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Die haben ja echt keinen Plan

Illustration: Daniela Rudolf

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"Die kochen auch nur mit Wasser" – ich glaube, dieser Satz steht an der Spitze der Sätze, die man zwischen dem 18. und 30. Lebensjahr am häufigsten hört. In der Schule, in der Uni, beim ersten Praktikum. Meistens sagen diesen Satz Menschen, die einen mögen. Die einem sagen wollen, dass "niemand alles kann". Das soll einen dann beruhigen. Dass dieser Satz tatsächlich wahr ist und leider für alles und jeden gilt, ist mir allerdings erst gestern wirklich klar geworden. Da wurde von der großen Koalition das Asylpaket II beschlossen.

Bisher war es bei mir nämlich so, und das erscheint mir beim Aufschreiben selbst ein bisschen irre: Dieser Satz galt nicht für unseren Staat. Der kochte halt doch nicht mit Wasser, sondern hatte im Zweifelsfall irgendwelche geheimen Superkräfte. Zumindest hatte ich, die in Deutschland nie Krieg, Hunger oder sonstige Bedrohungen des eigenen Lebens erleben musste, immer dieses Gefühl. Diesen "Es wird schon alles gut werden"-Wattebausch, der über allem lag, selbst wenn der Staat mal wieder Menschen schlecht behandeltete oder Politiker sich wie Trottel benahmen. Das waren dann die unrühmlichen Ausnahmen, Stolpersteine auf dem Weg in eine immer besser werdende Welt. Denn irgendwie ging's uns ja immer gut.

Und jetzt, vermutlich seit das begann, was man „Flüchtlingskrise“ nennt (obwohl das Wort natürlich schon bescheuert ist, weil das Retten von Menschenleben nie eine Krise sein sollte), kommt auf einmal dieser ungute Verdacht: Was, wenn doch alle ausnahmslos mit Wasser kochen – auch der Staat?

Das erste Mal schlich sich dieser Gedanke im September an. In den Nachrichten war von "Rekordzahlen an Flüchtlingen" die Rede verschiedene Ministerpräsidenten beschimpften die Regierung als "planlos".

Normalerweile hätte man das als strategisches "Frau Merkel ist übrigens schuld und doof" abgetan. Als Politiktheater. Aber dieses Mal war etwas anders: Weil die Politiker auf einmal  sagten: "Wir haben übrigens auch keine Ahnung, wie es weitergehen soll." Und dabei ziemlich ratlos guckten. Was man als Politiker, der Wähler gewinnen will, ja eher lieber nicht sagt. Da redet man um Probleme herum, zieht irgendeine Studie aus dem Ärmel oder schiebt die Lösung des Problems irgendwo anders hin. Aber zu sagen, dass man nicht weiter weiß – das war aus Politikermündern neu.

Dieses seltsame Gefühl der Planlosigkeit bestätigte sich dann auch, als die Mikros und Kameras aus waren. Als Politiker auch in Hintergrundgesprächen sagten: "Wir haben da wirklich nichts vorbereitet." Aber da war trotzdem noch ein Rest von Unglaube. Diese Hoffnung, dass das doch alles seltsame Koketterie ist und irgendwann tritt jemand vor einer den Plan präsentiert, den ein Expertenrat bereits in den zehn Jahren, in denen man wusste, dass dieser Moment kommen würde, ausgearbeitet hat. Voilà.

Dieser Moment hätte gestern sein können. Da wurde besagtes Asylpaket II beschlossen. Das sieht unter anderem vor, Familien von vielen Flüchtlingen vorläufig nicht mehr nachkommen zu lassen, Menschen, die nicht sterbenskrank sind, abzuschieben und die Flüchtlinge ihre Sprachkurse mit zehn Euro im Monat zu subventionieren. Nach dieser Verkündung hat Angela Merkel sich mit den Ministerpräsidenten getroffen und abgemacht, dass man jetzt erstmal eine Arbeitsgruppe gründet, in der sich Bund und Länder gemeinsam mit der Integration der Flüchtlinge beschäftigten. Der Bremer SPD-Oberbürgermeister Carsten Sieling sagte daraufhin, dies sei "ein Meilenstein" in der Flüchtlingspolitik und meinte das total unironisch. Meilenstein. Eine Arbeitsgruppe. In der man bis Ende Februar redet und dann "Eckpunkte" bekannt gibt, was man sich ausgedacht hat über die Integration. Eckpunkte für hundertausende Menschen, die schon Monate, Jahre hier leben. Die darauf warten, dass es auch ihr Leben nicht nur auf Warten von Entscheidungen besteht, sondern dass es mal losgeht. Und die jetzt wohl auch realisieren müssen: Auf sie war niemand vorbereitet.

"Die kochen nur mit Wasser". Dieser Eltern-Satz stimmt tatsächlich, für alle. Aber eigentlich wollte man das gar nicht wissen.

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