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Was können feministische Pornos?

Illustration: Jessy Asmus

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Annabelle, eine schüchterne junge Frau, will sich hohe Schuhe von einer Bekannten ausleihen und steht vor ihrem Kleiderschrank. Da entdeckt sie, dass ihre tätowierte Bekannte in ihrem Schrank hinter ihren Blümchenkleidern Männerklamotten versteckt hat. Annabelle ist irritiert und erregt. Die Tätowierte erklärt ihr: "Die Grenzen zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit zu überschreiten, beides zusammenzubringen, das finde ich einfach unglaublich sexy." Sie küsst Annabelle, die lässt sich verführen. Ihr erstes Mal mit einer Frau wird für sie zu einer Offenbarung.

Der Film von Jennifer Lyon Bell heißt „Silver Shoes“ und wird auf dem PorYes-Award, einem feministischen Pornofestival in Berlin, gezeigt. Die Regisseurin bekommt dafür sogar einen Preis an diesem Festivalabend im Herbst. Der Kinosaal in den Hackeschen Höfen in Berlin ist bis zum letzten Platz belegt. Frauen mit hippen Frisuren von Mitte zwanzig bis Mitte vierzig, aber auch Männer und ältere Frauen sind darunter.

Lange galt feministischer Porno als Nischenphänomen. In den vergangenen Jahren hat sich allerdings etwas verschoben. Es gibt Festivals wie dieses. Die feministische Regisseurin Erika Lust wird durch alle, also wirklich alle, Magazine gereicht. Eine Revolution ist im Anmarsch, so die Message. Aber stimmt das auch?

Bei Fairtrade ist es ja so: Alle finden es gut und am Ende gehen sie doch zu Penny. Wie ist das mit den Pornos?

Feministischer Porno lässt sich mit dem Fairtrade-Siegel vergleichen, denn es geht um ähnliche Fragen: Unter welchen Bedingungen und wo wurde der Porno produziert? Wer profitiert davon? Konsens beim Sex und faire Arbeitsbedingungen sind wichtige Merkmale.

Zu einem feministischen Porno wird ein Film nicht einfach dadurch, dass Frauen in Regie und Produktion des Films involviert sind. Die Arbeit sollte laut der Website der Feminist Porn Awards (FPA) Lust und Begehren bei allen Protagonisten zeigen und Stereotype herausfordern, sich also klar von der Mainstream-Pornoindustrie absetzen. Vielfalt also, statt sinnentleertem Rammeln. Man kann also davon ausgehen, dass man wie beim Fairtrade beim feministischen Porno also kein schlechtes Gewissen haben muss, was die Produktion betrifft. Aber bei Fairtrade ist es ja auch so: Alle finden es gut – und am Ende gehen sie doch zu Penny. Wie ist das mit den Pornos?

"Im Mainstream-Porno ist Sex meistens auf 'Blasen, Ficken, Spritzen' begrenzt. Da sind alle Alternativen zu begrüßen", sagt die feministische Kommunikationswissenschaftlerin Laura Méritt. Weil: "Wir finden, Zensur kann nicht die Lösung sein." Zusammen mit anderen Feministinnen organisiert die 55-Jährige mit den kurzen roten Haaren deshalb alle zwei Jahre den PorYes-Award in Berlin. Der Erfolg von feministischen Pornos gebe ihr recht, findet sie.

In ihrer eigenen Wohnung betreibt sie außerdem einen Sexshop und lädt jeden Freitag in ihr Wohnzimmer zum Beisammensein ein: Meditieren, Pornos gucken, über Sex reden. "Es gibt ein so großes Interesse an unseren Veranstaltungen, die Leute wollen endlich was anderes sehen." Sex zwischen allen Geschlechtern, Körper jenseits der Schönheitsnorm, ohne eindeutiges Geschlecht und mit körperlichen Behinderungen werden beim PorYes-Award auf die Leinwand projiziert.

"Im Mainstream-Porno reden die ja nicht miteinander. Die sagen ja eigentlich nur 'Machs mir härter, fick mich doller'", sagt Méritt. Im feministischen Porno könne man dagegen sehen, wie Leute miteinander verhandeln: "Was wollen wir überhaupt machen? Gib mir mal Gleitgel. Solche Sätze. Da wird gezeigt, wie so etwas sexy in das Liebesspiel eingebaut wird."

Auch die Art der Produktion ist oft ungewöhnlich: Das Licht ist teilweise sehr roh und ungeplant, in einem Film ist auf der Soundspur Kindergeschrei zu hören. Dadurch wirken einige der Filme selbstgemacht und unprofessionell. Ein Zuschauer beim PorYes-Award ist am Ende enttäuscht: "Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, wie das eine Alternative zu Mainstream-Pornos sein kann." Er habe fünfzehn Jahre lang täglich Pornos geschaut, bis er genug gehabt habe. "Ich wäre ja dankbar für eine Alternative, aber das heute hat mich überhaupt nicht angesprochen." Anders als bei Fairtradeschokolade ziehen ethische Argumente beim Sex offenbar nicht so gut bei manchen Konsumenten.

