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"Der Burkini ist eher ein Zeichen von Integration"

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Jusra Sharif, 26, arbeitet als Zahnärztin. Vor wenigen Wochen ist sie aus dem niedersächsischen Syke nach Amman, Jordanien, gezogen. 

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Jusra Sharif, 26, aus Amman.

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„Als Muslimin wird einem oft unterstellt, man würde unterdrückt und hätte keine Kleidungsfreiheit. Es werden so viele Unterstellungen gemacht, die einfach nicht stimmen und junge Frauen werden abgestempelt. Überhaupt wird viel auf Kosten der muslimischen Frauen ausgetragen. Das nervt! Und dann kommen Leute und meinen, mir Vorschriften darüber machen zu müssen, wie ich mich kleide. Das nimmt mir doch mein Recht auf Selbstbestimmung, schränkt mich in meiner persönlichen Freiheit ein und hat keinerlei Emanzipationssinn. Ich bin ja auch Deutsche, aber da verstehe ich die deutsche Mentalität nicht.

Für mich ist der Burkini das Fashion-Item, das alle meine Probleme löst. Ich bin Muslimin und trage das Kopftuch. Es käme für mich deshalb nicht in Frage, im Badeanzug oder im Bikini zu schwimmen. Verzichten möchte ich darauf aber natürlich nicht. Ich will mit meinen Freunden ins Freibad gehen, am Strand liegen und im Meer schwimmen. Einige glauben, Frauen im Burkini wären nicht frei. Unfrei habe ich mich aber eher gefühlt, als ich noch keinen Burkini besaß. Seine Erfindung ist ja noch nicht sehr alt und in Deutschland gab es lange keinen zu kaufen. Ich wünschte, ich hätte schon in meiner Schulzeit einen besessen. Weil ich auch damals schon Kopftuch trug, konnte ich nicht am Schwimmunterricht teilnehmen. Mit dem Burkini kann ich jetzt alles machen, worauf ich Lust habe.

Natürlich gab es auch negative Reaktionen, wenn ich damit in Deutschland ins Schwimmbad gegangen bin. Das sieht man halt, das hört man, das merkt man. In anderen Teilen der Welt hat sich allerdings nie jemand negativ geäußert. Im Gegenteil: Diejenigen, die noch nie einen Burkini gesehen hatten, fanden ihn interessant und in arabischen Ländern gehört er zum alltäglichen Bild am Meer. Hier in Jordanien trägt fast jede Frau einen Burkini. 

Warum in Deutschland und Frankreich gerade so ein Politikum aus einem Kleidungsstück gemacht wird, verstehe ich nicht. Es ist doch eher ein Zeichen von Integration, wenn muslimische Frauen einen Burkini tragen, statt bestimmten Aktivitäten einfach fernzubleiben. 

Warum lässt man die Leute nicht selbst darüber entscheiden, was sie tragen, wie sie aussehen und ob sie bekleidet oder weniger bekleidet schwimmen gehen? Ich würde mir wünschen,  dass man sich als muslimische Frau in Deutschland nicht mehr mit diesen unnötigen Geschichten auseinandersetzen und sich dafür rechtfertigen müsste. Es gibt ja viele Probleme beim Thema Islam in Deutschland. Frauen mit Kopftuch haben schlechtere Chancen im Beruf, junge Muslime fühlen sich nicht akzeptiert, Menschen werden aufgrund ihrer Religion angefeindet – das sollten wir besprechen und nicht unnötige Diskussionen um Banalitäten wie den Burkini ins Rampenlicht schieben.“

Amira Ouni, 31 Jahre alt, arbeitet als Bibliothekarin in Tunis, Tunesien. 

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Amira Ouni, 31, aus Tunis.

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„Ich trage das Kopftuch im Alltag, logischerweise trage ich auch den Burkini am Strand. Ohne ihn gehe ich nicht schwimmen. Ich verdecke mein Haar und meinen Körper, mit Ausnahme meines Gesichts, meiner Hände und Füße. Für mich ist das kein Zeichen von Konservativismus. Es ist Freiheit. Freiheit die Kleidung zu tragen, die ich möchte – beim Schwimmen wie auch auf der Straße. Wenn ich den Burkini nicht tragen würde, könnte ich auch nicht schwimmen – das ist in meiner Religion so festgeschrieben.

Nach den terroristischen Attacken in Tunesien und dem neuen Anti-Terror-Gesetz ist das Tragen des Niqabs (Ganzkörperschleier) hier verboten. Wir verstehen nicht, warum es verboten ist. Jetzt wurde auch der Burkini in Nizza verboten. Das ist unmöglich und ich bin damit überhaupt nicht einverstanden. Ein paar Terroristen verüben Anschläge überall auf der Welt und wir, die Muslime, bezahlen dafür mit unserer Freiheit. Die Frauen, die den Burkini tragen, folgen einfach nur ihrer Religion. Nur weil du eine Kopfbedeckung trägst, bist du doch noch lange keine Terroristin. 

Der Burkini ist für mich das Mittelmaß zwischen Niqab und Bikini: Weder zu konservativ noch zu unmoralisch. Nur weil ich ihn trage, heißt das nicht, dass ich konservativ bin. Ich arbeite, ich gehe aus, ich habe ein normales Leben. Ich bin auf meine eigene Weise erfolgreich: Ich habe fünf Jahre studiert, ich arbeite, habe ein Auto – dass ich den Burkini trage heißt nicht, dass ich zu Hause bleibe und nichts mache. Meine Freundin neben mir trägt zum Beispiel keine Kopfbedeckung. Ich bin so frei wie sie es ist. Sie trägt was sie möchte und ich trage, was ich möchte.“

Merve Kayikci, 22, lebt und studiert in Stuttgart. Als Primamuslima bloggt sie übers Muslimischsein in Deutschland.  

