Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Noch online oder schon krank?

inkje / photocase.de

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

"Internetsucht" klingt drastisch, aber das Gefühl, irgendwie ein bisschen zu oft im Smartphone rumzuscrollen, kennt jeder. Einer aktuellen Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zufolge, sind Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 12 und 25 Jahren durchschnittlich 22 Stunden pro Woche online. Diese Zahl beschreibt nur die Zeit, die sie für die Kommunikation mit Freunden oder Familie, zum Spielen oder zur Unterhaltung aufwenden. Wie lang sie darüber hinaus für Schule, Studium oder Arbeit im Netz sind, ist noch gar nicht eingerechnet. Klingt trotzdem schon viel. Bedenklich viel? Möglicherweise ja.

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Marlene Mortler erklärt: "Mittlerweile sind etwa 270.000 Jugendliche von Internetanwendungen abhängig, etwa doppelt so viele wie 2011." Doch wo fängt diese Abhängigkeit an und wie kriegt man sie in den Griff?

Eine Antwort auf die Frage soll ein neues Portal bieten. Ein Forschungsteam der Sektion für Suchtmedizin und Suchtforschung der Universität Tübingen hat heute, am 7. Februar und weltweiten Safer Internet Day, eine Onlinedatenbank zur Therapiesuche für Menschen mit Internetsucht online gestellt. Zu erreichen ist sie unter erstehilfe-internetsucht.de. Die Website enthält bisher mehr als 950 Einträge und soll laufend ergänzt werden. Man findet hier außerdem einen Psychotest zur SelbsteinschätzungFallbeispiele von Betroffenen und eine Checkliste für die Therapiesuche.

Wir haben anlässlich des Launches der Website mit dem Suchtforscher Dr. Kay Petersen gesprochen. Er hat das Portal mit seinen beiden Kolleginnen, der Medienwissenschaftlerin Sara Hanke, und der Psychologin Linny Bieber in den vergangenen Monaten gemeinsam entwickelt. 

jetzt: Ich habe gerade den Test auf Ihrer Seite gemacht. Mein Ergebnis lautet: Ich bin zu 71,43 Prozent vom Internet abhängig. Dabei ich habe mich bisher eigentlich für einen der weniger internetsüchtigen Menschen aus meiner Peer-Group gehalten. Ich solle einen Berater aufsuchen, heißt es.

Dr. Kay Petersen: Oh! Da kann ich jetzt natürlich wenig zu sagen, weil ich ja nicht weiß, was Sie konkret angegeben haben. Wichtig ist, dass Sie das Testergebnis nicht als Enddiagnose begreifen, sondern lediglich als Hinweis. Aber vielleicht sollten Sie sich einfach einmal beraten lassen und schauen, was dran ist?

 

Zum Teil hat meine hohe Internetnutzung natürlich auch mit meinem Beruf zu tun. Aber ich weiß auch, dass ich meinen Smartphonekonsum radikal einschränken könnte und es mir dann besser gehen würde. Vermutlich sind viel mehr Menschen internetsuchtgefährdet, als man glaubt, oder? Ich betrachte mich ja auch nicht als Süchtige und bin es vielleicht doch.

Das ist eben immer das Problematische daran, wenn etwas als Sucht klassifiziert wird. Man fühlt sich stigmatisiert und kann sich damit nicht identifizieren. Das ist eine negative Denkweise, die einen nicht weiterbringt. Was einen weiterbringt, ist einfach zu registrieren, dass man ein Problem hat. Man muss sich fragen, wo die Grenzen dieses Problems verlaufen und wie man es beheben kann. Dabei hilft einem im Zweifel eine Beratung. Sie können jetzt aber auch erst einmal selbst analysieren, wo Ihr Problem genau liegt und wie Sie es durch gewisse Regeln selbst beheben können. Dazu gibt es auf unserer Website auch Tipps.

 

Lässt sich denn in ein, zwei Sätzen zusammenfassen, ab wann der eigene Internetkonsum zum Problem wird?

Ja. Es gibt eine Definition die besagt, Internetsucht liege vor, wenn das eigenständige Kontrollieren von Internet-Applikationen nicht mehr gelingt. Wenn es also dazu führt, dass man seinen Alltag aufgrund der hohen Internetnutzung kaum mehr oder nur unter sehr großer Anstrengung bewältigen kann. 

 

Eine sehr intensive Internetnutzung muss aber nicht automatisch ein Problem sein, wenn man sie im Griff hat. 

Genau. Auch sehr intensives Computerspielen muss kein Problem sein. Es gibt ja viele Computerspieler, die gern und viel spielen. Das ist eben ihr Hobby, sie haben Freude daran. Das muss auch in Ordnung sein. Es wird erst dann zum Problem, wenn sie es nicht mehr im Griff haben und es der Bewältigung ihres Alltags schadet.

 

Mir wird im Zuge meines Testergebnisses jetzt als Beratungsstelle unter anderem die Drogenberatung Condrobs empfohlen. Könnten die mir denn wirklich weiterhelfen? Drogensucht ist ja nicht gleich Internetsucht, oder?

Nein, Süchte sind natürlich nicht alle gleich, da gibt es schon bedeutsame Unterschiede. Wobei die Behandlung von Süchten mehr Gemeinsamkeiten hat, als man vielleicht denkt. Und Drogenberatungsstellen sind schon lange auch an dem Thema Verhaltensproblematiken interessiert – Internetsucht ist ja eher eine Verhaltensproblematik als die Abhängigkeit von einer Substanz – und haben dazu Spezialangebote entwickelt. Es ist also nicht so, dass man da dann in eine Gesprächsgruppe von Drogensüchtigen gesetzt wird.

