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Sie flüstern, wo Pegida brüllt

Jan Zappner

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Wenn Johannes Filous erzählt, womit er so vor die Tür geht, dann klingt das nach einer leicht angetrunkenen Runde Ich-packe-meinen-Koffer. Johannes nimmt also mit: Einen Snowboardhelm, eine Ronny-Mütze, Gehörschutz, eine Nullachtfünfzehn-Jacke, einen grimmigen Blick.

Johannes aber braucht diese Dinge wirklich, er braucht sie für, ja, wofür eigentlich? Da geht es ja schon los. Johannes ist 27, er studiert Medizin, er spielt in einer Band, er pflegt ein Privatleben. Und wenn man sich jetzt noch einen Quatsch-Titel für die mindestens drei Stunden am Tag ausdenken müsste, die er mit @Streetcoverage verbringt, dann könnte man sagen: Johannes twittert ehrenamtlich.

Im März des vergangenen Jahres hat er mit einem Freund, Alexej, das Projekt Straßengeflüster gegründet. Die beiden besuchen so oft es geht rechte Versammlungen in Sachsen und dokumentieren bei Twitter, was sie dort sehen. Mehr als 10.000 Follower zählt ihr Account, etwa drei Millionen mal im Monat blinken die Tweets von Johannes und Alexej in den Timelines dieser Follower auf, manchmal zeitverzögert. Womit wir wieder beim Gepäck wären.

Wenn es brenzlig wird, auf Versammlungen oder Demonstrationen, versieht Johannes die Tweets mit einem Timestamp. Die Tweets tauchen dann nicht sofort auf, das dient seinem Schutz. Wenn er über „vermummte Personen“ in Laubegast schreibt, kann er schon weg sein, bevor die, die er damit meint, es online lesen können. Wenn es trotzdem brenzlig wird, zieht er außerdem die Ronny-Mütze auf den Kopf, „und was immer hilft: Ich setze die Brille ab und gucke unzufrieden. Wie man schaut, ist unglaublich wichtig, mehr als alles andere.“ Wichtiger, um nicht erkannt zu werden. Wer grimmig schaut, wird leichter unsichtbar in einer Gruppe von Grimmigen.

Was passiert, wenn man doch mal erkannt wird, kann man sich bei Twitter anschauen, in einem Video. Der Text dazu lautet: „+ Tritt in Rücken gg uns am Taschenbergpalais. Siehe Sekunde 6 im Video“.

Wie oft wird es brenzlig? Kleiner Jahresrückblick auf Sachsen 2015: Freital, Heidenau, Meißen. Montag vor einer Woche: Leipzig. Johannes und Alexej waren auch in Stolpen und Einsiedel, in Niederau und Großröhrsdorf. Im Hinterland. Es gehe ihnen, sagt Johannes, um Kontinuität in der Berichterstattung, und das hat auch mit dem Alle-hin!-Modus zu tun, zu dem Nachrichtenredaktionen genauso neigen wie selbstgewiss twitternde Schlaubi-Schlümpfe: „Wir bedauern an der Berichterstattung, vor allem um rechte Szenen herum, dass sie immer so blasenmäßig geschieht“, sagt Johannes. „Irgendwo passiert etwas Schlimmes, bäm, riesengroßes Interesse – und dann flacht es schnell wieder ab.“

"Nicht Aktivisten, sondern Journalisten"

Als es in Heidenau Straßenschlachten gab und als in Freital eine Unterkunft belagert wurde, war @Streetcoaverage auch wegen dieser Haltung früh dran, teilweise Tage vor dem bäm. Dass ihre von Journalisten aufmerksam gelesenen Tweets letztlich auch dazu beitrugen, die Blase aufzupusten, sei natürlich keine große Errungenschaft sagt Johannes, „aber es ist wichtig, konsequent hinzuschauen, auch im Vor- und im Nachfeld, damit diese ganzen Umtriebe nicht ungesehen geschehen“.

In der Beschreibung des Straßengezwitscher-Accounts steht: „Gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“. Johannes sagt, das sei „überhaupt keine politische Ausrichtung, das ist ein Bekenntnis zu Grundwerten. Wir sehen uns auch nicht als Aktivisten, sondern als Journalisten“. Das heißt auch: Neutralität in der Sprache. „Wenn wir zum Beispiel sehen, wie zwölf Rechte irgendwas machen, dann schreiben wir eben nicht ,eine Horde Nazis’, sondern ,eine Gruppe von zwölf Rechten’.“ 

Richtig aber ist auch, dass @Streetcoverage einen klaren Fokus auf rechte Veranstaltungen und Gewalt hat. Das geht zurück auf den Gründungsimpuls des Projekts. Im Frühjahr 2015 hatten Johannes und Alexej nach einem Pegida-Marsch den Übergriff auf ein Protestcamp Geflüchteter vor der Dresdner Semperoper miterlebt. Menschen wurden dort nicht mehr Menschen genannt, sondern Dreck. Und daraus entstand für Johannes ein Bedürfnis. Sachlich formuliert er das so: „Die Motivation ist, dass ich mit grundlegenden Verletzungen der Würde von Menschen um mich herum nicht leben kann. So eine Gesellschaft will ich nicht ertragen.“

 

