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Bleibt ein durchgestrichenes Hakenkreuz ein Hakenkreuz?

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In den letzten Monaten – so hat man das Gefühl - häufen sich die Fälle, in denen Gegner des Rechtsextremismus von der Polizei belangt werden, weil sie angeblich verfassungsfeindliche Symbole verbreiten. Vor wenigen Tagen wurde etwa der türkisch-deutsche Regisseur Fatih Akin („Gegen die Wand“) aufgrund eines Zeitungsfotos angezeigt: Auf diesem trug er ein T-Shirt mit dem Schriftzug „Bush“, wobei das "s" durch ein Hakenkreuz ersetzt war. Das war der vorerst letzte Fall, der bekannt wurde. Eine Chronologie der Anklagen aufgrund des Paragraphen 86a in den letzten 15 Monaten: Mai 2005 Ein 22-jähriger Tübinger Student trug vier Jahre lang am Rucksack einen Button mit einem Hakenkreuz, das nach Art eines Halteverbotsschilds rot durchgestrichen war. Am 1. Mai 2005 wurde der Student bei einer Demonstration von einem Polizisten durchsucht und sein Button konfisziert.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Gerichte uneins: Sind auch durchgestrichene Hakenkreuze nach Paragraph 86a des Strafgesetzbuches verboten? Foto: dpa Das auch ein durchgestrichenes Hakenkreuz verboten ist, wusste und glaubte der Student nicht. Die Geschichte von der Leibesvisitation und der Beschlagnahmung erzählte er seinen Freunden - lachend, aber ungläubig. Wenige Monate später stand er vor Gericht: Die Richterin sprach ihn auch noch schuldig. 50 Euro sollte er an die Gedenkstätte eines Konzentrationslagers spenden, weil ein japanischer Tourist nicht erkennen könne, so die Argumentation der Staatsanwaltschaft, dass es sich bei dem durchgestrichenen Hakenkreuz um ein antifaschistisches Symbol handele. Der Tourist sehe nur das NS-Zeichen. „Auch zum Widerstand gegen Rechtsradikalismus sollen keine NS-Zeichen verwendet werden“, begründete die Richterin das Urteil. „Es soll verhindert werden, dass diese Symbole wieder in den politischen Alltag einziehen.“ Der Student legte Berufung ein und erhielt vom Landgericht später auch Recht. „Gerade der rote Balken im roten Kreis ist international als Verbotszeichen bekannt und würde folglich auch von jedem Touristen verstanden“, sagte der Berufungsrichter. Die Zuschauer im Tübinger Gerichtssaal waren erheitert, grölten und applaudierten, als der Richter dem Studenten den Button aushändigte. "Ich bin nur noch müde, aber glücklich. Dieser Prozess ist ein echter Marathon gewesen." August 2005 „Ein Strichmännchen, das ein Hakenkreuz in eine Mülltonne kloppt, könnte schon bald zum beliebten Symbol unter Neonazis werden. Das befürchtet die Stuttgarter Staatsanwaltschaft“, kommentierte die Berliner „tageszeitung“ den „Fall Nix Gut“. In diesem drehte sich alles um den schwäbischen Versandhandel „Nix Gut“, der Utensilien für Antifaschisten anbietet – darunter natürlich auch viele durchgestrichene Hakenkreuze. Die Polizei hat daraufhin im August 2005 T-Shirts, Aufkleber, Buttons, Aufnäher, tausende „Nix Gut“-Kataloge, sowie die Kundendatei beschlagnahmt. Auch hier lautete der Vorwurf, der Versandhandel würde „nationalsozialistische Symbole wie Hakenkreuze gewerbsmäßig verbreiten“.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Screenshot nix-gut.de Das Landesgericht Stuttgart weigerte sich aber, den Prozess zu eröffnen. "Der Fall war wohl zu eindeutig", sagt ein "Nix Gut"-Mitarbeiter. "Das Landesgericht wurde aber dann vom Oberlandesgericht gezwungen den Prozess, auf dessen Beginn wir immer noch warten, zu führen." Der Versandhandel "Nix Gut" hat einen Blog ins Leben gerufen, der sich intensiv mit der Thematik rund um den Paragraphen 86a beschäftigt. Oktober 2005 Irmela Mensah-Schramm ist 60 Jahre alt, Heilpädagogin und Menschenrechtsaktivistin. Seit zwei Jahrzehnten entfernt sie auf eigene Kosten in Berlin rassistische und antisemitische Aufkleber und Graffiti. Diese Arbeit dokumentierte die 60-Jährige und stellte die Fotos bundesweit aus. 2005 erhielt sie dafür den Erich-Kästner-Preis. Im Oktober 2005 nahm Irmela Mensah-Schramm in Potsdam an einer Demonstration unter dem Motto „Wer schweigt, stimmt zu!“ teil. Sie trug ein Plakat, auf dem mittig ebendieser Slogan in großen Lettern stand. „Am Rand, wohlgemerkt an dem rechten Rand, konnte man Schmierereien sehen: ,Tötet Moslems!', ,Judenschwein' und Hakenkreuze“, erinnert sich Mensah-Schramm. „Die Polizei wollte besonders gründlich sein – vielleicht war ihnen auch langweilig und deshalb trat ein Polizist an mich heran.“ Wegen den Hakenkreuzen wurde sie dann von der Polizei abgeführt und angezeigt. Weil die Polizei aber „nur“ wegen des verfassungsfeindlichen Symbols einschritt und nicht wegen der antiislamistischen und antisemitischen Graffiti, zeigte sich die 60-Jährige gleich noch selbst an: wegen Volksverhetzung. „Das haben die aber nicht ernst genommen.“ Auch die Anzeige wegen der Hakenkreuze wurde fallengelassen: „Das war ihnen peinlich!“ März 2006 Im März hat die Bundesvorsitzende der Grünen, Claudia Roth, sich bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart selbst angezeigt, um ein Zeichen für Zivilcourage zu setzten. Nach eigener Aussage hat sie mehrfach einen Button mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz getragen.

