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Alle Jahre wieder...

Text: Tastentiger
... kommt nicht nur das Christkind, sondern auch das Finanzamt. Die Gemeinsamkeit zwischen beiden besteht in meinem Falle darin, dass sie Geschenke mitbringen. Im Unterschied zum Christkind, bei dem man sich einfach aufs Sofa setzen und mal abwarten kann, was so an Geschenken alles kommt, muss man beim Finanzamt jedes Jahr ein kryptisches Formular ausfüllen und je nach dem, wie clever man dabei ist, entscheidet dies darüber, wie viele Geschenke man bekommt. Was mich betrifft findet das nur alle zwei Jahre statt, denn ich mache meine Einkommenssteuererklärung immer für zwei Jahre auf einmal. Alle zwölf Monate diesen Scheiß, das könnte ich echt nicht ertragen.



Dieses Jahr war es wieder soweit. 2006 und 2007 verlangten meine Aufmerksamkeit. Mittlerweile kann ich auf eine zehnjährige Einkommenssteuer- bzw. Lohnsteuererklärungsgeschichte zurückblicken und dieses Jubiläum fordert definitiv eine nähere literarische Auseinandersetzung mit diesem Thema. Der geneigte Leser vermag es vielleicht schon zu ahnen: Es wird kein Lobgesang werden.



Bevor ich auf die einzelnen, mannigfaltig vorhandenen, widersinnigen Details des Prozesses der Erstellung einer Einkommenssteuererklärung eingehe, möchte ich mich gerne im Grundsatz zu dem Gesamtkomplex äußern. Zunächst möchte ich als allererstes hervorheben: Dass ich Steuern zahle ist wichtig und richtig. Ich lebe in einem differenzierten Gemeinwesen, dessen Straßen und öffentliche Einrichtungen ich nutze - Sportstätten, Bibliotheken, Museen, Theater. Ich mag es gerne sauber auf der Einkaufsstraße und wenn ich meinen Currywurstpappteller aufs Pflaster werfe, dann zahle ich gerne dafür, dass ihn jemand aufhebt und mir aus den Augen schafft. Mach ich natürlich nicht, ich werfe ihn wie alle anständigen Menschen in den Mülleimer, das war jetzt nur so ein Beispiel, aber den Mülleimer muss ja auch irgendwer mal leeren. Ja, ich würde mich sogar so weit aus dem Fenster lehnen und dem Bundesfinanzminister zurufen: „Ich zahle gerne Steuern!“



Absolut unnötig und zutiefst blödsinnig ist allerdings diese jährlich wiederkehrende, verfickte Einkommenssteuererklärung. Warum ich dieser Meinung bin? Hierzu möchte ich mich eines einfachen Beispiels bedienen: Jeden Morgen, wenn ich zur Arbeit fahre, kaufe ich mir eine Brezel. Manchmal, wenn ich gut gelaunt bin, kaufe ich mir auch eine Butterbrezel und ganz selten, wenn ich richtig gute Laune habe und die Sonne scheint, auch eine Pizzatasche. Das kommt allerdings sehr selten vor, denn „morgens zur Arbeit fahren“ und „richtig gute Laune haben“ sind zwei Antipoden, zwischen denen sich selten Kongruenz herstellen lässt. Wie auch immer, gehen wir von einem normalen alltagstypischen Morgen mit mittelmäßig guter Laune as. Ich lege der Bäckereiverkaufsfachkraft 55 Cent auf den Tresen und bekomme im Gegenzug dafür meine Brezel. Damit habe ich diese Brezel käuflich erworben. Durch diesen Akt haben die Bäckereiverkaufsfachkraft und ich einen Vertrag geschlossen und erfüllt. Die Brezel ist in mein Eigentum übergegangen und ich kann machen mit ihr, was ich will. Die Bäckereiverkaufsfachkraft und ich, wir sind fertig miteinander, wir schulden uns nichts mehr. 55 Cent für sie, eine Brezel für mich. Nicht mehr und auch nicht weniger. Manchmal sind Brezeln im Sonderangebot, dann zahle ich nur 49 Cent. Und manchmal gibt es so ein Rabattheft, da bekomme ich dann pro Kauf einen Stempel und die zehnte Brezel ist umsonst. Damit hat es sich auch mit Rabatten oder sonstigen geschenkgleichen Gefälligkeiten seitens der Bäckereiverkaufsfachkraft. Andere Gratifikationsmodelle gibt es nicht. Diskonte werden mir sofort angerechnet oder zumindest im selben Moment transparent dargestellt.



