sind. Aber was der Besuch von Angela Merkel ausgelöst hat, hat mich sehr gewundert. Denn kurz bevor sie kam, passierten plötzlich Dinge, die tagelang, wochenlang nicht möglich waren. Auf einmal rückte das THW an und die Bundeswehr. Plötzlich war es offenbar möglich. Das fühlte sich an wie ein Fake.“

Wie in vielen betroffenen Gebieten waren es auch in Dernau die freiwilligen Helferinnen und Helfer, die in den Tagen und Wochen nach der Flut die überfluteten Keller und Häuser von Schlamm und Müll befreiten. Rebeccas Bruder sprühte nach der Flut seine Handynummer an die Fassade der Hauswand. Sie selbst sah sich für die nächsten Tage nicht in der Lage, zum Haus zurückzukehren. Kurz darauf meldeten sich mehrere Menschen, um zu helfen.

Ich bin ausgebildete Mediengestalterin und seitdem ich denken kann, zeichne und male ich leidenschaftlich gern. Schon immer wollte ich eines Tages ein wirklich großes Kunstwerk erschaffen. Und so dachte ich mir beim Anblick unseres Hauses: Das können wir sowieso nicht mehr nutzen. Jetzt ist da schon die Handynummer meines Bruders draufgesprayt. Wieso also nicht gleich die Fassade zur Leinwand machen? Eine Nachbarin hat schon ein paar Tage vorher damit angefangen.

Alle paar Tage komme ich zurück zu meinem alten Zuhause und sprühe Sprüche und Dinge an die Wände, die mir durch den Kopf gehen. Ein Bild vom Helikopter, der uns gerettet hat. Dankesworte an die vielen freiwilligen Helfer („Jeder Helfer ist ein Held“). Worte, die den Opfern der Katastrophe Mut machen sollen („Jeder Betroffene ist ein Superheld“).

Ende Oktober habe ich an einem Samstag alle Kinder aus dem Ahrtal dazu eingeladen, sich mit Acrylfarben und Spraydosen an der Fassade zu verewigen. Viele von ihnen haben noch so viel zu verarbeiten.”

Alle paar Tage komme ich zurück zu meinem alten Zuhause und sprühe Sprüche und Dinge an die Wände, die mir durch den Kopf gehen. Ein Bild vom Helikopter, der uns gerettet hat. Dankesworte an die vielen freiwilligen Helfer („Jeder Helfer ist ein Held“). Worte, die den Opfern der Katastrophe Mut machen sollen („Jeder Betroffene ist ein Superheld“).

Ende Oktober habe ich an einem Samstag alle Kinder aus dem Ahrtal dazu eingeladen, sich mit Acrylfarben und Spraydosen an der Fassade zu verewigen. Viele von ihnen haben noch so viel zu verarbeiten.”

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft schätzt den Versicherungsschaden, der durch die Flut entstanden ist, auf mehr als sieben Milliarden Euro. Etwa die Hälfte der Betroffenen war nicht gegen Elementarschäden und damit nicht gegen die Schäden einer Flut geschützt. Das Haus, in dem Rebecca lebte, ist über ihren Vater versichert. Jedoch nicht ihr Hausrat. Organisationen und Unternehmen sammelten in den Wochen nach der Flut Spenden, um denjenigen zu helfen, die nicht versichert waren. Allein das das Aktionsbündnis „Deutschland hilft“ kam bis Mitte September auf mehr als 250 Millionen Euro.

Wir wollen unser Haus definitiv abreißen. Aber dazu sind wir noch immer im Austausch mit der Versicherung. Genauso ist es mit den Spendengeldern: Anfangs habe ich Termine verpasst, um Anträge einzureichen, es gab einfach zu viel zu tun. Außerdem waren die Schlangen vor Ort wahnsinnig lang. Um uns damit zu beschäftigen, waren wir zu schwach. Später haben wir es mit Hilfe der Familie geschafft. Einmal hatte sich rumgesprochen, dass vor Ort die Gelder aufgebraucht seien – was nicht gestimmt hat, wie wir im Nachhinein erfuhren.

Auch jetzt, drei Monate nach der Flut, müssen wir uns noch damit befassen. Über eine Spendeninitiative haben wir Geld bekommen, das war recht einfach. Vom Kreis Ahrweiler gab es ebenfalls Geld. Am kompliziertesten ist es mit den staatlichen Soforthilfen. Rückblickend kann ich sagen: Die Spenden der Bürger, Gemeinden, Firmen und Feuerwehrvereine waren deutlich mehr als die Hilfen des Staates.

