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Aus diesen fünf Gründen sitzen im Bundestag kaum junge Politiker

Foto: birdys / photocase.com / Illustration: Federico Delfrati

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Junge Menschen sind im Bundestag kaum vertreten: Nur drei der aktuell 630 Abgeordneten sind unter 30. Das sind weniger als 0,5 Prozent – dabei haben die 18- bis 29-Jährigen einen Anteil von etwa 14 Prozent an der Gesamtbevölkerung. Unsere Generation ist im Bundestag also stark unterrepräsentiert. Und bislang deutet laut den Jugendorganisationen der Parteien im Bundestag wenig darauf hin, dass sich das diesen Herbst ändern wird.

Aber warum ist es für junge Menschen so schwierig, in den Bundestag zu kommen – und das sogar bei ehemals jungen Parteien wie den Grünen? Und welche Folgen hat die fehlende Repräsentanz der jungen Generation für die Gesellschaft und die Parteien selbst? Was bedeutet es, wenn im Bundestag, der die gesamte Bevölkerung vertreten soll, nur wenige sitzen, die die Lebensrealität und die Probleme junger Menschen aus nächster Nähe kennen?

Natürlich hat jeder einzelne Jungpolitiker seine eigene Geschichte – und auch jede Partei. Aber es gibt ein paar Gründe für die Überalterung, denen man immer wieder begegnet und an denen die Parteien arbeiten müssen, wenn sie in Zukunft relevant bleiben und junge Menschen erreichen und für Politik und politisches Engagement begeistern wollen. 

Grund 1: Die Ochsentour

„Um in den Bundestag zu kommen, ist oft noch eine klassische Karriere durch die politischen Strukturen von Nöten, die Zeit kostet“, so Politikberater Martin Fuchs. Heißt: Wer jung ist, muss sich durch die komplette Hierarchie einer Partei durchwurschteln, um auf einem guten Listenplatz zu landen oder eine aussichtsreiche Direktkandidatur zu ergattern. Bis der junge Politiker das hinter sich hat, ist er häufig nicht mehr jung. Jahrelanges Plakate aufhängen, Würstchen braten und gemeinsames Biertrinken im Ortsverband wird von Parteien belohnt. Innovative Ideen und inhaltliche Expertise dagegen nicht unbedingt.

Die Ochsentour gab es in den Parteien schon immer. „Aber die Lebensrealität junger Menschen und die Ochsentour passen heute einfach nicht mehr zusammen“, so die JUSO-Vorsitzende Johanna Uekermann (Hier geht es zum Video, in dem sie erklärt, warum sie es wohl nicht in den Bundestag schaffen wird). Für den Aufstieg innerhalb einer Partei ist es ratsam, jahrelang am selben Ort zu bleiben und sich dort zu beweisen. Nur: welcher junge Mensch bleibt heute noch für immer an einem Ort? Veränderte Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen führen dazu, dass unter 30-Jährige eher mal umziehen – zum Beispiel, weil sie in einer anderen Stadt einen Platz für das Masterstudium bekommen haben oder im Heimatort keinen Job finden. Das aber schadet der politischen Karriere. „Denn wenn du zurückkommst, musst du quasi wieder von vorne anfangen“, so Uekermann. Die Parteien nehmen darauf (noch) zu wenig Rücksicht.

Gleichzeitig kriegen Parteien immer mehr Konkurrenz. CDU-Jungpolitikerin Jenna Behrends (26) dazu: „Heute kann man sich auch in NGOs, sozialen Netzwerken und diversen Bürgerinitiativen politisch engagieren, ohne sich an eine Partei binden zu müssen. Dort ist mein Engagement und mein Wissen manchmal mehr willkommen als in einer Partei mit ihren altmodischen Strukturen.“

Der 29-jährige CSU-Politiker Daniel Matulla beschreibt es so: „Am Anfang war ich noch ziemlich idealistisch. Ich wollte die Welt verändern. Dann habe ich gemerkt, dass man die Welt eben nur sehr langsam verändert.“ Bei der Ochsentour lernen Jungpolitiker die eigene Partei und das politische Geschäft kennen – das ist wichtig. Durch sie geht aber auch etwas verloren: Die Lebensrealität junger Menschen kommt im Bundestag nicht mehr vor, wenn dort keine jungen Leute landen. Und Quereinsteiger, deren frischer Blick von außen der Politik häufig gut täte, haben durch die Ochsentour noch schlechtere Chancen, sich politisch einzubringen. 

Nina Eisenhardt ist wütend, weil bei den Grünen niemand unter 30 Aussichten auf ein Bundestagsmandat hat.