Kein Bäcker auf der Welt käme jemals auf die Idee zu sagen: „Wenn du mir am Jahresende dieses mehrseitige Formular ausfüllst, dann kann es sein, dass ich dir vielleicht was von dem bezahlten Brezelgeld zurück überweise.“



Warum sollte er das auch tun? Ich habe meine 55 Cent bezahlt, jeden einzelnen Tag für jede einzelne Brezel. Wir sind quitt. Was für ein Unterschied macht es, ob ich die Brezel um zehn Uhr in der Firma beim Kaffee esse, unterwegs im Zug zu einem Kundentermin oder in einem Kundenmeeting, ob ich sie einem Kollegen in der Firma verkaufe und damit ein Veräußerungsgeschäft tätige (womöglich mit Gewinn, Gott bewahre!), ob ich sie zuhause ganz privat in meiner Küche verspeise, ob ich sie meiner auf 400-Euro-Basis arbeitenden Putzhilfe (die ich nicht habe) mitbringe und sie damit Gehaltsbestandteil eines Mini-Jobs wird, ob ich sie als humanitäres Hilfsgut in den Sudan schicke oder ob ich sie einfach zertrete und das Klo runterspüle? Es ist völlig schnurz, es ist meine Brezel und ich kann mit ihr tun und lassen, was ich will. Ich weiß nur: Wenn ich morgens zwischen halb zehn und zehn meine Brezel nicht bekomme, werde ich grantig, deswegen esse ich sie, egal wo ich grade bin und was ich grade mache.



Dies ist der Punkt, warum mich alleine schon das Wort „Einkommenssteuererklärung“ auf die Barrikaden treibt. Das ganze Jahr über hat sich der Staat ungefähr die Hälfte meines Einkommens gekrallt. Er bekommt mein Geld, ich dafür die Autobahn, das Schwimmbad, die Bibliothek, den Müllmann auf der Einkaufsmeile. Fertig. Wir sind quitt. Was soll der Unsinn, dass ich mir wieder am Jahresende einen verschwindend kleinen Bruchteil des Geldes zurückholen kann?



Na, dann soll er sich doch diesen Teil erst gar nicht nehmen! Wär doch für alle viel viel einfacher!



Natürlich kann ich verstehen, dass es im Sinne einer Steuergerechtigkeit wichtig ist, dass jemand, der sich zum Beispiel die Mühe einer privaten Altersvorsorge macht, durch einen entsprechenden Anreiz auch entlohnt werden sollte. Oder dass außergewöhnliche persönliche Belastungen, die über ein zumutbares Maß hinausgehen, durch das Gemeinwesen in irgendeiner Form berücksichtigt werden müssen. Aber wir reden hier nicht über Millionen – zumindest nicht für den Einzelnen. Auf den Monat gerechnet sind das höchst überschaubare Summen, auch wenn ich nicht verleugnen kann, das geschenktes Geld immer geil kommt, egal wie gering der Betrag ist. Wenn ich jedoch bedenke, welcher Aufwand damit einhergeht! Wie viele nutzlose Stunden hänge ich über diesem Formular, durch wie viele Hände mag es gehen, wer prüft das alles, was da für ein Verwaltungsapparat da dranhängt – das ist doch in höchstem Maße ineffizient. Wäre es nicht viel einfacher und viel billiger zu sagen: „Wir gehen drei Prozent runter mit den Steuern und es gibt zehn Ausnahmeregeln – fertich. Die zehn Regeln lernt jedes Schulkind auswendig wie die zehn Gebote und wir haben ein für allemal Ruhe im Karton.“ Aber nein, das machen wir nicht. Der Staat zieht es vor, seine Bürger mit Verlustabzügen, Dauerfristverlängerungen, Ermäßigungsansprüchen, Stückzinseinnahmen und allem möglichen Bullshit zu gängeln, von dem ich jetzt mal ganz frech behaupte: Das versteht eh keine Sau mehr.



