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"Weg! Weg!“, schreien die Polizisten uns an, „Gehen Sie rein!“

Foto: Sven Hoppe/dpa

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Wir gehen durch die Stadt. Die Gehwege sind voller Leute – Touristen, Münchner. Am Odeonsplatz werden 500 Jahre Reinheitsgebot gefeiert. Da ist noch keine Panik, aber überall sind ernste Gesichter. Augen, in denen Ratlosigkeit steht, Ratlosigkeit, in die sich hier und da Angst schleicht. An der ersten Straßenecke steht eine Polizistin mit Maschinenpistole. Per Handzeichen macht sie klar, wohin all die Menschen gehen sollen: Hier lang, da lang, bloß nicht in Richtung Marienplatz. An der nächsten Ecke vollführt ein Polizist die gleichen Gesten, an der übernächsten auch. „Das ist schlecht“, sagt B., die neben mir geht. Unsere Schritte werden schneller.

B. ist Kurdin. Sie ist vor dem Terror im Irak nach Deutschland geflohen. Ich helfe ihr ab und zu beim Deutschlernen. Als die ersten Eilmeldungen über das OEZ mein Handy vibrieren lassen, sitzen wir über einen Lückentext gebeugt. Zu konzentriert, um die Lage zu begreifen.

„Wir machen jetzt zu“, sagt die Geschäftsführerin. Ich verstehe erst nicht, was sie meint. „Das ist mir einfach zu riskant. Sie können jederzeit raus. Oder hierbleiben.“

Gerüchte über Schüsse am Stachus machen da inzwischen die Runde. „Am Odeonsplatz soll auch was passiert sein“, sagt jemand. Sollen wir bleiben? Ich blicke durch die großen Glasscheiben des Cafés nach draußen. In dem Hinterhof, wo eben noch eine Firma ihr Sommerfest feierte, sind plötzlich alle Bierbänke leer.

Wir wollen nicht in dem Café bleiben, was, wenn doch was dran ist an dem „Am Odeonsplatz soll auch was passiert sein“? Ein Kellner öffnet für uns die Schiebetür, wir laufen los, durch die Münchner Innenstadt, dorthin, wo mein Mann sein Büro hat. Mit jedem Meter werden die Straßen, durch die wir gehen, leerer. In den Geschäften stehen Menschen hinter Glastüren und spähen nach draußen. Schaulustige auf den Balkonen. Ladentüren öffnen sich, um Menschen einzulassen, die immer schneller gehen, die rennen, die Schutz suchen. Alles wird jetzt schneller. Immer schneller.

Dann hören wir den Polizeihubschrauber, die Einsatzfahrzeuge. Ich spüre mein Herz.

„Das ist schlimm“, sagt B., die vor dem Terror des Krieges nach Deutschland geflohen ist. Sie hat kürzlich ihre Aufenthaltsgenehmigung bekommen, will demnächst einen Job hier in München suchen, eine Wohnung, sich ein Leben schaffen. Und jetzt hat der Terror sie eingeholt, denke ich. Die Bilder von Nizza kommen in meinen Kopf. Die Überschriften nach Paris. Auch da wird alles schneller. Viel zu schnell. Alles scheint da gerade möglich. Und gleichzeitig ist in diesem Moment noch gar nichts klar.

Wir gehen weiter, auch unsere Schritte werden schneller. Dann hören wir den Polizeihubschrauber, die Einsatzfahrzeuge. Ich spüre mein Herz. Wir drängen uns in einer Seitengasse an Touristen vorbei. Es regnet, doch es dauert Minuten, bis ich das bemerke. Ich greife nach B.s Hand. Ein Polizeiauto nach dem anderen rast heran. Wir rennen zwischen ihnen über eine Straße. Noch hundert Meter bis zu unserem Ziel. Ein Innenhof, die nächste Straße.

Dann: Eine Gruppe Polizisten, mit Helmen, Schutzwesten,  mit ihren Waffen im Anschlag. „Weg! Weg!“, schreien die Polizisten uns an. „Gehen Sie rein!“ Noch fünfzig Meter. Wir sprinten jetzt. Rennen. Im Rücken die Schreie der Polizisten und die Sirenen der Einsatzfahrtzeuge. Wir rennen, ohne nachzudenken, ohne unsere Beine zu spüren. Die Tür öffnet sich, Menschen strecken uns Arme entgegen, als müsste man uns auf offener See vor dem Ertrinken retten.

Dann fällt die schwere Tür hinter uns ins Schloss. Ruhe. Sicherheit. Zumindest für einen kurzen Augenblick wird alles wieder langsam.

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