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„Wir haben nie mit Schmugglern zusammengearbeitet“

Kapitän Darisuh Beigui hängt seit Tagen nur noch am Telefon.
Foto: Paul Lovis Wagner

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Im Sommer 2017 wurde die Iuventa, das Schiff der Organisation Jugend Rettet, von den italienischen Behörden auf Sizilien beschlagnahmt. Der Vorwurf: „Beihilfe zur illegalen Einwanderung“. Der Fall wurde im italienischen Wahlkampf zum Politikum. Angestachelt durch den Rechtspopulisten Matteo Salvini kursierte ein Bild in der Boulevardpresse, das Helfer*innen dabei zeigen soll, wie sie mit Schleppern kooperieren. Obwohl diese Anschuldigungen von einem Forscher*innenteam der Goldsmith Universität in London wissenschaftlich widerlegt sind, trug die Kampagne wesentlich zum schlechten Ruf der Seenotrettung in Italien bei. Seit Dienstag vergangener Woche sind die Ermittlungen abgeschlossen, 21 der Seenotretter*innen werden angeklagt. Damit werden zum ersten Mal Seenotretter*innen in Italien vor Gericht stehen. Jetzt hat mit Dariush Beigui telefoniert, kurz nachdem ihn die Nachricht erreichte. Er wird als Kapitän der Iuventa angeklagt.

jetzt: Wie geht es dir gerade?

Dariush Beigui: Mein Telefon steht seit Dienstagvormittag nicht mehr still, ich bekomme im Sekundentakt Nachrichten. Der Kopf schwirrt zu sehr, als dass ich darüber nachdenken könnte, was da eigentlich gerade los ist. Ich weiß schon gar nicht mehr, welcher Tag heute ist.

Wie hast du davon erfahren, dass du jetzt in Italien angeklagt wirst?

Am Dienstag habe ich eine Mail von unserem Anwalt in Italien bekommen. Er schrieb, dass die Ermittlungen abgeschlossen sind und gegen einige von uns jetzt Anklage erhoben wird. Ich war gerade auf der Arbeit, ich arbeite als Hafenschiffer in Hamburg. Ich hab dann noch meine Schicht zu Ende gemacht und seitdem hänge ich in einer Telefonkonferenz mit Anwält*innen, Unterstützenden und Betroffenen nach der nächsten. 

Die Ermittlungen haben sich über drei Jahre gezogen. Hast du damit gerechnet, dass es tatsächlich zu einem Prozess kommt?

Dass es irgendwann losgeht, damit habe ich gerechnet. Ich habe nie gedacht, dass die Staatsanwaltschaft die Vorwürfe fallen lässt, dazu ist das Ding zu groß. Im August 2017 wurde unser Schiff beschlagnahmt. Ein Jahr später erfuhren wir, dass gegen zehn Menschen aus der Iuventa-Crew ermittelt wird. Fünf italienische Behörden waren an den Ermittlungen beteiligt, die Iuventa war drei Monate verwanzt – das Ganze war ein riesiger Aufwand. Am Anfang haben unsere Anwälte noch regelmäßig gesagt: „Bald geht der Prozess los.“ Das haben sie dann irgendwann aufgegeben. Wir hatten uns an diesen Wartezustand gewöhnt.

 „Aus diesem kleinen Iuventa-Fall ist ein großer Schlag gegen die gesamte zivile Seenotrettung geworden“

Vergangene Woche konnte die Sea Watch 4 nach fünfmonatiger Blockade im Hafen von Palermo wieder ablegen. In welcher Situation trifft der Prozess gegen euch die zivile Seenotrettung?

Ich habe das Gefühl, in der vergangenen Woche gab es einen krassen Rundumschlag gegen die Seenotrettung. Am Dienstag wurde auch Anklage gegen die Crew der Aquarius erhoben, denen illegale Müllentsorgung in Italien vorgeworfen wird. Bei dem italienischen Verein Mediterranea, der das Schiff Mare Jonio betreibt, gab es Hausdurchsuchungen. Was mich und andere Betroffene besonders erstaunt, ist, dass auch eine Reederei, die zwei großen NGOs – Ärzte ohne Grenzen und Save the Children – und 20 weitere Menschen angeklagt sind. Die wussten alle bis dahin nicht, dass überhaupt gegen sie ermittelt wurde. Aus diesem kleinen Iuventa-Fall ist ein großer Schlag gegen die gesamte zivile Seenotrettung geworden.

Mit dem Zusammenbruch der Koalition in Italien und dem Rücktritt Salvinis aus der Regierung sah es kurz so aus, als würde es etwas ruhiger um die Seenotrettung werden. 

