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Hamburger machen Zaun gegen Obdachlose zum Gabenzaun

Foto: Hamburger Gabenzaun

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Die Mauer an einem Vorplatz des Hamburger Hauptbahnhofs ist etwas mehr als kniehoch – ideal also, um sich draufzusetzen. Nicht so ideal fand der Bezirk Mitte laut NDR, wer sich dort oft hinsetzte: Obdachlose.

Was tun also? Versuchen, das eigentliche Problem, also die Obdachlosigkeit der Menschen, die dort saßen, zu lösen? Nein. Viel zu kompliziert. Stattdessen bekam die Mauer einen Zaun oben drauf. Und war fürs Hinsetzen fortan gar nicht mehr ideal. Zweckentfremdung made in Germany, dem Land von Recht und Ordnung.

Vor ein paar Wochen dann hingen an dem Zaun plötzlich prall gefüllte Plastiktüten und laminierte Papier-Schilder. "Gib, was du kannst, denn du schläfst heute in einem warmen Bett“, stand auf einem der Schilder, auf einem anderen, in noch größeren Lettern, wie als Überschrift: „Hamburger Gabenzaun“.

Der Zaun, der errichtet wurde, um Obdachlose fernzuhalten, ist so für sie zu einer Anlaufstelle geworden: Hamburger Bürger hängen dort jetzt Sachspenden für Wohnungslose hin auf: Kleidung, Hygieneartikel, Essen, Wolldecken, Schlafsäcke, sogar Futter und Leinen für die Hunde, die viele Obdachlose begleiten. Die Idee wurde sofort angenommen. Die Menschen kommen vor der Arbeit kurz vorbei oder danach, hängen ihre Beutel auf, die kurz darauf schon wieder von Bedürftigen mitgenommen werden. „Wir haben Tage, an denen locker 60 Beutel den Besitzer wechseln“, schreibt einer der Initiatoren des Gabenzauns uns auf Facebook.

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Die Gruppe möchte lieber anonym bleiben. Man wolle, so schreiben sie, „nicht als Gesicht des Gabenzauns fungieren, da es ein Projekt aller Hamburger sein soll.“ Nur so viel wird verraten: Die Gabenzaun-Macher sind Menschen, die schon jahrelang in der ehrenamtlichen Obdachlosenhilfe tätig sind oder durch Freundschaften mit dem Thema konfrontiert wurden.

 

Der Zaun ist neben seinem praktischen Nutzen für Hamburgs Obdachlose aber auch als Statement gedacht. Er soll, so schreiben die Gabenzaun-Initiatoren, „auch auf die Vertreibungspolitik aufmerksam machen“: Also darauf, dass Obdachlose an öffentlichen Orten nicht gerne gesehen und deshalb zum Beispiel mit baulichen Maßnahmen vertrieben werden. Die Gabenzaun-Mauer ist da nicht das einzige Beispiel in Hamburg: Vor kurzem hat die Bahn vor der Sicherheitswache der Polizei am Hauptbahnhof spitze Metallzacken an Sitzgelegenheiten angebracht: Bevor dort unerwünschte Personen herumlungern und Müll und Bierflaschen hinterlassen, sollte wohl lieber gar niemand mehr dort sitzen können. Nach Beschwerden hat die Bahn die „Trinkerzacken“, wie sie in der Presse schnell getauft wurden, wieder abmontiert.

 

Die Gabenzaun-Aktion hat sogar noch mehr erreicht als der Protest gegen die Zacken. Sie hat Bürger ermächtigt, sich den öffentlichen Raum zurückzuerobern. Und sie hat ein Zeichen dafür gesetzt, dass es bei der Nutzung dieses Raums auch auf die Deutungshoheit ankommt: dass die Menschen die Macht haben, zu entscheiden, wie sie in ihrer Stadt zusammenleben wollen und wie sie sich dort begegnen wollen. Bemerkenswert ist ja auch, dass man die Hamburger gewähren ließ: Weder das Personal der Stadtreinigung noch die Polizei oder Securitykräfte der Bahn schritten ein und hängten die Beutel und Zettel wieder ab.

 

Der Zaun wird trotzdem nicht ewig weiterleben, denn es sind einige Umbauarbeiten am Bahnhofsvorplatz geplant. Die Gabenzaun-Initiatoren wollen ihre Spendenanlaufstelle dann umziehen: „Hamburg City hat ja genug Brücken und Zäune“, schreiben sie.

 

Ihre Idee hat sich auch längst weiterverbreitet. In Kassel und Dortmund sind ähnliche Spendenorte für Obdachlose geplant. In Darmstadt gibt es schon länger einen sogenannten „sozialen Zaun.“

 

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