Grund 2: Die Babyboomer kleben an ihren Bundestagssitzen

Die Generation unserer Eltern ist wesentlich fitter und gesünder als die Großelterngeneration. Außerdem wurden in der Generation der Babyboomer – der Name sagt es bereits – wesentlich mehr Menschen geboren als davor und danach. Kein Wunder also, dass diese Leute nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik sehr zahlreich vertreten sind. Allerdings haben sich die Babyboomer so dermaßen breitgemacht, dass Leute unter 30 auch im Vergleich zum Altersschnitt in der Gesamtbevölkerung im Bundestag deutlich unterrepräsentiert sind. Im Moment sitzen dort nur drei Menschen unter 30 (und zwei von ihnen werden innerhalb der nächsten sechs Wochen 30) – bei insgesamt 630 Abgeordneten.

Auch nach der Bundestagswahl 2017 wird der Bundestag sich vermutlich kaum verjüngen. Es sind zwar noch nicht in allen Bundesländern alle Listenplätze vergeben, aber laut den Jugendorganisationen der momentan im Bundestag vertretenen Parteien ist kein Trend hin zu einem jüngeren Bundestag zu erkennen. Im Gegenteil: Die vorderen Listenplätze sind bei den etablierten Parteien zum Großteil für die Ü30-Generation reserviert.

Das Durchschnittsalter von 50 Jahren, das der Bundestag zu Beginn der letzten Legislaturperiode hatte, wird sich also vermutlich nicht senken.

Bei der CSU zum Beispiel wurden vor zwei Wochen die Listenplätze für die Bundestagswahl vergeben. Auf den ersten 40 Plätzen stehen – so hatte es der Parteivorstand einstimmig beschlossen, und die Delegierten abgenickt – nur Menschen über 30.

Das liegt auch daran, dass die wenigsten Politiker einen Plan B haben. Sie sind Berufspolitiker: Wer einmal im Parlament landet, bleibt dort häufig bis zur Rente.

Parteienforscher Oskar Niedermayer beschreibt das so: „Wenn ein Politiker einen Wahlkreis schon mal gewonnen hat und sagt ‚Ich will wieder‘, haben sie als 25-Jähriger sowieso keine Chance. Da sagt jede Partei: Klar, darf er, auch wenn er schon 65 ist.“

Die Linke ist momentan die älteste Fraktion im Bundestag. Für den jungen Linken Marius Brey (20), der im Bayerischen Wald als Direktkandidat (höchstwahrscheinlich ohne Chance) antritt, liegt das auch daran, dass die Parteien den jungen Politiker zu wenig zutrauen: „Aber sie müssten einfach mal das Ruder aus der Hand geben.“

Selbst bei den Grünen kommen inzwischen immer weniger junge Leute nach, das Durchschnittsalter der Bundestagsfraktion beträgt 46,4 Jahre (zu Beginn der Legislaturperiode 2013). Und kein Grüner unter 30 hat es dieses Jahr geschafft, einen aussichtsreichen Platz für den Bundestag zu ergattern. Für Nina Eisenhardt (26), die für einen guten Listenplatz in Hessen gekämpft und verloren hat, ist das „wirklich traurig, vor allem, weil wir Grünen ja das Motto haben: Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt.“ Glaubwürdig wirkt dieser Satz natürlich nur noch bedingt, wenn in der eigenen Partei die Jungen das Nachsehen haben. Das liegt aber nicht nur nur an der Beharrlichkeit der Babyboomer, sondern auch an:

Grund 3: Der Regionalproporz

Der Bundestag soll die deutsche Bevölkerung repräsentieren. Das tut er nur bedingt: Er ist älter als die Gesamtbevölkerung, ein Drittel der Abgeordneten sind laut der aktuellen Bundestagsstatistik Juristen oder Lehrer. Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund sind deutlich unterrepräsentiert.

Es gibt aber einen Faktor in Sachen Repräsentanz, auf den alle Parteien größte Rücksicht nehmen: die Herkunft der Abgeordneten. Regionalproporz heißt das im Politikjargon und bedeutet: Es ist bei der Vergabe der Listenplätze sehr wichtig, aus welcher Region der Kandidat kommt. Die Listenplätze für den Bundestag werden in den jeweiligen Bundesländern vergeben, das genaue Prozedere unterscheidet sich je nach Ort und Partei. Doch das System des Regionalproporzes zieht sich durch die gesamte Parteienlandschaft. An sich ist diese innerparteiliche Ausgewogenheit ja auch sinnvoll, schließlich soll keine Region bevorzugt werden und es ist wichtig, dass lokale Probleme nicht vernachlässigt werden. Allerdings ist darüber bei den Parteien offensichtlich das Bewusstsein verloren gegangen, dass zum Beispiel  Fragen der Generationengerechtigkeit nicht nur von einer Generation beantwortet werden sollten.