Ich durchsteige die italienische Gesellschaft nicht. Ich habe das Gefühl, da gibt es zwischen super links und Berlusconi wenig Zwischenpositionen. In Deutschland hat sich mit den ganzen Seebrücke-Gruppen (Anm. der Red.: internationale Bewegung aus der Zivilbevölkerung) viel getan. Italien war dagegen nie ein leichtes Ziel für Seenotrettungsorganisationen. Unter fadenscheinigen Argumenten durften Schiffe immer wieder nicht auslaufen. Die Sea Watch 3 zum Beispiel, weil sie zu viele Rettungswesten an Bord hatte.  

Warst du selbst nach dem Iuventa-Fall noch mal auf dem Mittelmeer unterwegs?

Nachdem die Iuventa beschlagnahmt wurde, riet unser Anwalt uns, erstmal nicht mehr aufs Meer zu fahren. Das würde die Chance auf eine Untersuchungshaft erhöhen. Daran haben wir uns auch eine Zeit lang gehalten. Einige von uns haben es aber nicht mehr ausgehalten, nur zuzusehen, wie weiter Menschen ertrinken. Unser Anwalt sagte damals selbst: „Es gibt Zeiten, da hört man auf seinen Anwalt und es gibt Zeiten, da hört man auf sein Herz.“ Ich persönlich war seitdem nicht mehr auf dem zentralen Mittelmeer. Dafür aber auf der Mare Liberum in der Ägäis, wo wir Menschenrechtsverletzungen dokumentiert haben. 

„Nachdem die Iuventa beschlagnahmt wurde, riet unser Anwalt uns, erstmal nicht mehr aufs Meer zu fahren“

Euch und anderen wird vorgeworfen, mit Schleppern kooperiert zu haben. Ihr wurdet abgehört, eure technischen Geräte wurden beschlagnahmt und ausgewertet. Was werden die Behörden da finden?

Das wissen wir noch nicht. Die Brücke der Iuventa war drei Monate verwanzt. Aber weder auf unseren Geräten, noch bei den Gesprächen auf der Brücke werden sie irgendetwas finden, das uns ernsthaft belastet. Wir haben nie mit Schmugglern zusammengearbeitet. Es gab solche Verabredungen nicht. Sie hätten uns auch ein Jahr lang abhören können, sowas werden sie nicht finden. Was aber schon passieren kann, ist, dass jemand bei der Nachtschicht mal gestanden hat, dass er seine Freundin betrogen hat, peinlicher Smalltalk – an Shitstorm-Material gibt es bestimmt einiges. Aber sicher nichts, was vor Gericht zulässig ist.

Macht dich das gegenüber dem Prozess gelassener?

Für mich persönlich bin ich sehr gelassen. Was sich über Jahre angedeutet hat, habe ich jetzt schriftlich. Ich werde einen Prozess in Italien haben. Der wird ewig dauern. Das Schlimmste, das mir droht, ist eine Haftstrafe in einem europäischen Gefängnis. Das ist nicht schön oder erstrebenswert, aber im Vergleich zu dem, was die Menschen durchgemacht haben, die ich auf dem Mittelmeer getroffen habe, ist das immer noch sehr harmlos. Ein europäisches Gefängnis ist vermutlich ein Luxushotel im Vergleich zu einem libyschen Arbeitslager.

Du klingst wütend.

Ich bin schon sauer, aber nicht wegen mir selbst. Dieser ganze Prozess gegen uns und andere NGOs macht mich wütend. Mich kostet das Zeit, Nerven und Geld. Andere Menschen kostet es das Leben. Solange Schiffe im Hafen festgehalten werden, sterben mehr Menschen. Für mich ist das ein anstrengender Tag von vielen, aber für Andere beutetet es, dass ihnen niemand mehr hilft und sie potenziell ertrinken. Dass europäische Staaten nicht mehr eigene Hilfsmissionen fahren, ist die eine Sache, dass sie uns aber am Helfen hindern, das macht mich wirklich wütend. Wir haben die Gelder selbst gesammelt, wir haben Crews aus Freiwilligen zusammengestellt, wir haben selbst die Schiffe besorgt. Wir wollten nie staatliche Unterstützung dafür. Wir wollten nur, dass ein paar weniger Menschen ertrinken und das wird durch einen solchen Prozess unmöglich gemacht. Darüber könnte ich mich tagelang aufregen.

Wie sehen deine nächsten Tage aus?

Ich befürchte stressig. Ich hoffe, es geht nicht so drunter und drüber wie in den letzten paar Tagen. In Italien ist das System etwas anders als in Deutschland. Zunächst gibt es eine Vorverhandlung, bei der entschieden wird, ob der Fall vor Gericht kommt. Es kommt aber so gut wie nie vor, dass das nicht passiert. Wir haben jetzt 20 Tage Zeit, alles einzureichen, was für diese Verhandlung berücksichtigt werden soll. Bisher haben unsere Anwält*innen aber noch nicht mal Akteneinsicht bekommen. Das wird knapp, die Ermittlungen aus drei Jahren in weniger als diesen 20 Tagen durchzugehen. Ich werde sehr viele Telefonkonferenzen haben. Und abends werde ich viel Schnaps trinken.  

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