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Kiez-Krise in Hamburg: Und am Ende kommen Touristen

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Es gibt natürlich auch Leute, die mit dem Kiez nichts am Hut haben. Die zum Feiern anderswohin gehen, weil es ihnen auf St. Pauli zu anstrengend ist: zu voll, zu verschwitzt, zu versoffen. Genauso gibt es Leute, die mit den Schultern zucken, wenn sie auf Adressen wie das „Molotow“ angesprochen werden, oder das „Kukuun“. Weil sie noch nie davon gehört haben, obwohl sie in Hamburg leben. Die kommen hier aber nur vor, weil sie sonst gerne mal übersehen werden. Weil es von außen aussieht, als würde jeder der 1,8 Millionen Einwohner Hamburgs mindestens zweimal pro Woche auf St. Pauli durchfeiern, wenn mal wieder von der „legendären Clubszene“ zu lesen ist. Stimmt natürlich nicht. Es werden sogar immer weniger – und irgendwie liegt genau darin das Problem. Donnerstagabend, 21 Uhr. Vor dem Eingang des legendären Kellerclubs "Molotow", am Spielbudenplatz, stehen Alisa, Niklas, Micha und noch ein paar andere Stammgäste. Nicht zum Feiern: Micha ist hier, weil er im Molotow arbeitet und Andi, der Betreiber, heute Abend keine Zeit hat. Alisa, Niklas und die anderen, weil sie Großes vor haben: Sie wollen das „Molotow“ retten. Dem Kellerclub droht die Schließung – und der Clublandschaft auf dem Kiez damit umso unmittelbarer das Aussterben.

Das Molotow hat die Hausnummer 5, und Spielbuden stehen auf diesem Platz längst nicht mehr. Sondern links neben dem Molotow ein Musicaltheater, in dem seit Oktober ein abendfüllendes Potpourri aus Gassenhauern von Udo Jürgens aufgeführt wird, direkt vor dem Eingang eine gewaltige, rot-grün-blau-weiß-pink blinkende Bühne in Grau-Metallic. Zur Elbe sind es sieben Minuten zu Fuß, zwei Minuten bis zum Heiligengeistfeld, zwei in die andere Richtung bis zur Davidwache und dem Burgerking mit Frauen vor dem Fenster, die auch solche Männer ansprechen, die nicht aussehen, als hätten sie’s darauf angelegt. Das interessiert aber nur Touristen. Die, die nicht wegen der – schon wieder dieses Wort – legendären Musiklandschaft da sind, sondern wegen Udo Jürgens, gerade noch „Dirty Dancing“ oder bald „Tarzan“. Meistens mit dem Bus, Reeperbahnbummel inklusive. Was hier wirklich abgeht – nicht nur im Negativen – kriegen die gar nicht mit. Clubeingänge übersieht man leicht. Und viele Hamburger kommen schon lange nicht mehr. An diesem Donnerstagabend, ist fast niemand unterwegs. „Ich will niemandem vorwerfen, dass er wenig Geld hat“ Weil im „Molotow“ der Getränkeumsatz so stark zurückgegangen ist, dass der Club sogar bei vollem Haus Verluste einfährt, hat Andi zum Jahresende den Mietvertrag nicht verlängert. „Sonst würde ich voll in die Pleite rauschen“, sagt er. 350 Leute passen rein, hier haben The White Stripes, Billy Talent und Mando Diao gespielt – unter anderen. „Noch steht Hamburg auf allen möglichen Tourplakaten“, sagt Andi, „weil die Bands hier einfach gerne spielen.“ Wenn sich nichts ändert, dann wird dies bald anders sein. Kürzlich, bei einem Konzert vor 200 zahlenden Gästen, habe der Getränkeumsatz bei 400 Euro gelegen. Jeder Gast ein Bier. „Ich will niemandem vorwerfen, dass er wenig Geld hat“, sagt Andi, „unser Stammpublikum besteht einfach zum Großteil aus jungen Leuten, Schülern und Studenten.“ Außerdem, erzählt er an anderer Stelle, habe er früher ja auch gerne mal Bier am Kiosk geholt und vor einem Club getrunken, als drin mindestens doppelt so viel dafür zu bezahlen. „Ich glühe ja auch vor“, sagt Alisa, „und seit ich weiß, wie es um das Molotow steht, habe ich wahrscheinlich doppelt so viel Geld dort gelassen als vorher.“ Natürlich: Aus der Sicht eines BWLers sei es kompletter Blödsinn, einen Laden hauptsächlich aus dem Getränkeumsatz zu finanzieren. Und dabei weder den Bierpreis noch den Eintrittspreis zu erhöhen. „Aber ich bin ja auch kein BWLer“, sagt Andi in einem Interview, „ich mache das nicht um Geld zu verdienen, da wäre ich ja bescheuert.“ Auf der nächsten Seite: Was die Aktion Rettet-das-Molotow bewirken soll