So brüte ich nun nach 24 Monaten wieder über diesem nasenpopelgrünen Formular, mittlerweile digital am Rechner und nicht mehr mit spitzer Feder auf muffligem Behördenpapier. Eigentlich sollte es ja kinderleicht sein. Ich glaube, einen leichteren Steuerzahlerfall als meinen kann es gar nicht geben. Ich bin angestellt, nicht verheiratet, keine Kinder, hab keine Wertpapiere mit denen ich handle, keine Immobilie, kein eigenes Unternehmen, keine Angestellten, keine zwei Steuerkarten, keine kranke Verwandte in Westsibirien, ich bin steuertechnisch so stinknormal dass es fast schon weh tut. Sollte ja zumindest dieses Mal ne kinderleichte Sache sein, dieses Einkommensformulardings da. Also los geht’s.



Feld Nummer eins: Steuernummer. Ich hab da mal so einen Zettel mit einer irrsinnig langen Zahl letztes Jahr bekommen. Stand was drauf von „gut aufbewahren“. Sollte ich eins im Leben gelernt habe dann folgendes: Wenn die Jungs vom Finanzamt auf einen Zettel „gut aufbewahren“ schreiben, dann meinen die damit „gut aufbewahren“. Auf diesem Zettel war meine persönliche Identifikationsnummer drauf, die ich bitte jetzt immer verwenden soll, immerimmerimmer bis zum Tode und vermutlich noch darüber hinaus. Ich werde sie noch auf meinen Grabstein einmeißeln lassen, nur zur Sicherheit. Also das haben sie nicht reingeschrieben, dass ich das muss, das denk ich mir nur so. Tipp ich doch diese Nummer mal ein.



Passt nicht, das Programm meckert. Na toll. Schon beim allerersten Feld gibt’s Probleme. Nun gut, was hab ich denn noch in meinem gut aufbewahrten Zettelschuhkarton im Angebot? e-TIN-Nummer. Hört sich gut an. Mal eintippen.



Programm meckert. Versuch Nummer zwei fehlgeschlagen.



Weitere kreative Vorschläge für Steuernummern? Was für ne Nummer stand eigentlich auf dem letzten Steuerbescheid drauf? Gibt das meine wohlsortierte Schuhkartonablage her? Ja, gibt sie! Mal eintippen.



Passt. Na endlich! Prima, hab ich also drei verschiedene Nummern beim Finanzamt. Warum? Reicht da nicht eine? Zum Beispiel eine gängige, bekannte, unveränderliche? Personalausweisnummer? Sozialversicherungsnummer? Was soll diese verwirrende Nummerndiskothek? Nehmt doch meine Handynummer, die ist auch eindeutig und wechselt bedeutend seltener als eure Nummern!



Nun kommt ein einfacher Part. Ich weiß wie ich heiße und wo ich wohne und kenne die Nummer meines Kontos. Brav notiere ich diese Informationen wie jeder unbeschränkt Steuerpflichtige auf Seite eins des Hauptvordrucks tut. Dafür wird’s auf der nächsten Seite umso kniffliger. Einkünfte aus Kapitalvermögen. Aha... ich schätze, das sind so Sachen wie Zinsen oder Dividende. Erklärt wird das aber nicht. Hab nur ein altes Sparbuch mit ein paar Kröten drauf. Also mal „Nein“ ankreuzen und hoffen, dass das so passt. Dann darunter: „Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften“. Ist das jetzt auch e-bay und so? Wie genau definiert sich denn „Gewinn“? Für mich war es in jeder Hinsicht ein Gewinn, dass es tatsächlich einen Deppen gegeben hat, der diesen hässlichen Plastikrucksack für vier Euro ersteigert hat, den ich als Werbegeschenk von meiner Stromversorger bekam. Welchen Gewinn soll ich jetzt wie beziffern? Verluste kann ich auch angeben steht da, dafür gibt es die Anlage SO. Also wenn ich jetzt bei e-bay meinen brandneuen Radiowecker verchecke, weil er mir doch nicht so gut gefällt und ich weniger bekomme, als ich im Laden dafür bezahlte, krieg ich dann für dieses Verlustgeschäft Kohle vom Staat? Völlig neue Modelle zum Erweb meines Lebensunterhalts beginnen mir durch den Kopf zu schießen.



