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„Ein Mann wird aggressiv gegen das, was er selbst zu werden fürchtet“

Foto: AP

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Omar Mateen, der Täter von Orlando, war kein Fremder im Pulse, dem Club, in dem er 49 Menschen tötete. Er wurde dort Besuchern zufolge vorher immer wieder als Gast gesehen. „Manchmal war er so betrunken, dass er laut und auffällig wurde“, sagt Stammgast Ty Smith. Und Mateen chattete mehrmals mit Pulse-Besuchern, auf der vorwiegend von Homosexuellen genutzten Dating-App Jack'r. Haben diese Indizien mit seiner Tat zu tun? Unterdrückte er vielleicht diesen Teil seiner Identität? Woher kommt solch brutaler Hass?

Dr. Ulrich Klocke ist Sozialpsychologe an der HU Berlin. Er forscht zu Homophobie und Diskriminierung. 

jetzt: Herr Klocke, kann es so einfach sein? Hassen wir immer das, was wir an uns selbst am meisten fürchten?

Ulrich Klocke: Davon ging zumindest Sigmund Freud aus. Eine seiner Abwehrmechanismen ist die Projektion, derzufolge wir besonders das bei anderen wahrnehmen, was wir bei uns selbst nicht wahrhaben wollen.

Stimmt diese Theorie in Hinblick auf Homophobie?

Noch gibt es dazu zu wenig Forschung. Einige Studien unterstützen aber die These, dass Homophobie auch dadurch ausgelöst werden kann, dass Männer, die sich als heterosexuell identifizieren, mit eigenen homosexuellen oder femininen Anteilen nicht zurecht kommen. So konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass homophobe Männer von Schwulenpornos stärker erregt wurden als Männer mit positiveren Einstellungen zu Schwulen.

Der verkappte Schwule als Schwulenhasser?

Es muss nicht immer ein Mann sein, der ausschließlich durch Männer sexuell erregt wird. Auch Bisexualität und alle Abstufungen dazwischen, jedenfalls alles, was von der heterosexuellen „Norm“ abweicht, kann Druck auf ein Individuum aufbauen. Einzelfälle bleiben natürlich hinsichtlich ihrer Ursachen spekulativ. Aber diese Gespaltenheit könnte man auch in das Verhalten des Täters Omar Mateen hineinlesen, der die Nähe zur schwulen Szene gesucht hat. Und wohl frustriert wurde, weil er sein Verlangen nicht ausleben, seine Scham nicht überwinden konnte. Homophobie wird aber auch von anderen Faktoren bedingt, die bereits besser untersucht sind.

Welche sind das?

Zuerst einmal dient Homophobie, wie alle anderen Vorurteile auch, der Aufwertung der eigenen Gruppe und Person, und zwar durch Abwertung einer anderen. Wer sich und seine Gruppe bedroht sieht, sucht sich jemanden, der noch "unter" ihm steht. Zweitens ist die Zustimmung zu klassischen Geschlechterrollen entscheidend. Wer starke Vorstellungen hat, wie Männer und Frauen zu sein haben, hasst eher vermeintliche Abweichungen. Und natürlich spielt eine fundamentalistische Sicht auf Religion eine Rolle. Und zwar gilt das für alle monotheistischen Weltreligionen, wenn vielleicht auch unterschiedlich stark ausgeprägt. Aber man findet in jeder heiligen Schrift Passagen, die homophob interpretierbar sind.

Stimmt die Behauptung, dass Homophobie eigentlich die Angst der Männer ist, dass sie von den Schwulen so behandelt werden, wie sie selbst die Frauen behandeln?

Das ist jedenfalls eine sehr interessante These. Sicherlich wirkt bei Männern eine empfundene Gefährdung von Männlichkeit. Die amerikanischen Psychologen Vandello und Bosson haben gezeigt: Männlichkeit ist in unserer Kultur immer prekär. Das heißt: Sie muss hart erarbeitet werden. Und kann immer wieder verloren werden. Während Weiblichkeit als biologisch definiert verstanden wird, also unter anderem in der Pubertät erworben wird, müssen Männer ihre Männlichkeit immer wieder durch männliches Verhalten erwerben.

Wie versuchen sie das?

Wenn man Männern in Studien zurückmeldet, sie seien eher feminin, oder wenn man sie feminine Dinge tun lässt, zeigen sie hypermännliche Verhaltensweisen. Zum Beispiel extreme Risikobereitschaft beim Spekulieren mit Aktien. Oder eben homophobe Äußerungen. Das zeigt eine Unsicherheit in der eigenen Identität, die bei Frauen bei weitem nicht so stark auftritt. Ein Mann wird aggressiv gegen das, was er selbst zu werden fürchtet.

Diesen grundsätzlichen Mechanismus kennt doch eigentlich jeder von uns, oder?

Bei mir konnte ich das in der Auseinandersetzung mit meiner Schwester feststellen, die zweieinhalb Jahre jünger ist als ich. Ich habe sie früher immer bei genau den Sachen am meisten aufgezogen, bei denen ich selbst noch unsicher war. Auch wenn ich ansonsten kein Freund der Psychoanalyse bin – der Mechanismus der Projektion hat eine gewisse Plausibilität.

Was kann man gegen solchen Hass tun?

Das, was man auch gegen verwandte Formen von Hass wie beispielsweise Fremdenfeindlichkeit oder Frauenfeindlichkeit tun kann: Man sollte Kindern und Jugendlichen schon früh zeigen, dass Menschen unterschiedlich sein und sich verschieden entwickeln können. Man kann schon in Schulen für Kontakt sorgen, Modellpersonen und Idole als Botschafter einsetzen und dadurch Vorurteile abbauen.

Was davon behindert wird, dass eben die Homophoben fordern, die Homosexuellen sollten ihre Sexualität nicht so offen ausleben.

Der Fehler ist: Homosexualität wird eher mit Sexualität verbunden, Heterosexualität eher mit Familie und Liebe. Darin liegt eines der großen Missverständnisse: Aufklärung über andere Lebensformen bedeutet nicht unbedingt, über Sex zu sprechen. Es geht hier vor allem darum, unterschiedliches Zusammenleben zu zeigen, also unterschiedliche Arten von Partnerschaft und Familien. Nicht um eine immer frühere Aufklärung von Kindern über sexuelle Praktiken. 

Wie wird Ablehnung oder Hass zu brutaler Aggression?

Die Frage, wann eine innere Einstellung in äußere Aggression kippt, ist sehr spannend. Ist es eine Frage der „Menge" an Hass, beispielsweise an Homophobie? Ich denke, gerade bei solchen extremen Formen der Aggression müssen weitere Faktoren hinzukommen. In diesem Fall war es vermutlich eine religiös motivierte oder legitimierte Radikalisierung. 

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