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Wenn dein Vater für dich tindert

Illustration: Lucia Götz

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„Oh je, ein Künstler“, sagt Papa, „der guckt schon so tragisch, der wird später sicher mal depressiv.“ Geschmeidig wischt er mit dem Finger nach links. Ja, Papa tindert gerade. Mit meinem Account. Vor fünf Minuten habe ich ihm mein Handy gegeben. Ehrlich gesagt, um mal kurz meine Ruhe zu haben. Denn mit Tinder kann man Menschen, die keine Konsequenzen fürchten müssen, ja stundenlang beschäftigen. So auch Papa, der lustig vor sich hin wischt. Das wäre ja auch okay, wenn ich da nicht eine wichtige Sache vergessen hätte. Papa ist ja wirklich gerade auf Partnersuche – und zwar auf der Suche nach einem Partner für mich.

Alles fängt damit an, dass ich ihm vor zwei Jahren am Telefon vom Ende meiner sechsjährigen Beziehung berichte. „Du wirst kaum je etwas Besseres finden“, sagt Papa zermürbt. Er weint dabei ein bisschen. Darüber, wie lieb Eltern unsere Ex-Partner haben, hat schon jemand eine sehr gute Kolumne verfasst. Darum soll es hier nicht gehen. Den Verlust hat Papa dann ja auch relativ schnell verwunden. Den Status Quo, mein Single-Dasein, erträgt er überraschenderweise nicht. Er beschließt, die Suche selbst in die Hand zu nehmen.

Kann das gut gehen? Kennen wir uns dafür überhaupt gut genug? Wenn meine Freundinnen mir sagen: „Der könnte zu dir passen“, dann glaube ich ihnen das und lasse mich auch auf Verkupplungsaktionen ein. Schließlich sind sie es ja, die meinen Exfreund gut kennen und den davor und alles, was dazwischen passiert ist. Aber meine Eltern? Die kennen zwar, im Gegensatz zu mir, meine Blutgruppe und wissen (komischerweise) genau, wann mein Personalausweis ausläuft – was allerdings meinen Geschmack angeht, da hört es bereits bei der Bekleidung auf.

Doch am Anfang geht es noch gut, Papa ist sogar ganz niedlich. Da schneidet er potenzielle Partner aus Zeitungsartikeln aus und schickt mir die Schnipsel per Post. Darunter ein Rennfahrer (Randnotiz Papa: „Der steht auf dunkelhaarig“) und einen Artikel über den “besten Bäcker von Paris“. Nerviger wird es, als er mir fast wöchentlich den Newsletter eines Wiener Hotels weiterleitet, die der dortige Juniorchef verschickt. Betreff: Der wär doch was?!. „Ned ums varecken, Papa“, maile ich zurück.

Während ich bei der rosa Wollmütze, die Mama mir mal geschenkt hat, noch eine Ausnahme machen kann und sie ihr zuliebe in ihrer Gegenwart trage, ist das bei Männern nicht so einfach. Ich brauche keinen Mann, um einer Mittelohrentzündung zu entgehen. Vor allem nicht mit Mitte Zwanzig. Meiner Meinung nach wäre so ein Mann nice-to-have, aber ohne geht’s gerade auch. Papa ist da allerdings ganz anderer Meinung.

Papa wirbt für mich, wie die Kellnerin für die teure Flasche Wein

Der Punkt, an dem ich ihm schließlich verschämt unterm Tisch gegens Bein kicke, ist erreicht, als Papa mich vor einigen Monaten in Berlin besucht. Ich wohne dort zur Untermiete bei einer langjährigen Bekannten von ihm. Die Dame hat einen Sohn in meinem Alter, den ich nur von Fotos kenne. Er ist Musiker und damit eigentlich schon mal nicht mein Typ. „Schon vergeben, dein Sohn?“, fragt Papa seine Bekannte, als wir zu dritt beim Kreuzberger Franzosen sitzen. Ja, der Junge ist (Gott sei dank ...) vergeben. Papa mag das gehört haben, es interessiert ihn aber nicht. Denn er wirbt weiterhin für mich, wie die Kellnerin für die teure Flasche Pouilly Fumé, die sie wie ein Baby in ihren Händen hält. Als sanftes auf die Füße tippen nicht hilft, trete ich Papa also. Das bringt erstmal Ruhe.

