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"Sterben mit Swag"-Blogger Dmitrij Panov ist tot

Foto: Facebook

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Es fing ja schon schlecht an – lange bevor der Hirntumor kam:

„Ich wurde geboren...nein, schon falsch. Vielmehr wurde mein lebloser Körper am 13. Januar 1991 auf dem Gebiet der gerade noch so existierenden Sowjetunion aus dem aufgeschlitzten Bauch meiner Mutter rausgezogen und anschließend mehrere Stunden wiederbelebt.“

Dmitrij Panov hatte sich im Leib seiner Mutter ungünstig gedreht. Die Nabelschnur wickelte sich um seinen Hals. Unterversorgung. Notgeburt per Kaiserschnitt. Die Narkose reichte nicht aus, die Ärzte spritzten der Mutter mehr von dem Medikament. Das Kind, noch im Bauch, bekam etwas davon ab. Das Erste, was Dimitris Körper auf der Welt mitbekam, war also eine Mischung aus Strangulation und Vergiftung. Und einen Vorgeschmack auf den Tod.

 

„In dem Sinne müsste ich mit dem Tod ganz gut vertraut sein, ich kam ja schon tot zur Welt. ‚Der Totgeborene’, so nenne ich mich manchmal spaßeshalber (oder doch mit völligem Ernst? Ich weiß es selbst nicht mehr).“

 

Die Texte des Totgeborenen finden sich auf dem Blog „Sterben mit Swag“, auf dem Dmitrij über sein Leben schreibt. Genauer gesagt: über sein Sterben – den ersten Eintrag schrieb er, kurz nachdem ihm Ärzte seinen baldigen Tod angekündigt hatten. Der Hirntumor, von dem er dachte, er habe ihn besiegt, war zurückgekommen. Hatte ins Rückenmark „gekotzt“, wie Dmitrij das nennt. Metastasen also. Keine Chance auf Heilung. Die Maßnahmen der Ärzte: nur noch palliativ.

 

Es ging also auch hier alles los mit einer Hiobsbotschaft und am 1. Februar 2016 steht da unter dem sehr schlichten Betreff „Hallo“ deshalb:

 

„Ich heiße Dmitrij Panov und ich werde bald sterben.

Das klingt komisch, ist aber so.“

 

Und dann folgten alle vier Tage Updates. Zu seinen Behandlungen. Seinen wechselnden aber stetig wachsenden Leiden. Zu Ärzten, die keine Zeit haben, um mit ihren Patienten vernünftig zu sprechen. Zum Testament, das einfach nicht fertig werden will. Dmitrij schreibt aber auch über seine besseren Momenten. Filme, die er noch sehen durfte. Computerspiele, die er noch (durch)spielen konnte.

 

Am 8. Oktober 2016 ist ein neuer Eintrag dazugekommen: „Lebt wohl“ heißt er.

 

„Lebt wohl, meine Freunde, war schön mit euch.

Leb wohl, Welt, du warst die tollste, in der ich hätte sein können.

Leb wohl, Leben, ich hätte kein besseres haben können.“

 

Ein Abschied, von dem Dmitrijs ehemalige Mitbewohnerin inzwischen bestätigt hat, dass er endgültig ist. Mit ihr gab es auch ein Arrangement: Wenn er stirbt, muss sie den letzten Blogeintrag für ihn veröffentlichen. Postum.

 

„Wenn du leidest, mach einfach Kunst daraus. Je größer das Leid, desto eindringlicher die Kunst."