Was sich für die beiden verändert hat durch die Arbeit an @Streetcoverage? „Ich gehe weniger feiern“, sagt Johannes, „und ich bin aufmerksamer geworden für Veränderungen um mich herum. Ich achte – ganz besonders natürlich bei den Demonstrationen – darauf, wie ich mich bewege. Aber auch im Privatleben schaue ich jetzt häufiger: Wo bin ich gerade, wer ist um mich herum? Man entwickelt so ein Gespür für Stimmungslagen.“

 

Stimmungslagen. Mal ist der Dank für die Arbeit von Johannes und Alexej ein Tritt in den Rücken, mal ist es ein Preis für Zivilcourage. So viel zur Spannbreite. Als ihnen im Sommer der Preis zugesprochen wurde, war klar, dass @Streetcoverage Klarnamen bekommen müsse. Ronny-Mütze ab-, Brille aufsetzen, bitte schön: Johannes Filous, 27, und Alexej Hock, 26. Eine richtige Entscheidung, auch rückblickend? „Absolut“, sagt Johannes. Man könne keinen Preis für Zivilcourage annehmen und sich gleichzeitig verstecken wollen. „Und wenn man sich für das, was wir tun, schon verstecken muss, dann ist das ein ziemlich bedrückendes Zeichen für den Stand unserer Gesellschaft“.

 

„Mama, es geht mir gut.“

 

Der Kompromiss: Klarname ja, aber bitte auch die Mütze und bitte auch etwas mehr Wachsamkeit auf den Kundgebungen. Wenn es richtig brenzlig wird, ziehen sich Johannes und Alexej zurück. Und wenn bei Johannes dann daheim in Dresden die Tür ins Schloss fällt, dann schreibt er seiner Mutter auch mal eine SMS: „Mama, es geht mir gut.“

 

Johannes und Alexej ist in den vergangenen Monaten viel Aufmerksamkeit durch Medien zuteil geworden. Zum einen, weil für viele außerhalb Sachsens schon die bloße Beschreibung ihres Projekts bemerkenswert ist: Schaut, in Braunland, da gibt es zwei, die wenigstens noch hinschauen. Zum anderen, weil angesichts der Unübersichtlichkeit von Versammlungen und Protesten die Sehnsucht nach neuen Formen groß ist, das Geschehen irgendwie noch dokumentieren und strukturieren zu können. „Wir haben da mit Straßengezwitscher einfach unser Puzzleteil gefunden“, sagt Johannes. Damit sich ein Bild ergibt, müssen auch andere puzzlen, aber Johannes und Alexej tragen zumindest ein Teil bei – und bald wollen sie noch ein zweites hinzufügen.

 

Vom Zwitscherfeed zum Informationsportal

 

Über das Recherchebüro Correctiv hat Straßengezwitscher ein Crowdfunding gestartet, einen Monat vor Schluss liegt es bei knapp 80 Prozent von gewünschten 3000 Euro. Johannes und Alexej wollen ein „Informationsportal über rechte Kundgebungen“ aufbauen. Eine durchsuch- und auch fütterbare Übersicht. Damit Aufmerksamkeit nicht länger nur blasenmäßig auftritt, sondern in der Fläche da ist. Eine Art heat map rechter Veranstaltungen soll entstehen – unter Mithilfe neuer Zuträger, die nicht viel mehr brauchen als einen Twitter-Account und die Verpflichtung auf ein paar Standards. Gemeinsam, schreiben Johannes und Alexej in ihrer Projektbeschreibung, wolle man „die Ausmaße der Fremdenfeindlichkeit in Sachsen begreifen, so genau wie möglich beobachten und möglichst viele Leute darüber informieren“.

Bekommt man es so gefüllt, das Puzzle? „Das ist so ein bisschen die Hoffnung“, sagt Johannes. Alleine könnten Alexej und er die vielen Veranstaltungen in Sachsen jedenfalls nicht mehr abdecken.

Was für ein Bild entstehen würde, wenn mehr Menschen zu puzzlen beginnen, das lässt sich schon jetzt erahnen. Johannes und Alexej haben schon einmal eine Karte angelegt, bei Google, zu „Rechten FB-Seiten mit Fokus auf Asyl“ in Sachsen. Die Liste beginnt mit der Bürgerwehr Altenberg, es folgen „Bautzen steht auf“ und die Bürgerinitiativen in Bischofswerda und Borna. Wer die vollständige Liste sehen will, muss auf einen Button klicken: 136 weitere.

 

Was für ein Bild entstehen würde, das lässt sich auch erahnen, wenn man sich nur ein wenig durch die Beiträge von @Streetcoverage scrollt. Man muss da nicht sehr weit zurückgehen. Der vergangene Sonntag begann mit Hinweisen auf rechte Kundgebungen in #Dresden-Strehlen, #Plauen, #Zwickau, #Frankenberg. Es folgt ein Blick in andere Bundesländer, etwa nach #Neumünster, wo sich die Meldung über einen angeblich von der Antifa zu Tode geprügelten Kameraden als falsch erweist. Von dort geht es nach #Oschersleben, wo Linksvermummte tatsächlich eine Gruppe Rechter ins Krankenhaus geprügelt und teils schwer verletzt hat. Der Montag hat die Mittagsstunde noch nicht erreicht, da gibt es aus #Dresden schon wieder einen Angriff zu vermelden, dieses Mal auf das Büro des Sächsischen Flüchtlingsrats. Am Abend? Da versammelt sich #Pegida wieder, ebenfalls in #Dresden. Es wird, so viel ist klar, in diesem Jahr noch eine Menge zu tschilpen geben für das Straßengezwitscher.

 

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