Ich finde es ja nett, dass er sich um mich kümmert und sorgt. Dass er aus all diesen männlichen Wesen, für die er, bis ich etwa 18 war, nur den Sammelbegriff „Verbrecher“ kannte, einen heraussuchen will. Einen, der nichts verbricht und der gut auf mein kleines Herz achtgibt. Das Problem ist leider nur, dass Papa und ich bei der Partnerwahl völlig unterschiedliche Kriterien anwenden. Woher soll er auch wissen was ich gut finde, darüber sprechen wir nicht. Der Unterschied wird mir vor allem bewusst, als ich ihn beim Tindern beobachte.

 

Papa filtert, man könnte sagen, eher pragmatisch. Warum nicht Pietro aus Rom? „Der kann dir doch beim Italienischlernen helfen!“. Oder Adam mit dem dicken Wollschal? „Der friert anscheinend auch ständig. So wie du.“ Und: „Schau mal, ein Osteopath! Der könnte doch was für den Rücken deiner Mutter tun?“ Was Papa dabei nicht sieht, ist das Camp David Shirt, das Pietro trägt. Die Angeber-Boulder-Wand, die der Osteopath halbnackt hochklettert und dass Adam „looking for kinky woman“ in seiner Beschreibung hat. Mit „frierend“ lässt sich „kinky“ auf jeden Fall nicht übersetzen.

 

Ich versuche Papa also für mein Beuteschema („Gutmenschen“ und „Tierliebhaber“) zu sensibilisieren. Doch dafür hat er wenig Verständnis. „Ärzte ohne Grenzen? Der kriegt nie eine ab“, kommentiert Papa hämisch einen Mann im Kittel. Einem Alexander, der mit Pinguinen posiert, rät er „lieber gleich im ewigen Eis zu bleiben“. Und einem jungen Mann mit Lamm auf dem Arm („Guck mal, wie niedlich, Papa!“), unterstellt er eine besonders intime Beziehung zu Schafen. Mäh.

 

Papa will jemanden für mich, der einen Reifen wechseln kann

 

Wir kommen da irgendwie nicht zusammen. Dafür begreife ich langsam, was Papa eigentlich für mich will und warum: Neben Stabilität und Sicherheit vor allem jemanden, der einen Reifen wechseln kann. Das wäre auch gut für ihn, damit er das nicht mehr machen muss. Damit er wieder mehr Verantwortung abgeben kann. Meine Annahme, es hätte ihm gefallen, dass ich ihn nun wieder öfter besuche und mit ihm in den Urlaub fahre, ist nicht ganz richtig. Papa will ziemlich oft einfach auch seine Ruhe. Und die hat er nur – und das sagt er auch so deutlich – wenn es seiner Tochter gut geht. Wenn sie glücklich ist. Und glücklich bedeutet für die Generation-Papa wohl auch immer noch glücklich verliebt.

 

Nach einer Stunde, es ist fast Mitternacht, nehme ich Papa das Handy weg. Er hat noch immer niemanden gematched. Ich gehe ins Bett und als ich dort liege, gebe ich bei Google „Grand Prix de la Baguette 2017“ ein. Sami Bouattour, der beste Bäcker von Paris, hat ein schönes Lächeln. 

 

Unsere Autorin bleibt lieber anonym, damit sie ihren Vater weiterhin unbemerkt bei Tinder die Vorauswahl treffen lassen kann. In den allermeisten Fällen hatte er eben doch Recht.

 

Was Papa und Mama noch gut können – oder eben nicht:

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