Vor zwei Wochen habe ich die staatliche Wiederaufbauhilfe beantragt, die bis zu 80 Prozent der Schäden ersetzen soll für die Leute, die nicht versichert waren. Beim Ausfüllen des Antrags war ich mir sehr unsicher, denn ich wollte kein falsches Häkchen setzen und mich nicht wie eine Betrügerin fühlen. Unsere Küche ist kaputt, der Fernseher, der Thermomix und einiges mehr. Ein Wert von etwa 15 000 bis 20 000 Euro, haben wir geschätzt. Die Fahrräder konnten wir säubern, unser PC stand 20 Zentimeter im Wasser, trotzdem hat ein Kumpel ihn nach 13 Stunden Arbeit wieder repariert.

In einem Feld wurde man gefragt, wie hoch der Schaden denn sei: 25, 50, 75 oder 100 Prozent. Aber ob wir 75 Prozent oder 100 Prozent unseres Hausrats verloren haben? So genau kann ich das nicht sagen. Und dann stand: ,Ich versichere, dass meine Angaben richtig sind.‘ Als ich das Häkchen gesetzt habe, habe ich mich unwohl gefühlt.“

Nach der Flut sind Rebecca und ihr Mann in eine Ersatzwohnung mit drei Zimmern nahe der Mosel gezogen, die sie über einen Kollegen bekommen haben, etwa eine Stunde entfernt von ihrem alten Haus. Sie hatten Glück. Ihre Eltern müssen sich ein Ein-Zimmer-Apartment teilen.

Ich habe die Situation akzeptiert und denke nicht mehr ständig an unsere alte Wohnung, auch wenn ich weiß: An Weihnachten wird das Heimweh hochkommen.

In unserer neuen Wohnung machen wir nur das Nötigste. Wir sind sehr dankbar, es ist nicht unbedingt unser Stil, die Möbel sind aus massivem Holz. Man sieht: Hier hat ein alter Mann gewohnt. Wir haben die Küche entrümpelt, ein paar eigene Bilder aufgehängt, eine bequemere Couch aufgestellt. Man müsste hier eigentlich mal streichen, aber das machen wir nicht, weil wir nciht wissen, wie lange wir hier bleiben werden.

In unserer neuen Wohnung machen wir nur das Nötigste. Wir sind sehr dankbar, es ist nicht unbedingt unser Stil, die Möbel sind aus massivem Holz. Man sieht: Hier hat ein alter Mann gewohnt. Wir haben die Küche entrümpelt, ein paar eigene Bilder aufgehängt, eine bequemere Couch aufgestellt. Man müsste hier eigentlich mal streichen, aber das machen wir nicht, weil wir nciht wissen, wie lange wir hier bleiben werden.

In den Wochen nach der Flut war gerade nach anstrengenden Tagen mein erster Gedanke: Wann fahren wir denn nach Hause? Es fiel mir schwer, die neue Wohnung als Zuhause zu begreifen. Immer habe ich gesagt: Ich fahre in meine Unterkunft. Ich wusste nicht, wie ich es sonst nennen soll. Mittlerweile habe ich einen Weg gefunden, der weniger seltsam klingt. Die zwei Orte nenne ich: Mein jetziges Zuhause. Und meine Heimat. Das bleibt Dernau.

Bis zum Tag der Katastrophe waren mein Mann und ich, so oft es ging, mit unserem VW-Bus unterwegs, in dem wir übernachtet haben. Wir waren in Slowenien, in Österreich, in Kroatien, am Bodensee und in den Niederlanden. Ich wollte immer weg. Als die Flut uns das feste Zuhause genommen, dachte ich: Jetzt geht also das Vollzeit-Van-Life los. Zum Glück haben wir den Bus. Doch das Gegenteil ist der Fall: Das Fernweh wurde ausgetauscht gegen Heimweh, was ich nie gedacht hätte.

Bis zum Tag der Katastrophe waren mein Mann und ich, so oft es ging, mit unserem VW-Bus unterwegs, in dem wir übernachtet haben. Wir waren in Slowenien, in Österreich, in Kroatien, am Bodensee und in den Niederlanden. Ich wollte immer weg. Als die Flut uns das feste Zuhause genommen, dachte ich: Jetzt geht also das Vollzeit-Van-Life los. Zum Glück haben wir den Bus. Doch das Gegenteil ist der Fall: Das Fernweh wurde ausgetauscht gegen Heimweh, was ich nie gedacht hätte.

Mir ist klar geworden: Ich habe im Paradies gelebt. Ein riesiger Garten. Der Blick auf die Weinberge. Das schöne Haus meiner Familie. Die Nähe zu den Menschen, die ich liebe. Das ist es, was mir ausreicht. Große Reisen wären mir jetzt einfach zu anstrengend. Ich bin gesättigt von Abenteuern.“

Team

Text Marcel Laskus
Digitales Storytelling Marcel Laskus, Christian Helten
Digitales Design Dominik Wierl