Beispiel Johanna Uekermann von der SPD: Die 29-jährige JUSO-Vorsitzende wird dieses Jahr höchstwahrscheinlich nicht in den Bundestag einziehen. Denn sie kommt aus dem Bezirk Niederbayern und bewarb sich von dort aus auf einen Listenplatz. Allerdings standen auf der Liste vor ihr schon vier weitere Personen aus Niederbayern. Keiner von ihnen wollte auf seinen Platz verzichten. Und auch die anderen bayerischen Bezirke wollten keinen „ihrer“ Plätze hergeben. Sie teilen den Kuchen untereinander auf, je nachdem wie viele Leute in diesem Bezirk wohnen – und Niederbayern hatte schon genügend Stücke abbekommen.

So will es der Proporz. Genauso läuft das auch bei den anderen Parteien ab. Dabei tummeln sich Menschen unter 30 häufig in den Großstädten – kein Wunder, denn auf dem Land gibt es für sie oft zu wenige Angebote. In der Stadt ist der Konkurrenzkampf um gute Plätze dementsprechend hoch. Die jungen Politiker fehlen dann auf dem Land und damit auch Menschen, die sich dafür einsetzen, Dörfer wieder attraktiver für den Nachwuchs zu machen. Ein Teufelskreis.

Markus Brey macht Politik für die Linke. Er findet, die Parteien müssen sich für junge Menschen öffnen.

Grund 4: Die unkalkulierbare politische Lage

 

Die aktuell im Bundestag vertretenen Parteien sind verunsichert, weil die politische Stimmung unberechenbarer ist als noch vor ein paar Jahren. Die 26-jährige Nina Eisenhardt von der Grünen Jugend in Hessen sagt: „Es ist momentan in der politischen Landschaft sehr schwierig, abzuschätzen, wie viel Prozent eine Partei bekommt. Man weiß nicht mehr wirklich, was man von Wahlprognosen halten soll.“

 

Parteien haben keine richtige Stammklientel mehr, auf die sie sich ohne Zweifel verlassen können, denn Wähler identifizieren sich viel weniger als früher mit einer Partei. Außerdem treffen sie ihre Wahlentscheidungen wesentlich spontaner – was dazu führt, dass Umfrageergebnisse nur noch bedingt aussagekräftig sind.

 

Und mit der AfD ist ein neuer Player auf dem Parteienmarkt, und so richtig kann bislang keiner einschätzen, wie stark diese Partei bei der Bundestagswahl sein wird. Auch die FDP will zurück in den Bundestag und könnte den anderen Parteien Plätze wegschnappen.

 

Dadurch schrumpft die Zahl der als einigermaßen sicher wahrgenommenen Listenplätze, und die vorderen Positionen sind so noch umkämpfter, weil Parteien damit rechnen müssen, insgesamt weniger Plätze zur Verfügung zu haben. So nimmt es auch Nina Eisenhardt bei den Grünen wahr: „Der Konkurrenzkampf innerhalb der Parteien um die Listenplätze ist viel härter geworden.“ Und wenn es hart auf hart kommt, setzen sich dann eben doch eher die Etablierten durch.

 

Grund 5: Parteien sind insgesamt weniger attraktiv für Junge

 

Dass der Bundestag immer älter wird, liegt aber auch daran, dass wir Jungen selten in Parteien eintreten. Und wenn die Anzahl an jungen Leuten in der Partei so gering ist, ist auch die Chance, dass ein Junger nach oben kommt, geringer.

 

Zunächst einmal haben alle momentan im Bundestag vertretenen Parteien ein Nachwuchsproblem. Daran ändern auch kurzzeitige Politisierungshypes wenig, so Oscar Niedermayer: „Es gibt zwar den Trump-Effekt, also dass mehr Menschen in die linken Parteien eingetreten sind. Allerdings ist dieser Effekt sehr gering. Er reicht bei weitem nicht aus, um das Mitgliedersterben auszugleichen.“

 

