Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

"Das Beste ist eine klare Ansage"

Illustration: Jessy Asmus

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Eine Interviewserie zum Thema Integration – und dem Frauenbild von Flüchtlingen. Und von uns.

Folge 3: ein Gespräch mit Serena Widmann, 45, Ehrenamtlerin in der Flüchtlingshilfe

Serena Widmann ist seit viereinhalb Jahren ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe in München aktiv. Unter anderem organisiert und begleitet sie Ausflüge für Flüchtlinge, zum Beispiel ins Stadtmuseum, zu Sportveranstaltungen, aufs Tollwood oder in den Olympiapark, und arbeitet im Lighthouse Welcome Center, einer Infostelle für Flüchtlinge in der Bayernkaserne, mit. Für das Gespräch treffen wir uns im Aufenthaltsraum für Frauen in der Bayerkaserne, in dem auch regelmäßig Freizeitaktivitäten und Sprachkurse angeboten werden.

jetzt: Serena, würdest du sagen, dass Flüchtlinge ein anderes Frauenbild haben als jemand, der in Deutschland aufgewachsen ist?

Serena Widmann: Ich glaube, dass viele anders erzogen wurden oder mit anderen Traditionen aufgewachsen sind. Aber die Jungs sind schon extrem verschieden: Es gibt ganz freundliche, dann gibt es die, die ganz schüchtern sind und einen nicht mal anschauen – und ja, es gibt auch die, die plump und gar nicht feinfühlig sind. So wie in unserer Gesellschaft auch.

Wie reagierst du dann?

Das Beste ist eine klare Ansage. In die Offensive gehen, direkt drauf ansprechen. 

Wie genau?

Ein Beispiel: Neulich war ein sehr netter Nigerianer da und wollte gerne einen Tee haben. Ich habe gefragt, ob mit oder ohne Zucker, und er sagte: „Without suger please, sugar is not good for my penis!“ Ich dachte, ich hör nicht richtig! Meine Kollegin, eine jüngere, war total betroffen. Ich bin raus zu ihm und hab ihm unter vier Augen gesagt, dass er niemals vor einer deutschen Frau einfach über seinen Penis reden darf. 

Und wie hat er reagiert?

Er sagte: „Oh, aber in Nigeria ist es normal darüber zu reden, dass Zucker nicht gut für die Potenz ist.“ Er war ganz beschämt und hat sich tausend Mal bedankt, dass ich ihm das gesagt habe. Das zeigt, wie wichtig das Aufklären über andere und ungewohnte Verhaltensmuster ist.

Es ist also oft Unwissenheit und kein bewusstes Handeln?

Genau. Unerfahrene oder jüngere Kolleginnen fühlen sich dann oft überfahren und werden unhöflich, sie drehen sich zum Beispiel einfach weg. Das ist keine Lösung. Und es kommt arrogant rüber. Es ist wichtig, einen Weg zu finden, dem anderen zu erklären, dass das nicht in Ordnung war, mit dem man ihn nicht bloßstellt. Viele sind ja auch einfach reizüberflutet, wenn sie herkommen.

Wie meinst du das?

Als ich im Sommer zum Beispiel einen Ausflug mit ein paar Jungs gemacht habe, waren junge Ehrenamtlerinnen dabei, die im Bikini mit denen ins Wasser gesprungen sind. Das würde ich nie machen, wenn ich die Begleit- und Respektperson bin. Auch nicht bei einer deutschen Gruppe. Und für die Jungs ist das auch unangenehm.

Du meinst, man muss es langsamer angehen?

Genau, einfach viel, viel reden. Am Eisbach lagen natürlich auch die Nackerten rum. Die Jungs haben nichts gesagt, sich nur beschämt weggedreht, da musste ich erstmal erklären: „Das ist hier normal und es ist gut, dass wir da so frei sind – aber klar, nicht jeder schaut sich das gerne an.“ Man muss sie darauf ansprechen, sonst kommt es zu Missverständnissen.

Aber es liegen ja nicht überall Nackte rum.

Aber allein die vielen Werbeplakate mit halbnackten Frauen – das ist Sexismus, der hier „normal“ ist, und der viele, die herkommen, total irritiert. Wobei das bei Jugendlichen, die hier aufwachsen, auch so ist: In der Schule meiner Kinder haben sie im Sommer überlegt, ob sie die extrem kurzen Hotpants verbieten sollen – und die Jungs selbst haben gesagt, sie fänden das gar nicht so schlecht, weil sie dadurch manchmal abgelenkt seien. Die haben sich Gedanken darüber gemacht, dass sie damit nicht umgehen können. Genau so geht es auch vielen Flüchtlingen. 

