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Oh no, Papa hält eine Rede!

Illustration: Lucia Götz

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Vermutlich werde ich nie heiraten. Ich habe einfach zu große Angst davor. Nicht vor diesem Schritt an sich, nicht vor dem Sich-Ewig-Binden. Damit könnte ich mich schon anfreunden. Nein, ich habe Angst vor etwas, das auf meiner Hochzeit irgendwann unausweichlich wäre: Der Rede meines Vaters.

Mein Vater hält gerne Reden. Auf Familienfesten, zu runden Geburtstagen oder Konfirmationsfeiern, aber auch bei der Weihnachtsfeier der C-Jugend eines kleinen Fußballvereins, in dem sein Sohn in der Abwehr kickte.

Er steht dann auf, klackert mit dem Messer gegen ein Glas, räuspert sich – und ich möchte mich sofort nach Australien oder einen anderen möglichst weit entfernten Ort beamen. Weil ich weiß, dass er Sachen sagen wird, die mir peinlich sind. Einen unpassenden Kommentar über einen der Anwesenden, bei dem ich mich am liebsten sofort für das Gesagte entschuldigen möchte, obwohl ich es ja gar nicht selbst von mir gegeben habe. Eine seiner Weisheiten, die ich am liebsten sofort mit einem lauten Einspruch versehen würde, weil sein Weltbild so viel konservativer als meins ist. Vielleicht wird er sogar ein Lied anstimmen, auch das ist schon passiert.

Eltern reden gerne über ihre Kinder. Gerade zu besonderen Anlässen, an denen sie vor Stolz überquellen, scheinen sie ein Ventil dafür zu brauchen. Ist vielleicht ein instinktives Verhalten.

Dieser Stolz muss ähnlich wie Liebe funktionieren, die ja angeblich blind macht. Anders ist es nicht zu erklären, dass Hochzeitsgäste Jahr um Jahr mit langatmigen Ausführungen über den Werdegang aus Elternmündern gequält werden. In einem Detailreichtum, der oft unglaublich erscheint. Man kann nur beten, dass die eigenen Eltern nicht bewandert im Umgang mit Beamer und Powerpoint sind, sonst droht auch noch der Supergau in Form einer Präsentation mit 328 Kindheits- und Jugendfotos, die eigentlich nur zwei Ausprägungen kennen: stinklangweilig und unfassbar peinlich.

Mein Vater ist eigentlich ein eher guter Redner. Er weiß, was gute Pointen sind, und er weiß sie gezielt einzusetzen. Besser wird es dadurch aber nicht: Das rhetorische Geschick des Elternredners wird zum Problem, wenn man selbst Gegenstand der Rede und somit auch der Pointe ist. Dann kommen die Anekdoten aus dem eigenen Leben, die man eigentlich gerne in dunklen Schubladen vergraben hätte, umso zugespitzter und treffender zur Sprache. Anekdoten, die niemanden etwas angehen, jetzt aber auf dem Tisch sind und für die man fortan von allen anwesenden Freunden bis in alle Ewigkeit verarscht wird.

Das Erstaunliche: Ich bin meistens der einzige, der diese Reden schlimm findet. Die anderen Gäste hingegen schwärmen danach von dieser „voll netten“ Rede und sagen: „Dein Vater ist so cool!“ Umgekehrt geht es mir meistens ähnlich: Auch ich finde Elternreden über Freunde von mir meistens nett – von den oben erwähnten Powerpoint-Totalausfällen mal abgesehen. Als außenstehender Zuhörer ist man ja tatsächlich oft amüsiert und nimmt vor allem die Wärme wahr, die in so einer Rede liegt. Man spürt die Liebe der Eltern zum Kind, den Stolz, die Rührung – was ja im richtigen Maß vorgetragen grundsätzlich alles erst mal schöne Sachen sind. Woher aber kommt dieser Unterschied in der Wahrnehmung? Warum findet man als Kind, das Mittelpunkt einer Elternrede ist, diese Rede schlimm, während man Elternreden über andere okay bis schön findet?

Wahrscheinlich liegt ein Teil der Erklärung tatsächlich in der Mittelpunkt-oder-nicht-Ecke. Denn bei Elternreden sind die Kinder im Mittelpunkt, aber bei gleichzeitiger völliger Hilflosigkeit. Sie können nicht eingreifen, nicht steuern. Haben es nicht in der Hand, was da mit ihnen geschieht. Es ist, als würde man auf eine Bühne ins Rampenlicht gestoßen, ohne sich dort bewegen oder sprechen zu können.

Das heißt auch: Man ist in eine Rolle zurückversetzt, die man als erwachsenes Kind eigentlich längst hinter sich gelassen hat. Man ist wieder das kleine Kind, über das Papa urteilt. Das unreife Menschlein, dem jetzt verbal lobend durchs Haar gewuschelt oder ein kleiner Klaps versetzt wird. Das kann sich nicht gut anfühlen.

 

Ich hoffe, ich werde diesen Text hier so schnell nicht vergessen. Denn irgendwann werde ich selbst bestimmt mal in die Situation kommen, eine Rede zum Abitur meines Kindes halten zu wollen. Und dann wird ihm das sicher auch peinlich sein.

 

Der Autor dieser Kolumne möchte anonym bleiben, damit sein Vater bei der nächsten Rede nicht aus diesem Text zitiert.

 

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