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Zu Besuch bei Hausbesetzern in Wien

Foto: Eva Hoffmann

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​„Was tun, wenn die Polizei kommt?“, eine Frage, die auf dem Dach der ehemaligen Mädchenschule im Wiener Außenbezirk Hietzing zwischen den Hausbesetzern hängt, wie das Flimmern der Sommerluft über dem heißen Blech. Gerade möchte sich niemand hier vorstellen, was passiert, wenn das kleine Idyll mit dem riesigen Obstgarten, den lichtdurchfluteten Salons mit Parkett und der Dachterrasse, auf der seit einer Woche täglich Beratungsrunden und Workshops stattfinden, geräumt wird. Seit sechs Tagen ist der 1,5 Hektar große Gebäudekomplex besetzt. Früher wurden hier angehende Krankenpflegerinnen ausgebildet wurden, jetzt gehört er einem Privatinvestor.

„Wenn das hier geräumt wird, dann verschwinde ich auf jeden Fall durch das Loch da hinten im Zaun“, sagt Neo, schwarze Hornbrille, Jeans und schulterlange Haare. Wie alle anderen hier hat er sich einen Decknamen ausgedacht und heißt eigentlich anders. Auf keinen Fall möchte er, dass seine Personalien aufgenommen werden, einen Personalausweis hat er ohnehin nicht. „Ich will einfach nur in Ruhe hier leben und so lange wir nicht entdeckt werden, mache ich mir über alles andere keine Gedanken“, sagt er. Und bisher hat das auch ganz gut geklappt.

Von der Straße sieht das herrschaftliche Gebäude aus wie jedes andere leerstehende Haus in Wien. Gepflegt und irgendwie gespenstisch verlassen. Nur die Hängematte im Garten und der improvisierte Flaschenzug, der Dachterrasse und Küche verbindet lässt ahnen, dass hier Menschen leben. Die wenigen Nachbarn, denen die Hausbesetzer bisher begegnet sind, denken, sie seien eine Künstlergruppe, die hier für ein Theaterstück probt. Und das soll auch so bleiben. Denn die Besetzung hat sich in der linken Szene schnell herumgesprochen. Täglich finden in der großen Turnhalle oder im Garten offene Workshops und Veranstaltungen wie Kinoabende, Feuershows, und Fußballturniere statt. Zehn bis 15 Menschen schlafen hier jede Nacht in einem der mehr als zwanzig Zimmer im Haus, manche gehen tagsüber arbeiten oder in die Uni, andere bauen den ganzen Tag an Möbeln oder malen Transparente für den Fall, dass das Haus entdeckt und doch noch mit politischen Botschaften behängt wird. Aber bis dieser Moment kommt, wollen die Besetzer auch keine Medienpräsenz.

Denn wenn die Medien da sind, ist auch die Polizei nicht weit. Das hat die Besetzung der Kienmayergasse, mitten im Herzen Wiens, vor wenigen Wochen gezeigt. Nur fünf Tage konnte sich die kleine Gruppe von Hausbesetzern in dem maroden Altbau halten, nachdem ihr Anliegen öffentlich wurde. Anders als im grünen Hietzing wollten die Besetzer vor allem ein konkretes politisches Zeichen setzen. In ihrer Stellungnahme kritisieren sie eine große Immobilienfirma, die aus Sicht der Besetzer wesentlich für den rasanten Ausverkauf der Stadt und die Verdrängung alternativer Gruppen und Vereine aus der Innenstadt verantwortlich sei.

  

 