Ich kreuze „Nein“ an.



Nächstes Feld. „Sonstige Angaben und Anträge“. Ich tippe: „Ihr seid alles Vollpfeifen.“



Hm.



Ich markiere den Satz mit der Maus und tippe: „keine“.



Danach kommen sie, diese ganzen komischen Felder mit diesen kryptischen Fragen. Also ehrlich, ich weiß gar nicht, was ich davon halten soll. Ich bin sprachlos ob dieser Dreistigkeit, mit der mich mein Staat mit diesen Phrasen bombardiert. Warum? Noch’n Beispiel: Wir leben in einer Gesellschaft, in der McDonald’s gezwungen wird, auf seine Kaffeebecher „Vorsicht, heiß!“ zu schreiben. Wir leben in einer Gesellschaft, in der in Bedienungsanleitungen für Mikrowellen drinsteht: „Bitte keine Tiere im Gerät trocknen.“ Wir leben in einer Gesellschaft, in der der Staat seine Bürger vor ihrer eigenen Dummheit so sehr schützt, dass man sich manchmal fragen muss, wer hier eigentliche der Dümmere ist – Bürger oder Staat. Aber wenn es um meine eigene Kohle geht, mein eigenes, hart erarbeitetes Geld, mit mein Teuerstes, was ich habe, dann zwingt mich derselbe Staat, der glaubt, ich wüsste nicht, dass Kaffee heiß ist und was der Unterschied zwischen einem Haartrockner und einer Mikrowelle ist, versiert Stellung zu solchen Aussagen zu nehmen wie:



„Einkommenssteuerersatzleistungen, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen“



„Sonderausgaben, die in einem anderen Verhältnis als je zur Hälfte des bei einer Zusammenveranlagung in Betracht kommenden Betrags aufzuteilen sind“



„Verbleibender Verlustvortrag nach §10d EStG“



„Antrag auf Beschränkung des Verlustrücktrags“



Das kann’s doch echt nicht sein, oder? Wie soll ich so was ausfüllen? Welcher normal sterbliche Mensch kann Antworten auf solche Fragen finden? Mit einem tiefen Seufzer blättere ich weiter auf Seite drei des Hauptvordrucks. Nicht, dass ich Seite zwei nicht ausfüllen möchte. Ich würde ja gerne. Aber ich versteh’s einfach nicht, was das alles bedeutet, was da steht, trotz allgemeinbildendem Abitur, erfolgreichem Hochschulabschluss, Steuerbroschüre, Wikipedia und Google. Wenn ich mich dadurch jetzt selbst um ein Geldgeschenk betrüge, dann ist es eben so. Man hat mir in jungen Jahren allerlei für mein Leben höchst unnützes Zeug eingetrichtert, zum Beispiel wie man die Fläche unter einer Kurve berechnet oder ein Gerondif korrekt verwendet, aber niemals, wie ich eine Einkommenssteuererklärung korrekt ausfüllen soll. Müßig zu erwähnen, dass ich jenseits der Mauern des Schulgebäudes niemals mehr die Fläche unter einer Kurve berechnete und mich in Frankreich immer ganz hervorragend unterhielt, ohne jemals einen einzigen Gerondif benutzt zu haben, dafür bis an den Rest meines Arbeitslebens (und vermutlich noch weit darüber hinaus) regelmäßig mit diesem beknackten Formular rumschlagen muss.



Seite drei hingegen erfüllt mich wieder mit Stolz. Hier kann ich bei einigen Formularfeldern mit Expertenwissen auftrumpfen. Rentenversicherungen mit und ohne Kapitalwahlrecht, da kann ich guten Gewissens und mit einem Gewinnerlächeln auf den Lippen Zahlen reinschreiben, das hat mir mein Versicherungsfuzzi bestätigt und das klappt auch immer hervorragend mit der Anerkennung durch das Finanzamt. Weiter ist Seite drei deswegen easy, weil ganz oft „laut Nr. xy der Lohnsteuerbescheinigung“ drinsteht. Die Lohnsteuerbescheinigung gehört natürlich auch in den „gut aufbewahren“-Karton, hier muss man nur die Zahlen aus der Bescheinigung anhand der Nummern in den Hauptvordruck übertragen. Das ist ein bisschen wie malen nach Zahlen, das macht mir fast schon Spaß, weil ich weiß: Hier kann ich keinen Fehler machen.



