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Zwischen Frontex, Seenotrettung und Militär

Foto: Paul Lovis Wagner

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Schon am Flughafen spürt man diese seltsame Malta-Atmosphäre. Die Dinge passen nicht richtig zusammen hier. Das moderne Glasgebäude, durch das allein im vergangenen Jahr zwei Millionen Touristen auf die Insel kamen, steht inmitten ausgetrockneter Felder, die von kleinen Steinmäuerchen umgrenzt werden. In der Flughafenhalle junge Frauen in Minirock und Rollschuhen, die Kreuzfahrten bewerben und dabei sehr verloren aussehen. Drinnen bläst die klinische Luft der Klimaanlagen ein bisschen zu kalt, draußen liegt lähmende Hitze über den Taxis, die gleich neue Gäste runter zum Hafen, zu den Luxusjachten oder zu den Rettungsbooten der NGOs chauffieren werden.

Da unten, im Hafen von Bezzina, wollte ich eigentlich einer anderen Geschichte nachgehen, die mich ganz schnell von dieser Insel wegbringen sollte. Aber die bleibt vorerst nur ein Versuch, deshalb hier nur die Kurzversion: Statt draußen auf dem Mittelmeer seekrank über der Reling zu hängen und zuzusehen, wie junge Menschen ehrenamtlich Flüchtlinge retten, sitze ich auf einem Schiff mit Motorschaden in diesem glühenden Privathafen fest. Und während die Crews der anliegenden Schiffe sich unter Deck in das letzte Stück Schatten zurückziehen, lasse ich diesen Ort auf mich wirken, an dem ich zwangsläufig noch eine Woche verbringen werde, bevor mein Flug zurück in ein erträgliches Klima geht.

Da draußen, zwei Tage Seefahrt von Malta entfernt, beginnt die Zwölf-Meilen-Zone. Das ist der Bereich, wo libysches Territorium aufhört und internationales Gebiet anfängt. Und das ist auch der Bereich, den Flüchtlingsboote ansteuern, um der Versklavung, den Schleusern und Menschenhändlern zu entfliehen. Ein erster Schritt in einen Alltag ohne Krieg und Gewalt. Aber um diese Schnittstelle entfacht sich gerade eine hitzige Debatte, in der die einen den anderen Schlepperei und die anderen den einen politisches Versagen und eine Mitschuld am Tod tausender Flüchtlinge zuschreiben. So abstrakt diese Debatte gerade in europäischen Ministerien geführt wird, so konkret wird sie hier im Hafen von Malta. 

Denn im überschaubaren Hafenbecken von Bezzina liegen wie in einem Schulbuch all die Akteure, die sich da draußen nichts mehr zu sagen haben, friedlich nebeneinander. Auf der einen Seite die „zivile Flotte“, wie ehrenamtliche Helfer die Schiffe von Sea-Watch, Open Arms und Sea-Eye nennen, die auf Spendenbasis Seenotrettung im Mittelmeer leisten. Daneben das graue und dreimal so große Militärschiff von Frontex, der Grenzschutztruppe der EU. Und in der Mitte, seltsam verloren und tadellos weiß, die riesige Luxusjacht des Hafenbesitzers, Mr. Bezzina himself.

 

Ein libysches Kriegsschiff zieht vorbei, die Crew der Sea-Watch läuft genauso gespannt an Deck, wie ihre Nachbarn auf dem Frontex-Schiff. Draußen auf hoher See würden sie vielleicht Warnschüsse hören, vielleicht würde genau dieses Militärschiff eines der Helferboote lebensgefährlich kreuzen, um ein Flüchtlingsboot zurück an die libysche Küste zu drängen. Aber hier im Hafen wird vom Frontex-Schiff mit gebührendem Respekt gegrüßt, die Sea-Watch-Crew deutet mit dem Hochdruckreiniger spaßeshalber ein Inferno an und zielt mit dem Wasserstrahl Richtung Militärschiff. Alle lachen, weil das hier geht. Da draußen wäre das anders. 