Keine hundert Meter entfernt, neben dem Operettenhaus, das inzwischen die Vorsilbe „Tui-“ trägt, verrottet ein Gebäude vor sich hin, in dem bis vor fünf Jahren der Mojo-Club residierte. Einmal die Woche ist hier immer noch Party, sonst schlafen Obdachlose im Eingangsbereich. Dann die „Tanzhalle“ – weg. Die „Weltbühne“ – längst geschlossen. Das „Hafenklang“ – im Exil. Das „Echochamber“ – Geschichte. Zuletzt machte vor ein paar Wochen das „kukuun“ an der Reeperbahn dicht. Das erste, was Niklas, Alisa und Konsorten taten, um ihren Lieblingsclub zu retten: Sie gründeten eine Gruppe im StudiVZ. Wenig später ging die Internetseite Rettet-das-Molotow online – mit einem Forum, in dem unter anderem das Treffen heute und hier koordiniert wurde. Dass die meisten hier zu jung sind, um jemals in einem der jetzt geschlossenen Clubs gefeiert oder eines der legendärsten Molotow-Konzerte miterlebt zu haben – egal. Die Initiative beschränkt sich natürlich nicht darauf, beim Weggehen einfach mehr zu trinken: Seit rund zwei Wochen werden über ein Online-Forum Plakatier- und Flyer-Aktionen koordiniert, es soll eine Reihe Benefiz-Konzerte geben, man steht in Verhandlungen mit Grand Hotel van Cleef, dem Label von Tomte und Kettcar, hinsichtlich einer Benefiz-CD. „Das bringt auf jeden Fall was“, sagt Niklas, 21, der an der Uni Hamburg Sportwissenschaft studiert. „Ich hoffe“, sagt Alisa, auch 21, Studentin der Kulturwissenschaften in Lüneburg. „Hm, ja, doch, auf jeden Fall“, sagt Micha, der heute das Molotow-Team vertritt. „Es geht uns auch gar nicht allein darum, unseren Laden zu retten“, sagt Micha wenig später zur Begrüßung. „Wir würden hier ganz generell gerne eine Umgebung schaffen, in der Clubs wie das Molotow existieren können.“ Alles wie früher – dieser Ansatz klinge ihm zu sehr nach einem Nostalgietrip, wiegelt Andi am nächsten Tag ab. „Geschichten von früher kann man sich unter Freunden bei ’nem Bier erzählen.“ Allerdings: Wenn eine Stadt eine lebendige Clubszene haben solle und – wie Hamburg – damit auch wirbt, „dann muss man dafür auch was tun. Bei Theatern und Opernhäusern hat man ja auch irgendwann bemerkt, hey, es läuft nicht mehr von selbst, da muss jemand Geld reinstecken.“ Das Treffen endet früh. Beschlüsse: Eine Plakat-Aktion am nächsten Tag, eine einheitliche E-Mail-Domain für alle, englische und französische Anschreiben an Bands – für Benefiz-Konzerte – und Sponsoren. Dann läuft Musik, und die ersten laufen an der blinkenden Grau-Metallic-Bühne, der Davidwache und ein paar Sexdiscountern vorbei zur S-Bahn. Andere bleiben und trinken Bier – daran soll es schließlich nicht scheitern. Wer sich von der anderen Straßenseite aus umdreht, sieht auf dem Dach der Hausnummer 5 ein Schild, das verkündet: Hamburg rockt. Aber das ist nur eine Werbung für den HVV.

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