Das liegt laut dem Parteienforscher auch an der gesunkenen Frustrationstoleranz der jungen Generation: „Um wirklich etwas bewegen zu können, muss man dabei bleiben, auch bei langweiligen Sitzungen und im anstrengenden Wahlkampf. Im Grunde sind Parteien Freiwilligenorganisationen, die von ihren Mitgliedern Geld dafür verlangen, dass sie Mühe aufwenden.“ Unsere Eltern haben sich da noch durchgeboxt, die jungen Deutschen haben da immer weniger Lust drauf. Ob die Jungen daran selbst schuld sind oder ob es die Schuld der Parteien ist, weil sie notwenige Reformen verpasst haben, dazu gehen die Meinungen auseinander. „Junge Menschen sind unglaublich politisch, sie haben nur manchmal das Gefühl, dass sich die Politiker überhaupt nicht für sie interessieren und dass die Themen, die ihnen wichtig sind, nicht vorkommen“, so Johanna Uekermann.

 

Politikwissenschaftler Niedermayer macht aber noch weitere Faktoren dafür verantwortlich, dass ein Eintritt in eine Partei heute nicht mehr so attraktiv ist: „Früher sind Menschen in eine Partei eingetreten, weil ihr Umfeld katholisch war oder weil sie Arbeiter im Ruhrgebiet waren. Junge Leute fühlen sich heute einer Gruppe nicht mehr so stark zugehörig, sie leben sehr viel individueller.“ Außerdem unterscheiden Parteien sich aus seiner Sicht nicht mehr so stark: „Das macht es viel schwieriger, sich aufgrund bestimmter Werte für eine Partei zu entscheiden.“

 

Außerdem – und da schließt sich der Problemkreis – werden Parteien in der Öffentlichkeit eher als Organisationen für ältere Menschen wahrgenommen. Politikberater Martin Fuchs sagt: „Junge Politiker sind nur in Ausnahmefällen sichtbar, da sie nicht zu den Spitzenpolitikern gehören. Es fehlt also an Vorbildern für die junge Generation, die Lust auf ein Mandat machen.“

Jenna Behrends von der CDU

Und jetzt?

 

Insgesamt gibt es also verschiedene Faktoren, an denen die Parteien ansetzen müssten, um sich fit für die Zukunft zu machen. Denn sonst droht ihnen langfristig die Bedeutungslosigkeit aufgrund von fehlenden Mitgliedern. Es ist im Eigeninteresse der Parteien, attraktiver für den Nachwuchs zu werden. Das bedeutet auch, die Jungen mal nach vorne zu lassen.

 

Niemand braucht einen Bundestag voller Zwanzigjähriger, aber es ist wichtig, dass der Blick und die Ideen von Menschen unter 30 auch in der Politik ausreichend vorkommen. „Es ist eine Generationenfrage, wie ich zum Beispiel die Vereinbarkeit von Beruf und Familie angehe. Da habe ich als junge alleinerziehende Frau eine ganz andere Perspektive als viele ältere Herren, die mit einem anderen Familienbild aufgewachsen sind“, sagt Jenna Behrends von der CDU. Im Parlament wird über die Zukunft entschieden und laut Linke-Jungpolitiker Marius Brey müssen junge Leute daran auch beteiligt sein: „Wenn man sich anschaut, wer Trump gewählt hat, wer für den Brexit gestimmt hat, sieht man, dass sich viele alte Leute zurücksehnen nach einem Leben, wie es früher war. Wir dürfen uns von den Alten nicht unsere Zukunft verbauen lassen.“

 

 

*Lisa Altmeier und Steffi Fetz sind die Crowdspondent-Reporterinnen. Sie sind mit der Kamera durch Deutschland gereist, um unterschiedliche Menschen zu treffen und zu fragen:

 

 

Was ist los mit dir, Deutschland?

 

Denn dieses Land hat sich in den vergangenen Jahren ziemlich verändert: Die Diskussionskultur ist rauer geworden, die politische Stimmung ist aufgeheizt. Und dieses Jahr ist auch noch Bundestagswahl. 

 

Die beiden Reporterinnen haben sich deshalb für ihr Rechercheprojekt  „Crowdspondent - Deine Reporter“ von ihren Usern zehn politische Themen vorgeben lassen, mit denen sie sich auf ihrer Reise auseinandergesetzt haben. Die Themenliste und alle bislang erschienenen Filme der Reihe findest du hier.

 

Das Konzept beruht darauf, dass nicht eine Redaktion die Themen vorgibt, sondern die Zuschauer und Leser. Die Crowd ist der Boss.  Deshalb freuen sich die Reporterinnen auch sehr über euer Feedback. Rückmeldungen gerne hier in den Kommentaren, an info@crowdspondent.de, per Facebook,Twitter oder wo auch immer ihr euch im Internet herumtreibt.

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