Wie können wir ihnen helfen, damit umzugehen?

Es ist ganz wichtig, dass es schon in der Erstaufnahme Schulungen gibt, um gewisse Sachen zu klären und anzusprechen. 

Worum sollte es da gehen?

Vor ein paar Jahren habe ich regelmäßig eine Veranstaltung gemacht, die hieß „Typisch deutsch“. Da ging es viel um Traditionen, aber auch um Frauenrechte. Einige Männer haben gesagt: „Wie, Frauen sind gleich? Und dürfen arbeiten?“ Ich habe sie über die Rechte und Pflichten eines jeden gleichgestellten Bürgers aufgeklärt. Sie waren froh und dankbar, solche Infos zu bekommen. Weil sie es teilweise einfach nicht wussten. Aber auch für moderne Männer sind solche Schulungen wichtig – allein wegen Verhütung und ansteckenden Krankheiten. Sollte es meiner Meinung nach auch wieder viel mehr an deutschen Schulen geben.

Aber nur mit Theorie ist es ja auch nicht getan.

Nein, deswegen wäre es super, wenn es Ehrenamtskreise schaffen würden, die Leute einfach mit ins normale Leben zu nehmen. Aber Schritt für Schritt – und nicht gleich im Bikini in den See hüpfen, wenn man sich das erste Mal trifft.  

Wir reden die ganze Zeit über die Männer – wie gehen eigentlich die Frauen, die herkommen, mit dem Thema um?

Da macht es natürlich einen Unterschied, ob sie alleine hergekommen sind oder als Ehefrauen. Eine Zeit lang hatten wir hier viele syrische Familien und da haben sich jede Woche 20 Frauen hier im Frauenraum getroffen. Ich habe gefragt, ob sie stricken wollen, und sie so: „Nee, stricken, können wir gar nicht!“ Das war so ein Klischee von mir: Die arabische Frau, die daheim sitzt und kochen und stricken muss! Dabei wollten sie lieber über ihre Männer meckern und es genießen, dass sie nicht kochen müssen (lacht). Es war dann toll, zu sehen, wie sie sich gegenseitig total unterstützt und auch über Sexualität gesprochen haben.

Wie haben sie darüber gesprochen?

Über ganz normale Dinge, wie in jeder Frauenclique – über Regelschmerzen zum Beispiel, oder Partnerprobleme, eine andere, dass sie glaubt, sie sei schwanger. Wir haben dann zusammen einen Test gemacht.

Das klingt nach einem sehr offenen Umgang.

Ja, untereinander waren sie wahnsinnig offen! Aber ich glaube, dass einige Männer das nicht sind – und dass einige Frauen das leider auch nicht an ihre Söhne weitergeben. Einige haben auch erzählt, dass sie die Pille nehmen und ihr Männer das nicht wissen. Es ist schade, dass sie mit ihrem Partner nicht offen darüber sprechen können.

Und was ist mit den Frauen, die alleine herkommen?

Das sind vor allem afrikanische Frauen. Bei ihnen habe ich das Gefühl, dass sie die Liebe suchen. Viele sehnen sich, glaube ich, auch einfach nach körperlicher Nähe, sie umarmen einander oft. Ihr Umgang miteinander ist insgesamt viel körperlicher als bei vielen, die aus arabischen Ländern kommen.

Brauchen die Frauen so einen Raum wie diesen hier?

Der Frauenraum wurde damals gegründet, weil es hieß: Wir brauchen einen Raum, in dem die Frauen alleine einen Deutschkurs und andere Aktivitäten besuchen können. Ich glaube, dass das nicht unbedingt richtig ist, denn eigentlich sollten wir gleich klarmachen, dass es hier normal ist, in gemischten Gruppen zu lernen. Und ich habe festgestellt, dass es für die Wenigsten ein Problem ist. 

Gibt es diese Frauen-Kurse noch?

Ja,  einmal die Woche  – aber die Frauen gehen lieber in die gemischten Kurse und das klappt gut. Manchmal machen wir uns, glaube ich, einfach zu viele Gedanken und müssten die Menschen hier einfach öfter mitnehmen. Dann wird alles für alle ein bisschen normaler. 

  • teilen
  • schließen