Man sagt, nach Wien kommt alles ein bisschen später. Referenz ist dabei meistens Berlin, wo die Mieten in manchen Szenekiezen wie dem Humboldthain laut Wohnmarktreport 2016 um bis zu 47% gestiegen sind. Tatsächlich hat der Druck auf den Wohnungsmarkt dieses Jahr auch in Wien massiv zugenommen. Bekannt ist die Stadt eigentlich für ihre Gemeindebauten, soziale Wohnanlagen aus den Zeiten des „roten Wiens“, die es in jeder Nachbarschaft gibt und die sehr begehrt, weil erschwinglich und zentral, sind. Aber das „rote“ Wien gibt es nicht mehr. Seit Anfang des Jahres wurde unter der SPÖ-Regierung der Richtwert für Mieten bei Altbauwohnungen erstmals seit drei Jahren wieder erhöht. Auch der sogenannte Lagezuschlag, der besonders Mieter in den inneren Bezirken trifft, kann seit 1. April auf bis zu 53 Cent monatlich mehr pro Quadratmeter angehoben werden. Ein Geschenk an Hausbesitzer und Immobilienfirmen, die die Wohnpreise in die Höhe treiben dürfen, ohne ihre Häuser dafür renovieren zu müssen, findet die „Aktionsgemeinschaft Wohnen“. Die Wiener Initiative, die sich für eine faire Wohnpolitik einsetzt, appelliert in einem offenen Brief an Stadtrat Michael Ludwig, das Mietrechtsgesetz zu schützen und Lagezuschläge und befristete Mietverträge abzuschaffen. Ohne Erfolg. Man müsse die Richtwerte hochtreiben, das sei Teil der „Unternehmung Stadt Wien – Wiener Wohnen“, so die Antwort des Stadtrats

 

„Wohnen wird in Wien immer mehr zum Geschäft, das in erster Linie nur den Reichen was bringt“, sagt Neo, „deshalb nehme ich mir den Wohnraum hier. Das ist mein Grundrecht und ich sehe nicht ein, dass irgendwer damit reich werden sollte.“ Er kramt in einem Pappkarton mit hunderten bunter Schlüsselanhängerdie er gerade in einem der großen Altbauzimmer gefunden hat. Er sucht den Schlüssel zum Dachboden, aufbrechen will er die Tür nämlich nicht. „Wir wissen ja nicht, wie das Ganze hier zu Ende geht und ich will echt nicht wegen Sachbeschädigung rangenommen werden“, sagt er.

 

Denn dass ihre kleine Parallelwelt nicht für immer halten wird, wissen die Hausbesetzer. Das Grundstück gehört einem Privatinvestor, der die alte Mädchenschule größtenteils abreißen und dort laut Homepage  ab Juli dieses Jahres einen Komplex aus Eigentumswohnungen bauen will, Verhandlungen ausgeschlossen. „Es wäre der perfekte Ort für ein Kulturzentrum“, sagt Neo. Dass allein in der vergangenen Woche so viele Menschen hier zu Besuch gekommen sind zeige, dass nichtkommerzielle Kulturangebote in Wien dringend gebraucht würden. Am Wochenende soll es noch eine große Party und eine Akrobatikshow geben. Die Frage, was denn jetzt der Plan ist, wenn die Polizei kommt, wird vor lauter Sommereuphorie erst mal aufgeschoben. „Darüber mache ich mir Gedanken, wenn es so weit ist“, sagt Neo „und dann bin ich hoffentlich geistesgegenwärtig genug, schnell durch den Garten zu fliehen.“

 

An diesem Tag auf der warmen Dachterrasse weiß er noch nicht, dass er diese Entscheidung sehr bald treffen muss. Denn ein paar Tage später ist es dann tatsächlich so weit: Der Hausbesitzer hat von den Bewohnern, die keine Miete zahlen Wind bekommen und spricht einen Verweis aus, der den Hausbesetzern 24 Stunden Zeit lässt, das Grundstück freiwillig zu verlassen, sonst wird geräumt.

 

Als die Polizei mit mehreren Mannschaftswagen eintrifft, sieht das Gebäude dann doch sehr besetzt aus: Absperrband vor den Eingängen, umgekippte Verkehrsschilder und Anarchiezeichen auf Bettlaken, die aus den vorderen Fenstern hängen. Zwei Wochen Sommer, Sonne, Kulturprogramm sind vorbei. Rund fünfzehn Besetzer räumen das Gebäude freiwillig, die Polizei nimmt ihre Personalien auf, dann sichert sie das Gebäude. Das Loch im Zaun, versteckt hinter Obstbäumen und hohem Gras, sehen die Polizisten nicht. Von Neo keine Spur, nur ein Schriftzug in der Turnhalle, wo sonst immer das Kino war: „Wir sind der Dreck in eurem Fortschrittsmotor!“

 

 

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