Weiter unten auf Seite drei erlischt dann erneut der Widersinn die aufkeimende Flamme der Sinnhaftigkeit: „Kirchensteuer“. Kirchensteuer wird auch in Anlage N ausgewiesen, N wie „Nichtselbstständig“. Anlage N ist für Arbeitnehmer das Herzstück des ganzen Steuergedöns, zu der komme ich später noch, die muss jeder ausfüllen, indem alle Angaben der Lohnsteuerbescheinigung in diese Anlage N übertragen werden. Auch die Kirchensteuer. Warum ausgerechnet die Kirchensteuer als einziges Feld auch im Hauptvordruck vermerkt werden muss, konnte mir bis heute niemand erklären. Ist damit eine andere Kirchensteuer gemeint als die von der Lohnsteuerbescheinigung? Ist das ein Zusatzfeld für Menschen, die gleichzeitig evangelisch und katholisch sind? Geht das überhaupt? Oder ist es für irgendwelche Arten von freiwillig gezahlter Kirchensteuer für altgermanische Kulte und andere, nicht offiziell anerkannte Glaubenskongregationen? Aber warum würde dann etwas mit einer Religionssteuer belegt, was offiziell nicht als Religion vom Staat anerkannt wird? Was macht die Kirchensteuer „besser“ als andere Steuern der Lohnsteuerbescheinigung, dass sie auch im Hauptvordruck erscheinen darf? Soll ich hier überhaupt etwas eintragen, wenn ich es auch in der Anlage N vermerken muss? Fragen über Fragen, die mir kein Mensch beantworten kann.



Ich schreib einfach den Kirchensteuerbetrag rein, doppelt hält besser.



Danach kommen: „Zuwendungen“. Okay, Zuwendungen. Manchmal werfe ich dem Bettler vor meinem Rewe nen Euro in den Plastikbecher. Das ist doch eine Zuwendung, oder? Oder doch eher „Unterhalt für bedürftige Personen“? Hm, Unterhalt ist ja eigentlich was anderes. Beleg erfolgt „laut beigefügten Bestätigungen“ oder „laut Nachweis Betriebsfinanzamt“. Mein Bettler ist mutmaßlich nicht beim Betriebsfinanzamt gemeldet, ich werde ihn aber sicherheitshalber das nächste Mal nach einer Steuernummer fragen. Muss ich mir den Euro in Zukunft von ihm quittieren lassen? Da kommen pro Jahr sicherlich zwanzig Tacken zusammen. Ist das abzugsfähig? Vermutlich nicht. Warum ist denn eine Spende von zweitausend Euro an irgendeine Stiftung abzugsfähig, meine zwanzig Euro für einen Mitmenschen, der sich davon eine Flasche Korn und ein paar Schachteln Gauloises kauft, um sich das Leben ein wenig angenehmer zu gestalten, nicht? Diese Logik ist menschenverachtend, tut mir leid, aber anders kann ich das wirklich nicht ausdrücken.



Grimmig beende ich das Ausfüllen des Hauptvordrucks, die nicht vorhandene Betriebsfinanzamtsmeldung meines Bettlers hat mir gründlich die Laune verdorben. Die vierte Seite dreht sich sowieso nur um Unterhalt, Heimunterbringung, Haushaltshilfen und so einen Kram, was bei mir nicht infrage kommt. Bleibt noch die Anlage N, das „Malen nach Zahlen“ für Arbeitnehmer.



Brav übertrage ich alle Ziffern aus der Lohnsteuerbescheinigung in die Anlage N. Auch meine e-TIN, die hier voll zum Einsatz kommt. Eigentlich ist das ja schon ganz schön hohl, diese Beträge abzupinseln. Die Lohnsteuerbescheinigung wird doch maschinell erstellt, das heißt, die Daten liegen schon in irgendeiner Datenbank rum. Im Zeitalter von Tütensuppen und bemannter Weltraumfahrt sollte es doch ein Leichtes sein, diese Daten über eine Schnittstelle direkt in ein Speichermedium bei der Finanzbehörde reinzupusten, ohne dass ich hier jeden Kringel abpausen muss und mich womöglich dabei noch verschreibe. Mein Hirn weigert sich zu glauben, dass das technisch nicht machbar sein soll. Welch ein Anachronismus! Ich versuche mich durch den Gedanken zu motivieren, dass ich die Zahlen wenigstens nicht in kleine Tontäfelchen ritzen muss, sondern einfach nur abzutippen brauche.