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Merve Kayikci, 22, aus Stuttgart.

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„Der Burkini ist für mich ein Kleidungsstück, kein religiöses Symbol. Ich trage ihn, um schwimmen gehen zu können – und nicht, um den Islam damit ins Schwimmbad zu bringen oder mich von anderen abzugrenzen. Das ist kein Aufruf von mir, dass sich alle bedecken sollen. Ich möchte damit auch nicht erreichen, dass mich keiner mehr ansehen darf – oder mich ansehen muss. Aber ich bin eben Muslima, ich gehe gerne schwimmen und ich möchte mich im Wasser genauso bedecken, wie ich das sonst auch mache. Das ist eine persönliche Entscheidung. Ob ich das aus religiösen oder anderen Gründen tue, sollte niemanden etwas angehen – so wie es mich nichts angeht, was andere Menschen im Schwimmbad oder am Strand tragen. 

 

Ein Burkini ermöglicht es mir, das zu tun, was alle anderen auch tun und dort zu schwimmen, wo der Rest der Menschen auch hingehen kann. Könnte ich keinen Burkini mehr tragen, müsste ich mich isolieren und an spezielle Frauenstrände oder in Frauenschwimmbäder gehen. Das ist für mich so, als würde man mir verbieten, in einem bestimmten Laden einkaufen zu gehen oder in einem exklusiven Restaurant zu essen, nur weil ich Muslimin bin – meiner Meinung nach ist das schlicht Ausgrenzung.

 

Natürlich grenze ich mich selbst mit dem Tragen eines Burkini automatisch von anderen Schwimmern ab. In Deutschland gibt es ja nur sehr wenige Burkini-Trägerinnen. Mir ist beim Schwimmen noch nie eine andere Frau im Burkini begegnet. Viele muslimische Frauen haben ihn nur im Urlaub an – vor allem, weil es so unangenehm ist, einen Burkini in Deutschland zu tragen. Nicht, weil er unbequem ist oder man sich darin nicht gut bewegen kann – das war nur bei den ersten Modellen so -, sondern psychisch unangenehm. Die anderen Schwimmbadbesucher starren mich an, einige beschweren sich auch beim Bademeister. Manchmal gibt es auch positive Rückmeldungen, aber wirklich entspannend ist ein Schwimmbadbesuch so nicht. Ich habe immer gehofft, dass es irgendwann normaler sein wird, einen Burkini zu tragen und stattdessen wird jetzt über ein Verbot diskutiert? 

 

Gerade aber weil es so wenige sind, die den Burkini überhaupt tragen, kann ich die Debatte in Frankreich und hier nicht verstehen. Als Frau sollte ich selbst bestimmen können, was ich anziehen und zeigen möchte. Mir fällt auch kein sinnvoller Grund ein, warum ein Burkini andere stören könnte. Klar, ich bin etwas unbeweglicher als im Bikini. Aber das ist ja nur mein Problem. 

 

Viele Gegner argumentieren, dass der Burkini unhygienisch sei. Das stimmt einfach nicht. Er ist speziell zum Schwimmen hergestellt, besteht aus demselben Stoff wie Bikinis und Badeanzüge. Ich wasche meinen Burkini auch– also, was soll daran unhygienisch sein? 

 

Der Burkini hat außerdem weder etwas mit der Burka zu tun, noch ist er ein Symbol für die Unterdrückung der Frau. Die Diskussion über den Burkini ist meiner Meinung nach nur eine versteckte Kopftuch-Diskussion. Denn wenn eine Muslima Kopftuch trägt und schwimmen gehen will, zieht sie eben einen Burkini an. Aber wer soll denn einer muslimischen Frau einen Burkini aufzwingen? Ich kenne keinen patriarchalen Vater, der zu seiner Tochter sagt, dass sie jetzt unbedingt ins Schwimmbad gehen muss. 

 

Ich glaube aber ohnehin nicht, dass es bei der aktuellen Diskussion um den Burkini geht. Die Stimmung gegen den Islam ist gerade ziemlich aufgeheizt. Die Leute sind wütend. Sie haben das Gefühl, dass ihnen ein Stück Kultur weggenommen wird, fühlen sich bedroht und hilflos. Dagegen wollen sich einige Menschen hier wehren. Sie können aber nicht einfach alle Muslime rauswerfen. Also versuchen sie, sich stellvertretend einen exklusiven Raum zu schaffen, in dem sie unter sich sein können und der mich als Muslima ausschließt. Das signalisiert mir „Du bist hier nicht willkommen!“ und fühlt sich für mich so an, als wäre ich wieder in der Schule. Denn Ausgrenzung wegen fehlender Sympathie kenne ich so nur von Teenagern.

 

Es ist sehr einfach, einer Frau, die sich aus religiösen Gründen bedeckt, zu verbieten, das Kopftuch beim Schwimmen zu tragen. Frauen sind ohnehin fast überall auf der Welt benachteiligt. Das ist kein speziell muslimisches, sondern ein generelles Problem und ich wünsche mir, dass sich das ändert.“

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