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Was mir das Herz bricht: Frustrierte Aktivisten in der Fußgängerzone

Illustration: Daniela Rudolf

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Es läuft nicht gut für die Jungs und Mädels in ihren bunten Jacken. Gar nicht gut. Am Münchner Karlsplatz sammeln sie an diesem Vormittag für den sibirischen Tiger. Aber bekommen von den Passanten einen Korb nach dem anderen. Ich zähle zehn in zwei Minuten. Wie soll ein Mensch das ertragen? Der Optimismus in ihren Gesichtern weicht langsam dem Frust. Und nach jedem vergeblichen „Hi, ich bin Charlotte, magst du Tiere? “ oder „Hello, ich bin Thomas. Heute ist ein schöner Tag“ bricht mein Herz ein Stück mehr.

Dem Durchschnittspassanten auf dem Weg zum Mittagessen geht das Schicksal des sibirischen Tigers nämlich leider, pardon, am Arsch vorbei.  Er will schnell von A nach B. Er ist genervt. Die Infoständler scheinen auf einige Passanten wie verschrobene Straßenkünstler zu wirken, die für ihren neuesten Taschenspielertrick ein paar Euro absahnen wollen. Höflich reagieren deshalb nur wenige – und das finde ich traurig. Die Passanten sehen einfach nicht, wie sehr es schmerzt, wenn das Herzensanliegen niemanden interessiert. Irgendwann, vielleicht nach der hundertsten Zurückweisung, müssen sich die Aktivisten nicht nur als Vertreter einer Einstellung, sondern auch als individueller Mensch geringgeschätzt fühlen. 

Der Satz „Heute ist ein schöner Tag“, mit dem die Aktivisten Passanten ansprechen, wirkt wie pure Ironie. Nein, der Tag als Fußgängeraktivist ist nicht schön. Er ist beschissen. Wie gerade eben. Der angesprochene Opa starrt störrisch auf den Boden, weil er schnell ins Schuhgeschäft will. „Kein Blickkontakt, bloß kein Blickkontakt“, glaube ich ihn denken zu hören. Er umkurvt das Hindernis, das noch verzweifelt hinterherruft: „Der Tiger!!! Der Tiger!!! Nur fünf Minuten! “

Bei den anderen Passanten ist es das gleiche, traurige Spiel. Die Leute antworten oft nicht mal in ganzen Sätze, sondern geben Laute von sich, die manchmal wie Dschungelgeräusche klingen: „Nä...Nicht...Leider...Kann nicht...Ah...Uff...Grr...Termin.“ Da hilft es auch nicht, wenn die Aktivisten versuchen, die Menschen an ihrer Moral zu packen: „Hey. Du bist doch ein Tierfreund, nicht wahr?“

Die Schultern hängen, der Rücken ist gekrümmt – das Selbstvertrauen der jungen Engagierten schwindet

Irgendwann können sie ihren Frust nicht mehr verbergen. Die Schultern hängen, der Rücken ist gekrümmt. Die Jacke wird zum Ballast. Sie müssen sich Beschimpfungen anhören:„ Ihr seid doch alle Verbrecher!  Weiß der Teufel, wo das Geld dann landet!“ Andere blöken hämisch: „ Haha...Sibirischer Tiger? Also so ein Blödsinn. Macht mal was für deutsche Obdachlose.“

Die jungen Engagierten sind traurig und ihr Selbstbewusstsein schwindet. Irgendwann wirken die Ansprechversuche wie die ersten Anbahnungsversuche von Teenagern: „Hey sorry darf ich...also bitte bitte. Nur für zwei Minuten.“

Es liegt nicht an ihnen, sondern an ihrer Situation

 

In der Pause am Infostand wird der ganze Frust sichtbar, die Aktivisten zweifeln an sich selbst. „Wieso klappt das nicht, so wie ich es mache? Bin ich nicht freundlich genug? Wenn die Leute doch wenigstens zuhören würden. Nein! Wenn sie mich wenigstens angucken würden!“

Dabei machen die Ärmsten gar nichts falsch. Sie sind nett und engagiert. Es liegt nicht an ihnen, sondern an ihrer Situation. Wie gesagt: Zeit und Geld will niemand opfern, schon gar nicht, wenn man überrumpelt wird und gerade auf dem Weg zu seinem Mittagessen war. 

Gegen Mittag gibt es am Infostand Zigaretten, Butterkekse und stilles Mineralwasser. Eine „Jetzt-erst-Recht Einstellung“ macht sich breit. Die niedrigen Temperaturen, aber sicher bei manchen auch die seelischen Wunden, werden jetzt durch unnatürliches Rumhampeln kompensiert.  Dann geht das Ganze wieder von vorne los. Kopf zur Seite legen, im Side-Step in Laufwege Ahnungsloser springen und die Hand zum „High Five“ anbieten. Stundenlang.

Kurz vor Feierabend wird dann der Mini-Burnout mit letzter Kraft heruntergeschluckt. Die Aktivisten werden plötzlich zu hyperaktiven Jägern. Sie werfen sich gegenseitig Blicke zu, die so etwas sagen wie: “Da ist einer, da ist einer. Jutebeutel. Dreadlocks. Dreadlocks, verdammt!!! Das ist unser Beuteschema!“ Der Kollege in bester Position sprintet los – in einem Tempo, bei dem selbst der sibirische Tiger staunen würde. Diesmal klappt es. Er unterschreibt. Kann das klitzekleine Erfolgserlebnis darüber hinwegtäuschen, dass dieser Tag für die Aktivisten schrecklich frustrierend gewesen sein muss? Sicherlich nicht, denn sie gucken alle sehr traurig und erschöpft. Dann packen sie zusammen und verschwinden in der Kälte. 

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