Und selbst Frauen erreichen feministische Pornos bisher kaum. Der Sexualwissenschaftler Ogi Ogas schätzt, dass maximal 20 Prozent der Frauen überhaupt Pornos schauen. Und diese seien eigentlich eher an solchen interessiert, die den männlichen Blick bedienen. "Die meisten Frauen, die visuelle Pornographie suchen, schauen dieselben Filme wie die Männer: hardcore, anonym und graphisch", sagt Ogas. Warum das so ist, wisse er nicht. "Es gibt die Annahme, dass Frauen, die Pornos schauen, dazu neigen, aggressiver und risikofreudiger zu sein. Dass sie außerdem offener für sexuelle Affären sind als andere Frauen. Das sind Verhaltensweisen, die eher mit Männern assoziiert werden." Also gibt es für feministische Pornos keinen Markt?

Die Sexualtherapeutin Gabriele Maurer-Waitschacher hat da einen anderen Blick: "Bei unserer Arbeit als Sexualtherapeuten merken wir immer wieder, dass Frauen nicht abgeneigt sind, Pornografie zu nutzen. Aber die Filme, die hauptsächlich auf dem Markt sind, sprechen die Frauen nicht an." Sie glaubt, dass immer noch zu wenige Frauen von den feministischen Pornos wissen. "Ich denke, ein Markt wäre schon da  – er wird aber nicht sonderlich propagiert." Ogi Ogas sieht das anders: "Niemand musste daran arbeiten, ein Publikum für 'asiatische Mädchen mit Zahnspangen und dicken Hintern' oder 'vollbusige Milfs mit Strapsen' zu erreichen" Was den Leuten gefalle, werde früher oder später von allein erfolgreich, glaubt er.

"Die Menschen stellen fest, dass sie nicht akzeptieren müssen, was sie beim ersten Klick online finden und sind offener für alternative Pornos."

 

In einem Punkt stimmen die beiden überein: "Natürlich sind die sexuellen Vorlieben von jeder Person sehr individuell." So gesehen bereichern feministische Sexfilme das Spektrum der Pornografie und müssen sich für eine Existenzberechtigung gar nicht gegen den Mainstreamporno durchsetzen.

 

Sind feministische Pornos nun also ein Nischenphänomen? Oder haben sie doch eine Chance bei der breiten Masse?

Zumindest kann man mittlerweile mit ihnen Geld verdienen, wie Kitty May zu erzählen weiß. Die Mitte-30-Jährige arbeitet im alternativen Berliner Sexshop „Other Nature“, eine Art Bioladen unter den Sexshops. Da soll man laut Eigenwerbung auch seine Mutter mitbringen können.

 

Tatsächlich sieht der helle Laden in Kreuzberg mit Holzdielen und großen Fenstern eher aus wie ein Blumenladen. "Es kommen immer mehr Leute, nicht nur solche aus der queeren Szene", sagt May. Sie trägt bunte Strumpfhosen und könnte tatsächlich eine freundliche Blumenverkäuferin sein. "Sie stellen fest, dass sie nicht akzeptieren müssen, was sie beim ersten Klick online finden und sind offener für alternative Pornos."

 

In den Sexshop kommen ihrer Aussage nach nicht nur Berliner, sondern Menschen aus der ganzen Welt. Nicht  nur wegen der ökologisch und vegan hergestellten Dildos, sondern auch wegen der feministischen Pornos im hinteren Teil des Ladens. Wie Laura Méritt ist auch Kitty May was die Zukunft des Pornos angeht optimistisch: "Wir haben uns nicht verändert, aber die Gesellschaft scheint ihre Haltung gegenüber Sexualität zu verändern." Auch die Sexualtherapeutin Gabriele Maurer-Waitschacher begegnet durch ihre Arbeit vielen Menschen, die Interesse an feministischen Pornos haben könnten. Das Thema hat also zumindest das Potenzial, es bald aus der Nische raus zu schaffen.

 

Vielleicht ist am Ende mit den feministischen Pornos dann wie mit der Fairtrade-Schokolade: Die Mehrheit wird immer noch die Massenware essen, das Fairtrade-Produkt ist aber trotzdem in den meisten Supermärkten verfügbar. So kann es jeder zumindest einmal probieren und sich danach überlegen, was ihm besser schmeckt. Den Hunger stillt zumindest beides.

 

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