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Im Innern der Wagenburg

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Der Wagenpark, in dem Sintje und Jens wohnen, ist nicht leicht zu finden. Sintje und Jens sind Mitglied der Gruppe Stattpark Olga" (Ohne Lenkrad geht auch, www.olga089.blogsport.de), die sich für eine offizielle Anerkennung dieser Wohnform einsetzt. Eigentlich stehen sie mit ihrem Wagen wie der Rest der Gruppe am Olympiapark. Da die beiden aber Familie haben und dort die Infrastruktur nicht besonders gut ist, haben sie ihren Wagen auf einem Platz im Münchner Osten geparkt. Den genauen Standort möchten sie nicht in der Zeitung nennen. In der Umgebung befinden sich Reihenhäuser und Doppelhaushälften. Etwa zehn Bauwägen stehen auf dem Gelände. Alle sind bunt bemalt und mit mehreren kleinen Aufbauten versehen. Im Sommer, stellt man sich vor, muss es hier sehr schön sein. Sintje und Jens sitzen in ihrem Wagen, zwei Kinder spielen neben ihnen auf den Matratzen, ein Kanonenofen heizt heftig. Sintje ist gerade aufgestanden und macht Kaffee auf einer Kochplatte.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



jetzt.muenchen: So ein Wagen ist nicht gerade geräumig. Was reizt euch am Wagenleben? Der Komfort kann es ja nicht gerade sein.
Jens: Ich finde unser Leben schon komfortabel. Sobald die Sonne scheint, sind wir sehr viel draußen. Das ist für mich Lebensqualität
Sintje: Es ist eine Frage der Prioritäten. Mir ist es nicht wichtig, ein heißes Bad nehmen zu können. Aber ich möchte mit anderen Menschen zusammen sein und ein bewusstes Leben führen. Das Leben auf einem Wagenplatz ist ähnlich einer großen WG.

Wie viele Leute leben hier?
Sintje: Das Projekt Stattpark Olga" besteht aus zehn Erwachsenen und deren Kindern.
Jens: Eigentlich ist Wagenleben eher was für Singles eine Person ein Wagen. Aber entsprechend organisiert geht es auch gut mit Kindern.

Welche Art von Menschen zieht dieses Leben an?
Jens: Die Wagenszene ist sehr heterogen. Ich selbst bin Fahrzeugbauingenieur, Sintje ist Buchhändlerin. Viele von uns ordnen sich der linken Szene zu, und es gibt viele Handwerker unter uns.

Weil man viel basteln und reparieren muss?
Jens: Ja, das macht Vieles einfacher. Wir schrauben selbst an unseren Lkw und basteln an den Inneneinrichtungen.

Wie seid ihr zu diesem Leben gekommen?
Jens: Ich komme aus Hamburg und habe dort neben der Bambule (ein ehemaliger Hamburger Wagenplatz, Anm. d. Red.) gewohnt. Das Leben dort fand ich sympathisch. Ein guter Freund von mir lebte schon im Wagen und schließlich habe ich mir selbst einen gekauft. Von diesem Moment an war ich dabei. Ich wohne jetzt seit sechs Jahren im Wagen und seit vier Jahren in München.
Sintje: Mir fiel irgendwann in meiner Wohnung die Decke auf den Kopf. Ich kannte auch jemanden, der in der Wagenszene unterwegs war. Als der mir dann seinen Wagen verkaufte, habe ich meine Wohnung gekündigt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Man kennt solche Wagenplätze eher aus Hamburg oder Berlin. In München vermutet man so was nicht.
Sintje: Wagenwohner gibt es in München schon seit den 80ern. Aktuell leben in ganz München vielleicht 50 Menschen in Wägen.
Jens: Manche wollen nicht auffallen und verstecken sich lieber. Andere, wie wir vom Stattpark Olga", wollen auch offiziell anerkannt werden. Es gibt Leute, die sich keiner Gruppe angehörig fühlen und alleine stehen. Andere sind nur den Sommer über in der Stadt und überwintern in Spanien.

Was hält euch in München?
Sintje: Freunde, Familie und die Arbeit.
Jens: Es gibt keinen richtig geilen Grund, der für uns besonders relevant wäre. Ich bin hierher gekommen, um meine Diplomarbeit zu schreiben, als ich noch Single war. Ich wollte anschließend durch Europa fahren und mich als Fahrradschrauber verdingen. Aber dann bin ich Vater geworden.

Wie muss man sich das vorstellen: Gibt es überall in Europa Wagenplätze?
Jens: Ja, in Europa sind die Wagenleute sehr gut untereinander vernetzt. Laut einer Diplomarbeit über das Wagenleben, wohnen in Deutschland etwa 10 000 Menschen so wie wir. In jeder größeren Stadt gibt es mindestens einen Wagenplatz. Manche besetzen Plätze, andere kaufen oder mieten gemeinsam einen Platz. Das ist sehr unterschiedlich. Aber die Leute kennen sich untereinander.
Sintje: Viele fahren eben auch herum und ziehen durch Europa. Wir stehen die meiste Zeit.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Wo findet man Plätze, auf die man sich mit seinem Wagen stellen kann?
Sintje: Es gibt die Website www.wagendorf.de und ansonsten spricht man viel und tauscht sich untereinander aus.

