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Mädchenfrage: Sagt mal, weint ihr?

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Die Mädchenfrage

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Jungs, es wird ein bisschen peinlich jetzt. Aber vielleicht tröstet euch, dass es auch für uns peinlich wird. Es geht um Tränen, genauer gesagt um eure. Oft sieht man die ja nicht und wenn, ist es manchmal fast erschreckend, wenn aus den Augen eines männlichen Wesens plötzlich das Wasser schießt. Komisch eigentlich. Oder? Einmal saß ich mit einem mir gerade eben so bekannten Jungen in einem Auto, er erzählte mir sein Leben und fing dann plötzlich an zu weinen. An und für sich ist das ja vollkommen okay, aber ich habe mich trotzdem erschrocken und fand es, ehrlich gesagt, auch leicht peinlich. Ich wusste einfach nicht, wie ich auf die Tränen dieses Mannes reagieren sollte. Und ich habe mich auch irgendwie für ihn und seine angebliche mangelnde Selbstkontrolle geschämt. Das ist natürlich sexistisch und doof, weil euch das bestimmt nicht hilft, eure weiche, sensible Seite stolz in der Öffentlichkeit zu tragen. Und das ist wiederum unfair, denn wir dürfen immer und in den dümmsten Situationen in Tränen auszubrechen. Wenn wir so nahe am Wasser gebaut sind, dass uns eine alte Dame, die am Stock die Straße überquert, zu Tränen rührt, dann ist das kein Problem. Und wir erwarten von euch Jungs, dass ihr von weiblichen Tränen beeindruckt seid und euch zum Teil auch davon leiten lasst. Aber wenn ihr in wirklich schlimmen Situationen weinen müsst, dann werdet ihr schief angeschaut. Unfair. Also jetzt Jungs: Am Anfang eures Lebens heult ihr ja ungefähr noch genauso viel wie wir. Bis ihr gesagt bekommt, dass angeblich unmännlich und schwächlich sei, wenn man aus Trauer oder Schmerz weint. Und mit einigen Ausnahmen hört ihr dann wirklich auf zu weinen. Wie geht das denn? Und habt ihr einen Ersatz dafür? Wenn mir zum Beispiel alles zu doof wird, gehe in einen schmalzigen Film, nur damit ich ein einhalb Stunden im Dunklen flennen kann. Danach geht es mir wieder gut und ich musste nicht einmal zum Therapeuten deshalb gehen. Wie ist das bei euch, wenn ihr traurig seid oder ihr euch das Bein gebrochen habt? Weint ihr dann vielleicht nach innen? Gibt es bei Tränen eine Unterscheidung in erlaubte (Lieblings-Teddy kaputt, Freundin doof) und verbotene (aus Rührung oder vor Freunden)? Und findet ihr das gut so wie es ist? Oder wünscht ihr euch, dass es auch für Jungs völlig normal wird, wenn sie weinen wollen? Die Jungsantwort steht auf der nächsten Seite!


Die Jungsantwort

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Erstmal: Tränen würden bei uns alles noch schlimmer machen, da denken wir etwas seltsam aus einem Kinderverhalten heraus. Wenn kleine Kinder hingefallen sind und sehen, dass sie tatsächlich einen blutigen Kratzer haben, schreien sie wegen dem Blut los, nicht wegen des Schmerzes. Und wenn wir also weinen und unsere Tränen sehen, ist wirklich was kaputt und wir erschrecken in etwa so: „Ich weine und ich habe zu letzt geweint als Oma gestorben ist, ist es jetzt also genauso schlimm wie damals oder noch schlimmer? Wo sind meine Gefühle, wie kann ich sie ganz genau messen und warum tun sie so weh, etc.“ Deshalb unterlassen wir das mit dem Heulen meist. Das vor Schmerz weinen hat bei uns irgendwann aufgehört, genau wie bei euch ja auch. Natürlich können wir vor Rührung weinen, zum Beispiel, wenn einem die lieben Kollegen zum Abschied nach hundert Jahren gemeinsamer Arbeit einen halbstündigen Film vorführen, bei dem alle ununterbrochen die rührseligsten Komplimente sagen. In solchen Fällen steht das Wasser schon gerne am Unterlid, aber dann machen wir einen blöden Spruch und alle lachen und hauen sich ablenkend gegenseitig auf Schultern und Prothesen und – zoom – schon ist der Tränen-Kippmoment vorbei. Andere Szene: Wir sind alleine, wir haben unseren alten Saab, in dem wir geküsst, getrunken, gelacht haben, mit dem wir umgezogen und gegen Bäume gefahren sind, gerade auf den Hof des Schrottplatzes gefahren, nehmen noch die Kassette, die sich unter dem Sitz verkeilt hatte und werfen zum letzten Mal die Tür hinter uns zu, die Sonne scheint tief und kalt, der Greifarm senkt sich und drückt splitternd Dach und Sitz zusammen. Da könnten wir heulen, soviel, dass unser Tränensalz in Säcke abgefüllt ein lohnendes Geschäft wäre. Wir tun es vielleicht auch. Vermutlich aber spielen wir Film, drehen uns Cowboymäßig auf den Hacken um, Fluppe ins Gesicht und Sonne im Rücken: großer Abgang. Und lernen in der Schrottplatzkneipe, am Tresen der Verheulten, genau die Frau kennen, die…ihr wisst schon. Ihr weint ja gerne auch, wenn der Chef gebrüllt, der Lehrer geschimpft hat – in solchen Momenten zu weinen wäre für uns irgendwie das Schlimmste – obwohl wir schon möchten. Wir verkneifen aber alles und wandeln es in Gegengeschrei oder Punkmusik um, knallen Türen, stampfen mit den Füssen und donnern die Fäuste sinnlos an die Wände von Unterführungen. Geweint wird, wenn überhaupt alleine im Klo oder Daheim. Und dann stellen wir auch fest wie erstaunlich gut so eine Tränenschwemme tut. (Eigentlich ist es wie schön kotzen). In den richtigen, gewinnbringenden Situationen zu weinen, fällt uns bei diesem ganzen Abtrainieren relativ schwer. Wir würden gerne mal, wenn Beziehungsstreits stundenlang wogen und dringend Impulse bräuchten, richtig losweinen. Wir ahnen, dass ihr das, zumindest beim ersten Mal, ganz schön süß fändet, aber es klappt nicht recht. Vermutlich wirken wir deswegen bisweilen gefühllos und kalt, aber wirklich: Es weint oft in uns, man sieht es nur nicht. Und das ist, ehrlich gesagt, von der Natur ganz gut eingerichtet, denn ein heillos schluchzender Mann ist einer der fürchterlichsten Anblicke die es gibt, ein Bild, das seine ganze Umgebung mit hilfloser Lähmung erfüllt. max-scharnigg

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