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Woher der Hass? Junggesellenabschiede

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Neulich auf der Reeperbahn, dieser Straße in Hamburg, wie es in Deutschland keine widerlichere gibt, auf der nichts richtig ist und sich auch nichts schöntrinken lässt, nichts als authentisch oder Kult entschuldigt werden kann, weil alles einfach nur himmelschreiend widerlich ist – dort jedenfalls kam mir ein Junggesellenabschied entgegen. 15 Männer hatten sich „S.W.A.T.“ auf ihre T-Shirts drucken lassen, aber die Abkürzung stand natürlich nicht für „Special Weapons and Tactics“ wie bei der Polizei-Einheit aus den amerikanischen Filmen, sondern für irgendwas anderes. „Super Wedding Alcohol Team“ oder „Saufen, Wichsen, Arsch, Titten“, ich weiß es schon nicht mehr, und wenn ich jetzt nach „SWAT Junggesellenabschied“ im Internet suche, finde ich nur Angebote für SWAT-Trainingseinheiten als Junggesellenabschieds-Event und T-Shirts, auf denen „PIMMEL RAUS STIMMUNG“ steht.

  Die Männer grölten, marschierten in Formation auf der ganzen Wegesbreite und wedelten mit ihren Alkoholmix-Plastikflaschen herum, dass auch ja keiner sie gefahrlos passieren konnte. Sie machten also genau das Gleiche, was alle auf der Reeperbahn machen. Trotzdem fiel der Junggesellenabschied selbst hier, in der Todeszone der Spaßkultur, unangenehm auf. Wie überall anders auch: Die SWAT-Teams der Junggesellen sind an den Wochenenden in ganz Deutschland unterwegs, mobile Reeperbahn-Einsatzkommandos auf den sogenannten Partymeilen der Innenstädte, und sie gelten überall als das Schlimmste, was ein Samstagabend zu bieten hat.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Woher der Hass?

  Gebildete Großstadtbewohner können sich stundenlang darüber aufregen, wenn Pinneberger, Bergheimer, Fürstenfeldbrucker aus ihren Mario-Barth-Welten am Hochzeitsvorabend in die Großstadt vordringen. Als eine Düsseldorfer Lokalzeitung einmal wissen wollte, was ihre Leser am meisten nervt, wählten sie Junggesellenabschiede mit 32 Prozent noch vor Baustellen (24 Prozent), Hundehaufen (acht), Politikern (sieben) und Blitzern (vier Prozent) auf Platz eins.

  Dabei gibt es in deutschen Innenstädten am Wochenende keinen Mangel an lauten, übergriffigen Besoffenen, die herummarodieren. Was bei den einen Marodierern aber Fußballfankultur heißt, sorgt bei den anderen für Empörung: An Junggesellenabschieden muss etwas herausstechen, dass sich so viele auf sie als Hassobjekt einigen können.

Schlimme Einsicht: Die Liebe ist auch in Kegelvereinen zuhause.


  Als ich es geschafft hatte, mich an den SWAT-Männern vorbeizuschlängeln, ohne eine Wodka-Red Bull-Dusche mitzunehmen, fiel mir ein, was sie von allen anderen Menschengruppen gewordenen Zumutungen unterscheidet, das Offensichtlichste, das man gern vergisst: Mindestens einer dieser Männer wird bald heiraten. Und das auch noch völlig freiwillig, nicht aus ökonomischen oder religiösen Gründen, sondern einfach weil er, spekuliere ich jetzt mal, seine Verlobte liebt und sehr viel Herzklopfen hatte, als er das erste Mal neben ihr lag, und jetzt gerne in seinem ganzen Leben neben niemand anderem mehr liegen will.

  Genau das muss ein unerträglicher Angriff auf die letzte mehrheitsfähige Ideologie in diesem Land sein, die der Liebe. Schlimmer als Baustellen, Hundehaufen, Politiker und Blitzer ist nur eines: Dass die romantische Liebe doch nicht exklusiv in Altbauwohnungen mit geschmackvoll zusammengestellten Vintage-Möbeln und selbst restaurierten Espresso-Maschinen zuhause ist, sondern ganz basisdemokratisch auch in den Kegelvereinen und Versicherungsmakler-Büros der Vorstädte. Dass die Liebe auch Wodka Red Bull trinkt, den billigen Wodka mit dem Red Bull von Penny, und Häschenkostüme und Schnapsbauchläden trägt. Dass sie uns also als allerletzte davor retten kann, stumpf grölend die eigene Beschränktheit zu feiern. Jeder Junggesellenabschied – und jeder Junggesellinnenabschied natürlich auch – ist ein kleiner Demonstrationszug gegen die Vereinnahmung der romantischen Liebe als Distinktionsmerkmal. Weil selbst Mario Barth manchmal Herzklopfen vor lauter Verliebtheit hat. Pimmel raus, Stimmung! Denn wir sind alle verliebt.

Text: lars-weisbrod - Illustration: Daniela Rudolf

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