Jetzt kommt’s – die zweite Seite der Anlage N. Werbungskosten. Werbungskosten, das ist das blutigste Steuerschlachtfeld von uns Arbeitnehmern, das es überhaupt gibt. Wenn sich irgendwo so richtig fette Beute machen lässt, dann bei den Werbungskosten. Wehe ein Politiker wagt es, Hand an die Werbungskosten zu legen, wir Arbeitnehmer werden sie ihm abhacken, auf eine Lanze spießen und wie eine Monstranz unter lautem Kriegsgeheul durch die Straßen tragen. Erst recht, seitdem wir bei der Entfernungspauschale sogar den Bundesgerichtshof auf unserer Seite wissen. Ich konnte mal in einem Jahr bei den Werbungskosten einen vierstelligen Betrag einfahren, damals stand ich ganz vorne in der Werbungskostenschlachtformation, da war alles drin: Entfernungspauschale, doppelte Haushaltsführung, Dienstreisen, Bewerbungskosten, Arbeitszimmer. Kurz nachdem mir der Betrag ausgezahlt wurde stand in der Zeitung, dass das städtische Hallenbad aufgrund der angespannten Finanzlage ab sofort montags nicht mehr geöffnet ist und deswegen der Schwimmunterricht der Klassen fünf bis sieben nur noch einmal pro Monat stattfinden kann. Da hab ich mich schon ein wenig schuldig gefühlt. „Wegen deinem blöden Arbeitszimmer, das du auch so hättest, völlig egal, ob du es beruflich nutzt oder nicht, verlernen jetzt die kleinen Kinder das Schwimmen“, dachte ich mir.



Diesen Werbungskostenquatsch finde ich generell ziemlich bedenklich. Nehmen wir mal das Thema Fahrtkosten zur Arbeitsstätte: Wenn jemand jeden Tag einen einfachen Fahrtweg von fünfzig Kilometer zur Arbeit hat, weil er wegen der frischen Luft lieber draußen auf dem Land wohnt statt näher an der Stadt (und diese frische Luft dann durch seine Autoabgase täglich verpestet), finanziert ihm die Gemeinschaft sein Wohnvergnügen und seine Umweltverschmutzung. Für mich hört sich das nicht wirklich gerecht an. Aber ich wohn auch in der Stadt und hab nur fünf Kilometer bis zur Arbeit. Meine Kumpels vom Land finden die Regelung natürlich voll in Ordnung. Würde ich ja auch, wenn ich auf dem Land lebte. Ich will auch nicht behaupten, dass es keine Fälle gäbe, bei denen das nicht anders geht und dass eine derartige steuerliche Entlastung generell ungerecht sei, denn es gibt sicher Menschen, die in strukturschwachen Gegenden leben und sonst vielleicht gar keinen Job hätten. Bloß kenn ich persönlich leider keinen, bei dem das der Fall ist. Ich kenne nur Menschen, die auf dem Land wohnen, in der Stadt arbeiten und sagen: „Wegen der Arbeit in die Stadt ziehen? Bist du bescheuert? Wo doch die Luft hier draußen so gut ist!“



Vielleicht ist das ganze aber auch nur Teil eines geheimen De-urbanisierungsprogramms zur Förderung des ländlichen Raums.