"Nur eine von zehn behandelten Personen ist weiblich, obwohl genau so viele Männer wie Frauen betroffen sind"

 

Es gibt online ja schon einige Aufklärungsangebote zum Thema Internetsucht, zum Beispiel Oasis. Wieso braucht man jetzt noch Ihres?

Meine Kolleginnen und ich haben im vergangenen Jahr im Rahmen unseres Forschungsprojekts „Angebote bei internetbasiertem Suchtverhalten“ unglaublich viele Adressen von Beratungs- und Therapiestellen für Internetsucht angesammelt. Die wollten wir nicht einfach in den Archivschubladen verschwinden lassen, sondern einer größere Öffentlichkeit nutzbar machen. Damit haben wir die bislang umfassendste Datenbank in Deutschland. Und ja, die anderen Angebote gibt es – zum Beispiel „Oasis“ - und einige davon haben wir auch auf unserer Website verlinkt. Wir verwenden aber zum Beispiel für unseren Selbsttest einen gebräuchlichen psychologischen Fragebogen, wie er auch für Umfragen von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung verwendet wird, wenn Studien über die Internetsucht von Jugendlichen gemacht werden. Und wir bringen alle 14 Tage neue Blog-Beiträge mit praktischen Tipps und Anregungen.

 

Gibt es eine ausgemachte Risikogruppe in Sachen Internetsucht?

Die höchste Häufigkeit des Problems ist bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu beobachten. Den Daten nach zu urteilen sind wohl junge, männliche Computerspieler am gefährdetsten. Aber mit solchen Aussagen möchte ich vorsichtig sein, denn ich glaube, dass wir noch viel zu wenig über Internetsucht wissen. Was ist zum Beispiel mit Migranten? Da gibt es keine Studien. Ich könnte mir aber vorstellen, dass auch sie eine Risikogruppe bilden. Ihr Smartphone ist immerhin ihre Verbindung in die Heimat, das kann auch schnell zum Problem werden. Wir haben oft nur Scheinsicherheiten und eine Menge Vorurteile, es muss auf diesem Gebiet noch viel mehr geforscht werden. 

 

Ich hätte jetzt ja gedacht, dass vor allem junge Frauen betroffen sind, die den ganzen Tag auf Facebook und Instagram rumhängen…

Von den Zahlen her sind bis jetzt keine Geschlechtsunterschiede zwischen den Betroffenen zu beobachten. Interessanterweise haben wir aber festgestellt, dass sich neun Mal mehr Männer in die Beratungs- und Behandlungszentren begeben als Frauen. Nur eine von zehn behandelten Personen ist weiblich, obwohl genau so viele Männer wie Frauen betroffen sind. Warum ist das so? Bekäme ich dafür Forschungsmittel, würde ich das sofort erforschen. Warum werden die nicht behandelt oder lassen sich nicht behandeln? Wollen die nicht? Ist die Sucht bei Ihnen weniger problematisch? Bemerken sie sie nicht? Stimmt etwas mit unseren Fragebögen nicht?

 

Ist jetzt zwar ein bisschen simpel gedacht, aber meine Theorie wäre, dass ein Typ, der von morgens bis abends im Keller Dungeons and Dragons spielt, seinen Therapiebedarf schneller erkennt, weil er deutlicher ist. Oder eben seine Eltern. Ein Instagram-süchtiges Mädchen hingegen denkt sich vielleicht nur: Aber die anderen machen es doch genauso! Und die Eltern denken sich vielleicht: Naja, die neue Generation halt.

Da könnte etwas dran sein. Ich vermute übrigens, dass die Social Media-Sucht ein weibliches Phänomen sein könnte. Aber auch das müsste man erforschen.

 

Wieso glauben Sie das?

Ich kann mich da, wie gesagt, im Moment nur auf meine persönliche Annahme berufen, aber es könnte sein, dass Frauen sich sehr viel stärker austauschen und präsentieren wollen, als Männer. Und deshalb anfälliger sind für Social-Media-Abhängigkeit.

 

Was für Möglichkeiten gibt es in Deutschland grundsätzlich, sich mit der Diagnose Internetsucht behandeln zu lassen?

Das fängt an bei der Onlineaufklärung wie zum Beispiel  auf unserer Website oder Onlineberatung (wie auf OASIS), und geht weiter mit der Vermittlung an Therapeuten und Suchtberatungsstellen. Dann gibt es Fachambulanzen in den größeren Städten, oder auf Spiel- und Mediensucht spezialisierte Kliniken. Was leider noch problematisch ist, ist die klassische Behandlung bei einem niedergelassenen Psychotherapeuten. Einige weisen eine Behandlung ab mit der Begründung, Suchtbehandlungen fielen nicht in ihr Tätigkeitsfeld, die Leute sollten erst kommen, wenn sie abstinent seien. Das hängt mit gewissen therapeutischen Gesetzgebungen zusammen, aber ich halte es für ein Problem. Denn Internetsucht ist eben keine Drogensucht, sondern  könnte als Verhaltensproblematik auch beim niedergelassenen Verhaltenstherapeuten gut aufgehoben sein.

  • teilen
  • schließen