 

Da draußen wird jedes Schiff, jede Handlung zum politischen Spielball. Es ist ein komplexes Spiel – wie immer, wenn es um Macht geht. Eines, dessen Spielregeln für die einen notwendig erscheinen und von den anderen niemals akzeptiert werden. Erst am Mittwoch verabschiedete die italienische Regierung einen Verhaltenskodex für NGOs, der es den Organisationen erschweren soll, in ihren Einsatzgebieten frei zu agieren. Für Frontex und die libysche Küstenwache gibt es keine Verhaltensregeln. Die EU sowie Regierungsorganisationen und die Bundeswehr haben seit Ende 2015 ihre Seerettungsmissionen eingestellt und konzentrieren sich nur mehr auf die Bekämpfung von Schleusernetzwerken und die Ausbildung der libyschen Küstenwache. 

 

Wenn Flüchtlingsboote es trotz Grenzschutz in internationale Gewässer schaffen und dort in Seenot geraten, ist jedes Schiff laut Seerecht verpflichtet, ihnen zu helfen. Organisationen, die das freiwillig zu ihrer Aufgabe machen, werden aus Sicht der anderen zu Gegenspielern; sie seien schuld daran, dass so viele Menschen die gefährliche Überfahrt wagen, meinte erst vergangene Woche Bundesinnenminister Thomas de Mazière. Fast wirkt es so, als wollten diejenigen, die hier im Hafen die dicksten Schiffe fahren, auch die Deutungshoheit über das Seerecht haben.

 

Wer Menschen in Seenot ignoriert, macht sich strafbar

 

Warum sich die EU so sehr an den kleinen bunten Schiffen der „zivilen Flotte“ reibt, könnte man fragen. Immerhin wirken die zivilen Boote im Vergleich zum massiven Frontex-Militärschiff eher wie Fischkutter – was sie früher meist auch waren. Trotzdem stemmen die privaten Organisationen derzeit gut 40 Prozent der Seenotrettung. Sie sind genau an dieser Grenze präsent, wo sich entscheidet, ob Flüchtlinge zurück nach Libyen gedrängt werden oder die Fahrt gar nicht erst überleben. An manchen Tagen nehmen die ehemaligen Fischkutter 300 Menschen auf einmal auf und geben sie an größere Militärschiffe weiter, die Richtung Festland fahren. Auch Schiffe der Bundeswehr nehmen die Flüchtlinge mit in den nächsten Hafen. Weil es selbstverständlich ist auf See, niemanden ertrinken zu lassen, egal welche Organisation hinter dem Schiff steht. Das ist die einzige Spielregel, die da draußen eigentlich für alle gilt. Wer Menschen in Seenot ignoriert, macht sich strafbar.

 

Und trotzdem werden die zivilen Rettungsorganisationen das Gefühl nicht los, auf See mit dieser Selbstverständlichkeit sehr allein zu sein. Neben einem Offizier der britischen Marine, der gerade im goldenen Abendlicht im Feinrippunterhemd auf einem Hometrainer strampelt, liegen ein paar vereinzelte Rettungswesten. Die Missionen von Frontex und Bundeswehr lauten schon seit 2015 nicht mehr „retten“, sondern „sichern“. So steht es in ihren Erklärungen. Die Seenotrettung ist nur noch eine Notwendigkeit, die eben erfolgt, wenn sie auf Schiffbrüchige treffen oder von den zivilen Organisationen um Hilfe gebeten werden. Nebenan auf der Sea-Watch werden deshalb gerade die Rettungswesten gezählt. Eintausend Stück wollen sie an Board haben, wenn es das nächste Mal auf See geht.

 

Vielleicht werden sie alle, NGOs wie Militärbesatzungen, heute Abend in der Monkeybar oben in der Stadt sitzen und sich mit Aperol Spritz für zwei Euro betrinken, während sich im Hafenbecken die Kreuzfahrtdampfer mit Aufschriften wie „Sommer, Sonne, Glückseligkeit“ vorbeischieben. Wenn die Hitze sich langsam in die ockerfarbenen Gemäuer verkriecht, das denken und bewegen wieder leichter fällt, aber man sich trotzdem nichts mehr zu sagen hat. Dann ist sie wieder da, diese Malta-Surrealität, die auf der ganzen Insel irgendwie spürbar, aber nirgendwo so drückend präsent ist, wie im Hafen von Bezzina. 

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