Wenn jemand morgen mit seinem Wagen auftaucht und sagt, dass er bei euch mitmachen will, welche Bedingungen müsste er erfüllen?
Sintje: Zunächst mal bräuchten wir einen Platz. Davon abgesehen müssten wir uns kennenlernen. Vielleicht stellt er sich erstmal für einen Monat zu uns, und danach schaut man, wie das gelaufen ist.Habt ihr Schwierigkeiten mit den Behörden?
Jens: Wir stehen mit der Stadt in Verhandlungen, weil wir offiziell anerkannt werden möchten. Uns vom "Stattpark Olga" ist ein offizieller Standort sehr wichtig. Im Gegenzug bieten wir mit unserem Kulturprojekt der Stadt München eine Bereicherung. Konkret möchten wir auf unserem Platz zum Beispiel Künstlern eine Bühne bieten oder Workshops realisieren. Auch im Stadtteil möchten wir uns engagieren. Wie gut das funktionieren kann, haben wir im Sommer in der Dachauer Straße gezeigt.

Es ist also offiziell nicht erlaubt, im Wagen zu wohnen?
Jens: In fast jedem Bundesland gibt es Gesetze, die das Wagenleben reglementieren. Diese Gesetze stammen häufig aus der Vorkriegszeit und haben mit der heutigen Situation nichts zu tun. In vielen Städten wurden Möglichkeiten gefunden, offiziell im Wagen zu leben. Das wünschen wir uns in München auch.

Und wie ist euer Verhältnis zu den Nachbarn?
Sintje: Die Resonanz hängt stark vor der Gegend ab, in der man steht. In konservativen Gegenden ist die Nachbarschaft eher distanziert. In der Dachauer Straße hatten wir positive Kontakte zu den Besuchern und Nachbarn.
Jens: Wenn das Eis mal gebrochen ist, kommen viele darauf klar. Aber am Anfang haben viele Berührungsängste.

Eure Kinder gehen ja zur Schule. Wie reagieren ihre Klassenkameraden, wenn sie erfahren, dass sie in einem Bauwagen leben?
Jens: Die finden das super. Manche glauben es nicht, aber die Kinder, die hierher kommen, flippen total aus, die lieben es. Es ist ja auch wie ein großer Abenteuerspielplatz.

Den meisten Leuten wäre so ein Leben wohl trotzdem zu anstrengend. . .
Sintje: Wir haben einen Sanitärwagen, da sind Toilette, Dusche und Waschmaschine für alle Bewohner drinnen. Wir müssen also das Wasser immer von dort in unsere Wägen tragen. Aber solche Kleinigkeiten schaffen ein Bewusstsein für vieles, das man in unserer Gesellschaft als selbstverständlich hinnimmt, wie eben fließendes, warmes Wasser. Man lernt, einfache Dinge zu schätzen und sich über sie zu freuen.
Jens: Trotzdem sind wir keine Ökos. Die Wägen sind zum Teil echt schlecht isoliert. Energieeffizent ist das nicht.

Gibt es eine Art Ideologie, die alle Bewohner teilen?
Sintje: Nein, dafür sind die Leute hier auch zu unterschiedlich. Vielleicht sind es im Verhältnis mehr Vegetarier, aber das liegt mehr daran, dass wir uns zwangsläufig mehr Gedanken machen über das, was wir konsumieren. Natürlich gibt es hier auch keine Faschos.

Habt ihr spezielle Formen, Konflikte zu lösen?
Sintje: Wenn es alle Bewohner betrifft, diskutieren wir es zusammen aus.
Jens: Es gibt ein Plenum, bei dem sich alle Bewohner einmal die Woche treffen. Da geht es auch um Fragen wie: Wie oft können Besucher kommen? Wer darf sich dazu stellen? Aber ansonsten haben wir keine besonderen Regeln. Uns ist wichtig, dass wir Entscheidungen im Konsens treffen und jeder ein Veto-Recht hat.

Auf was verzichtet ihr?
Sintje: Nichts.
Jens: Hier am Platz hat niemand einen Fernseher. Wir sind trotzdem keine Technikmuffel. Wir haben Solarzellen, Internet und Handys.

Ist so ein Leben günstig?
Jens: Auf die Dauer ist ein solches Leben schon günstig. Man muss natürlich den Lkw und das Material für den Innenausbau erst einmal bezahlen. Aber anschließend ist es nur noch eine Platzmiete, Steuer und Versicherung für die Lkw. Das ist aber nicht der Grund, weshalb wir dieses Leben gewählt haben.

Wollt ihr ewig so leben? Was müsste passieren, damit ihr wieder in eine Wohnung zieht?
Sintje: Es würde uns auf jeden Fall sehr schwer fallen, unsere Wägen hier zu verlassen.
Jens: Viele bleiben darauf hängen. Der älteste von uns ist 53. Vor ein paar Jahren wurde er Vater, und seine Freundin wollte partout nicht in einen Wagen ziehen. Also zog er zu ihr in die Wohnung. Jetzt will er unbedingt wieder zurück.

Text: philipp-mattheis - Bild: Juri Gottschall

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