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Claudia Roth (links) und Ines Brock, Landesvorsitzende der Grünen in Sachsen-Anhalt, präsentieren ein Wahlplakat. Foto: ddp Jetzt „besteht der Verdacht, dass (Claudia Roth) sich eines Vergehens nach §86a StGB schuldig gemacht (hat)“, schrieb der leitende Oberstaatsanwalt Siegfried Mahler daraufhin Anfang Juni an Roths Anwalt. „Ich beabsichtige deshalb, das Ermittelungsverfahren (…) einzuleiten.“ Bisher ist aber, nach Auskunft von Roths Büroleiter Michael Kellner, kein weiterer Schritt unternommen worden. Roth ist der Meinung, dass ein durchgestrichenes Hakenkreuz – wie „unschwer erkennbar“ – das Symbol derjenigen ist, die sich gegen Rechtsextremismus wenden. Mit ihrer Selbstanzeige will sie gegen die Razzia und Beschlagnahmungen bei dem linken Online-Versand „Nix Gut“ protestieren. "Wir brauchen keine Verfolgung von jungen Leuten, die sich mit friedlichen Mitteln gegen Rechtsextremismus engagieren!", erklärte die 51-jährige Politikerin. Juni 2006 Hans Söllner und die Polizei - das ist eine eigene und nie endende Geschichte. „Diesmal war die Staatsanwaltschaft auf den glorreichen Gedanken gekommen, Hans Söllner sei ein Rechtsradikaler“, erklärte Hans Söllners Rechtsanwalt Jürgen Arnold.

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Illustration: Julia Schubert

Im Januar saß Hans Söllner schon einmal vor Gericht: wegen Beleidigung des bayerischen Innenministers Günther Beckstein. Foto: ddp Diesen Verdacht bekam die Staatsanwaltschaft Traunstein, weil der linke Liedermacher ein T-Shirt trug, mit dem er gegen den Irakkrieg demonstrieren wollte und auf dem die drei Konterfeis von Bush, Blair und Hitler abgebildet waren. Es folgten Hausdurchsuchungen in Söllners Privatwohnung und in den Geschäftsräumen der Plattenfirma Trikont. „Diesmal waren wir nicht nur überrascht, sondern haben uns zusammengesetzt und laut gelacht“, kommentierte der 50-jährige Hans Söllner die Razzien. „Mir zu unterstellen, dass ich nationalsozialistische Symbole verbreite oder ich wäre Rechtsextremist oder Neonazi, das wäre ja, als würde man Astrid Lindgren unterstellen, sie verbreite Kinderpornografie, weil Pippi Langstrumpf Strapse und zerrissene Strümpfe trägt.“ Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautet, dass Hans Söllner verfassungsfeindliche Symbole verwendet und verbreitet - mit welcher Absicht Söllner das "Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen" getragen habe, spiele dabei keine Rolle, so ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Am 4. August gelang Söllner aber ein juristischer Sieg: Das Landgericht Traunstein schloss sich Söllners Beschwerde gegen die Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen an und stellt die Rechtswidrigkeit dieser Durchsuchungen fest.

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