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"Ihr seid viel zu artig!"

Foto: dpa / Michael Kappeler

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jetzt: Sie haben kürzlich angekündigt, mit Ihren 68 Jahren erneut für den Bundestag kandidieren zu wollen. Sind Sie ein alter Mann, der keinen Platz für Jüngere machen kann?

Gregor Gysi: Das ist insofern nicht wahr, als dass ich ja schon mal von 2002 bis 2005 raus war. Darunter habe ich nicht gelitten. Ich war da auch nur noch ganz selten im Fernsehen. Aber tatsächlich ist es so, dass viele Wähler aus meinem Wahlkreis mich gebeten haben, erneut zu kandidieren. Und auch in der Partei Gespräche mit mir geführt wurden. Am Ende habe ich gesagt: Gut, aber dann kandidiere ich direkt ohne Listenplatz. Eine Spitzen­- kandidatur für Berlin oder den Bund kommt nicht mehr infrage. Und überhaupt: Sollen die jungen Leute doch erst mal selber kandidieren, bevor sie mir so etwas vorwerfen!

Nun hatten Sie in Ihrem Leben drei Herzinfarkte und eine Kopfoperation. Tun Sie sich schwer mit der richtigen Mischung aus Freizeit und Arbeit?

Das ist tatsächlich sehr schwierig. Ich habe mich auch bei meinen Angehörigen, Freundinnen und Freunden dafür entschuldigt, dass ich sie so oft so vernachlässigt habe. Das liegt aber nicht generell am Beruf des Politikers, sondern daran, dass ich in der ersten Reihe stehe. Und dass ich ein grottenschlechter Neinsager bin. Wenn man sich für den Job entscheidet, sollte man aus meinen Erfahrungen lernen und eines wissen: Liebe und Kinder sind wichtiger. Man sollte nicht nur in schwierigen Situationen für sie da sein.

Gleichzeitig kann man über Sie lesen, dass Sie gerne Minister in einer rot-rot-grünen Koalition im Bund werden möchten. Klingt nicht gerade nach „einen Gang zurückschalten“.

Das ist Blödsinn. Ich werde immer gefragt, welches Ministerium ich denn will, dabei ist das gar nicht mein Lebensziel! Ich sehe auch die rot-rot-grüne Koalition leider noch nicht kommen. 

Was können wir noch von den Alten lernen?

Geduld. Die habt ihr erstaunlicherweise überhaupt nicht. Ihr braucht viel schneller Erfolgserlebnisse. Man muss sich das mal überlegen: Den flächendeckenden Mindestlohn habe ich das erste Mal Anfang der Neunzigerjahre gefordert. 2014 wurde er dann beschlossen. Nur mit Geduld verändert man den Zeitgeist.

Geduld, okay. Noch was?

Nichts ist so beständig, wie ihr glaubt. Wenn man aus der DDR kommt, weiß man das. Da dachten wir auch, unabhängig davon, ob sie einem gefiel oder nicht, dass sie nie zusammenbrechen würde. Und dann ist es passiert. Daraus habe ich gelernt.

Da muss ich Ihnen widersprechen! Wir erleben doch derzeit, wie etwas sehr Selbstverständliches zu zerfallen droht: die EU.

Richtig. Aber die Ahnung, dass es zu einem Zusammenbruch kommen könnte, und ihn wirklich zu erleben, das sind zwei verschiedene Dinge.

Bereiten Sie sich innerlich auf den Zusammenbruch vor?

Nein, denn den will ich ja nicht! Ich will ihn verhindern! Deshalb bin ich auch, bei aller Kritik an der EU, bereit, tiefer in ihre Strukturen einzudringen. Auch in Frankreich zu helfen, um zu verhindern, dass Marine Le Pen Präsidentin wird. Wenn das passiert, ist die EU nämlich mausetot. Gleichzeitig müssen die herrschenden Politiker umdenken. Der größte Fehler von Merkel, Gabriel und Schäuble war die Aufkündigung der Solidarität mit Griechenland. Weil daraufhin alle kleinen Länder gesagt haben: So werden wir also behandelt, wenn es uns nicht gut geht! Es hat denen deshalb eine Riesenfreude gemacht, „Nein“ zur EU-Flüchtlingsquote zu sagen. Mit welcher Freude die uns den Mittelfinger gezeigt haben!

Wäre es nicht vielleicht auch die Aufgabe unserer Generation, deutlich zu machen, dass wir die EU wollen?

Ihr müsst rebellischer werden! Ihr seid viel zu artig! Die Universitäten heute sind so verschult, das würde ich nicht aushalten.

Wie wird man denn rebellischer?

Ihr müsst euch zusammentun. Von Links bis zum Ring Christlich-Demokratischer Studenten zusammensetzen und euch fragen: Was gefällt uns nicht? Was wollen wir ändern? Fünf Gemeinsamkeiten reichen ja schon. Aber für die muss man Hacke zeigen und den Alten auf die Nerven gehen! Sonst bewegt sich nichts. Was übrigens interessant ist: Wir bekommen grade wieder junge Mitglieder. Das liegt auch an der AfD. Weil sich wohl viele denken: Wenn die sich so organisiert, müssen wir was tun.

 

Also ist die AfD doch noch zu etwas gut?

Nein, die ist für gar nichts gut! Aber irgendetwas Gutes fällt immer ab. Mir hat mal jemand erzählt: „Die Nazis in Paris waren furchtbar. Aber wenigstens haben sie das Rauchen in der U-Bahn verboten.“ Das war gut, vorher waren die Mäntel nach einer U-Bahn-Fahrt regelmäßig angebrannt. Und das Verbot ist geblieben. 

 

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