 

Dmitrijs Leser posten nun seit gestern Beileidsbekundungen: ein schlichtes „Komm gut oben an!  : (“, zum Beispiel. Ein Hoffnungsvolles „Jetzt kannst Du all das weiter fortführen, was Du so geliebt hast: Filme schauen, zocken usw. – nur ohne den beschissenen Krebs und die damit zusammenhängenden Qualen!“ Oder das anerkennende „Man kann nicht alles besiegen. Aber deine Tapferkeit wird unbesiegbar bleiben.“

 

Und es ist wohl vor allem das, die Tapferkeit, die die vielen Leser des Blogs so beeindruckt hat. Dmitrij jammert in seinen Texten nie, oder nur sehr selten, und auch dann lässt er es sich selbst nicht gerne durchgehen. Sein Ton war stattdessen meistens sachlich, ohne technisch zu werden. Und angenehm frei von Pathos, ohne dabei bemüht unaufgeregt sein zu wollen – was wohl auch deshalb so funktioniert hat, weil Dmitrij nie verheimlichte, dass er den kleinen Ruhm, den ihm das Schreiben brachte, suchte und schätze:

 

„Wenn du leidest, mach einfach Kunst daraus. Je größer das Leid, desto eindringlicher die Kunst. Und das will ich doch sein, Künstler meiner selbst.“

 

Aber eben auch:

„Gestern für einige Stunden zuhause gewesen. Fast vor Glück geweint. Ein wenig in Bloodborne rumgestorben, dann sich noch die erste Episode von Tales from the Borderlands gegönnt. Schee. Wieder etwas Normalität im Leben. Flüchtig, aber beruhigend.“

 

Oder:

„Filmabende: Check.

Sich zurück ins Leben zwingen (Einkaufen und so): Check


Größere Aufgabe gefunden: Nicht wirklich, aber schonmal Dokumente für ein detailreiches Testament aufgemacht und etwas angefangen; dann kann ich beim nächsten Krankenhausaufenthalt mit ruhigem Gewissen rumliegen. 


Körper regelmäßig fordern: Check; fragt den rechten Brustbereich (hatte die letzten Tage viel zu meinen Wikingerschachversuchen vom Montag zu sagen). Irgendwas hochlaufen (von minimalen Aufstiegen hin zu Treppenstufen) grenzt allerdings ab einer bestimmten Dauer und/oder einem bestimmten Winkel an Nahtoderfahrung, ernsthaft.“

 

Das hat eine für den Leser manchmal fast beschämende Leichtigkeit. Aber man muss es sich wohl trotzdem, vor allem im weiteren Krankheitsverlauf, als die Einträge seltener werden und kürzer, als gewaltigen Kraftakt vorstellen. Als permanente Forderung an Körper und Geist.

 

„Bin jetzt im Hospitz, nach wie vor in Marburg, sehr gechillt, feiner Besuch, Schmerzen im Arsch und sonstwo, fragt weiterhin, was ihr wollt.

 

Bin also weiterhin da, nur sehr müde.

Beine wollen fast gar nichts. Werden wohl auch nicht mehr. Aber egal. Was unvermeidbar ist, ist eben unvermeidbar, Muss sein. Muss man nur mit klarkommen.

Ist nicht einfach, aber was soll's.

Nicht ganz den Stil beibehalten, egal.

Gut genug ist gut genug.

Soviel Nicht-Formalismus darf schon sein.“

 

Und nun ist Dmitrij, dieser doch sehr wunderbare Erklärer seines Lebens – und ja schon auch immer wieder des Lebens an sich –, dieser Künstler seiner selbst also, nicht mehr da. Und weil das so ist, weil er sich durchleuchtet und preisgegeben hat wie kaum einer sonst, muss es natürlich auch Dmitrij sein, der den letzten Satz für diesen Text liefert. Es wäre ja lächerlich, es mit der Lakonie aufnehmen zu wollen, mit der er formuliert:

 

Im Mai jedenfalls schrieb er am Ende eines langen Posts, unter eine Liste von Dingen, die ihm am meisten fehlen (Sushi, Beamer, PS4, Beim Frühstück am Laptop sitzen, Die WG an sich), die beiden Sätze, die sein öffentliches Leben und Sterben vielleicht am besten zusammenfassen:

 

„Na das war doch fleißig. So kann ich das stehen lassen.“

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