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Ich habe Fremde auf meinem Telefon!

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Illustration: Julia Schubert

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In meinem Telefonbuch ist die Nummer gespeichert unter „Weinkisten“. Sie gehört einer Frau, bei der ich über Kleinanzeigen eben solche gekauft habe. Es war ein kurzer Kontakt, telefonisch und per SMS, okay nett, insgesamt eher egal und ich habe jetzt eben Weinkisten, in denen ich Bettzeug lagere. Die Verkäuferin hatte ich eigentlich längst vergessen.

Bis ich neulich in meinen Whatsapp-Kontakten jemanden suchte. Und dann in der Liste auch den Kontakt „Weinkisten“ sah. Auf dem Profilbild: ein süßer kleiner Junge, der mich angrinste. Vielleicht zwei Jahre alt. Dunkles Wuschelhaar, sehr modische Kleidung. Das irritierte mich.

Aber es machte mich auch neugierig. Ich sah nach, wen es da noch so alles gab. Zum Beispiel den Kontakt „Sofa“ (gleicher Fall wie bei den Kisten, nur eben mit Sofa) mit einem Profilbild, auf dem mir ein Mann (so sah der aus?) mit einem Bier zuprostete. Den Kontakt „Tisch“ (wieder der gleiche Fall), Profilbild mit einem Typen auf dem Motorrad. Der Kontakt einer ehemaligen Interviewpartnerin zu einem eher ernsten Thema, die auf ihrem Bild in sehr wenig Kleidung Yogaübungen an einem Strand macht. Und dazu einige weitere Kontakte alter Bekannter, deren Nummern mittlerweile an jemand anderen vergeben worden waren: Meine ehemalige Mitbewohnerin M. war auf einmal dunkelhäutig und -haarig (vorher war sie sehr hellhäutig und sehr blond), meine Bekannte E. war jetzt ein Halbstarker mit Sonnenbrille.

Ich hatte ein Gefühl von zu viel Nähe. Und von Voyeurismus.

Ich sah Bilder dieser Menschen, mit denen ich mehr oder weniger geschäftlich zu tun hatte, oder die ich noch nie kannte (sondern nur ihre Nummern). Private Bilder. Zum Teil sehr privat. Ich fühlte mich dadurch irgendwie schlecht. Aber ich fand es auch spannend, weil sich da eine neue Dimension von digitalem Kontakt auftat, über die ich bisher noch nicht nachgedacht hatte. Ich hatte ein Gefühl von zu viel Nähe. Und von Voyeurismus. Und ich glaube, das hat zwei Gründe.

Zum einen, dass diese Menschen wahrscheinlich nicht wissen, dass ich sie auf meinem Handy sehen kann. Ein Facebook-Profil hat ja auch ein Bild, aber da weiß jeder, dass theoretisch die ganze Welt es sehen kann. Bei Whatsapp denken die Nutzer wahrscheinlich erstmal, dass nur die das Bild sehen, die bei ihnen unter „Chats“ einsortiert sind – also jene Menschen, mit denen sie tatsächlichen, regen Kontakt haben.

Meine Schwester zum Beispiel wechselt auch mindestens wöchentlich ihr Profilbild, ich weiß dadurch fast immer, wie mein kleiner Neffe, der ja ständig wächst, gerade aussieht. Falls meine Schwester ihre Nummer aber auch mal dem Typen gegeben hat, der ihr damals ihren Teppich abgekauft hat, kann der das jetzt theoretisch auch sehen. So wie ich den Sohn der Frau mit den Weinkisten sehen kann, obwohl das Bild nicht für mich bestimmt ist. Das ist, als würde ich durch ihr Schlüsselloch gucken, ohne dass sie es weiß. 

Zum anderen fühlt sich die Schwelle hin zu diesen Fremden so niedrig an. Bei Facebook zum Beispiel ist da, wenn man nicht befreundet ist, noch eine Art Schranke. Eine Haustür, an der man erstmal klingeln müsste, bevor man miteinander sprechen und in das Leben der Person hineinschauen kann. Wenn ich aber den Whatsapp-Kontakt der Weinkisten-Frau antippe, gibt mir das das Gefühl, schon nicht mehr draußen am Schlüsselloch, sondern tatsächlich unbemerkt in ihrem Wohnzimmer zu stehen – und mich nur räuspern zu müssen, um aufzufallen. Nur ein Emoji schicken oder „Hallo“ schreiben. Ich könnte sogar was ganz Gemeines schreiben. Was ich natürlich nicht will – aber es wäre so leicht möglich! Und diese Gemeinheit wäre einfach im Wohnzimmer der Frau beziehungsweise: in ihrer Hosentasche. So wie ich sie die ganze Zeit über in meiner Hosentasche mit mir herumtrage. Den biertrinkenden Mann (auf dessen Sofa ich noch dazu sitze!) auch. Den Halbstarken, der sich jetzt hinter der Nummer meiner Bekannten E. verbirgt, auch. Der, um wieder zur Wohnzimmer-Analogie zurückzukehren, quasi da eingezogen ist, wo meine Bekannte E, früher gewohnt hat – und ich habe den Schlüssel zur Wohnung noch!

 

Ich weiß schon, was jetzt alle sagen werden: Ich hätte die Nummern ja mal löschen können. Aber ich habe es nicht getan. Aus Faulheit vielleicht, vielleicht aber auch, weil es ein bisschen spannend ist. Ein bisschen Voyeurismus eben, ein Mini-Alltags-Thrill. Manchmal, wenn ich unmotiviert auf meinem Handy rumdrücke, drücke ich mich auch wieder in die Whatsapp-Kontakte-Liste. Und schaue nach, was aus den Fremden in meinem Handy so geworden ist.

 

Ich selbst ändere mein Profilbild übrigens nie. Und man kann mich darauf auch nicht besonders gut erkennen. Aus Gründen.

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