Doppelte Haushaltsführung: nicht weniger zweischneidig. Wie kann ein Staat, der so auf die Einheit der Familie pocht, eine berufliche Trennung von Partnern steuerlich begünstigen? Wie inkonsequent ist das denn? Wo kommen wir denn da hin? Gibt’s am Ende mal so was wie eine „Scheidungsprämie“? Ich konnte damals meine Scheidungskosten als außergewöhnliche Belastung von der Steuer absetzen. Die Kosten für die Hochzeit nicht. Dieser Staat ist so scheinheilig, ich könnt kotzen. Möglicherweise ist das aber auch nur ein verkapptes Geburtenförderprogramm. Doppelte Haushaltsführung begünstigt die Möglichkeit des Seitensprungs. Generell denke ich einfach: Du musst schon wissen, was du in deinem Leben machen willst. Wo du leben möchtest, wo dein Wirkungskreis ist. Wenn du es vorziehst, in Hamburg zu arbeiten und die Familie in München zu lassen, anstatt sie nach Hamburg mitzunehmen oder dir in München einen Job zu suchen, dann ist das deine freie Entscheidung und dein eigenes Vergnügen. Niemand kann mir ernsthaft weismachen, es gäbe in München keine Jobs oder Hamburg wäre so schrecklich, dass Familien dort nicht wohnen könnten. Warum wird so ein Leben, das enorme Reisekosten, Aufwände, Emissionen, Stress, Trennungsgedanken und Magengeschwüre verursacht, steuerlich begünstigt? Warum bekomme ich vom Staat keine Entkomplikationsprämie dafür, dass ich in derselben Stadt wohne in der ich arbeite und mit dem Fahrrad in die Firma fahre? Ich verstehe diese Denke einfach nicht, obschon auch ich Nutznießer dieser Regularien war. Ich weiß zu gut, dass „nur wegen der Arbeit“ in so einem Fall enorme Kosten anfallen, aber bitte frag dich mal selbst: Machst du das alles, weil du dazu gezwungen wirst, oder weil du es möchtest? Ist es wirklich so, dass du nach Hamburg musst, weil deine Firma dich dort hinschickt und es keine andere Lösung gibt, oder weil der Job in Hamburg einfach geiler ist und mehr Kohle bringt als der in München? Ist das die Art, wie wir unsere besten Leistungsträger fördern wollen? Hat schon mal jemand drüber nachgedacht, wie viel mehr Leistung ein Leistungsträger bringen könnte, wenn er dort arbeiten würde, wo er seinen Lebensmittelpunkt hat?



Kontoführungsgebühr: der nächste Irrsinn. Bis sechzehn Euro pro Jahr absetzbar. Dabei gibt es so viele kostenlose Girokonten. Ich zahle null Euro, bekomme aber Geld vom Staat dafür. Egal, ich nehme es einfach mal als kleine Aufmerksamkeit der Bundesrepublik Deutschland. Herzlichen Dank!



Arbeitszimmer: lächerlich. Wo ist denn mein Arbeitszimmer in Zeiten des mobile Computings? Eigentlich sollte ich’s echt mal drauf ankommen lassen und versuchen, mein Klo als Arbeitszimmer abzusetzen. Das erfüllt nämlich dank Laptop und W-LAN alle Kriterien. Ich hab dort sogar Papier und ein Durchgangszimmer ist es auch nicht.



„Alles für den A... rbeitszimmer“, denke ich mir und klicke auf das Druckersymbol. Vor dem Ausdruck unterzieht das Programm meine Angaben einem Plausibilitätscheck und fordert mich auf, an bestimmten Stellen noch irgendwelche Kreuzchen bei „Ja“ oder „Nein“ zu setzen. Da ich die jeweiligen Fragen nicht verstehe, setze ich immer abwechselnd ein Kreuzchen bei „Ja“ und eines bei „Nein“ in der Hoffnung, dadurch die Trefferquote möglichst hoch zu halten. Während der Drucker surrt, schreibe ich noch ein paar launige Bemerkungen für den Sachbearbeiter, der sich durch meine Angaben durchwühlen muss, in denen ich zum Ausdruck bringe, dass ich nicht wirklich Ahnung von dem Steuerkram habe, aber auch das Formular nicht wirklich viel dagegen unternimmt und er mir meine nicht selbst zu verantwortende Dummheit entschuldigen möge. Dann den ganze Mist in einen Briefumschlag, Marke drauf, fertig.



Puh!



Ich erhebe mich vom Schreibtisch und gehe in die Küche. Wieder zwei Jahre Ruhe vor diesem Irrsinn. Mal sehen, was es an Kohle zurückgibt.



„Bestenfalls Schmerzensgeld“, denke ich mir und kippe einen Wodka hinunter. Den brauch ich jetzt. Sozusagen als notwendiges Hilfsmittel zur Bearbeitung meiner Einkommenssteuererklärung.



Kann ich die Flasche als Werbungskosten absetzen?




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