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Warum kaufen wir immer noch Apple-Produkte?

Illustration: Daniela Rudolf

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Die meisten verstehen die Frage erst gar nicht. Höchstens kommt ein „Das machen doch alle!“. Von einem, der lächelnd ein neues iPad aus dem Apple Store trägt. Der Rest der Kunden, die man vor einem Apple Store fragt, ob es sie stört, dass der Konzern zwar viel Geld für sein iPhone nimmt, aber in Deutschland fast keine Steuern zahlt, reagieren desinteressiert. Als wäre „Steuer“ das Siri von Samsung: unbekannt, unpraktisch, unnötig.

Dabei haben die Paradise Papers gerade wieder einmal vor Augen geführt: Der Konzern, dessen Produkte vielleicht täglich mehr Menschen berühren als die jedes anderen, entzieht sich einer grundlegenden Vereinbarung: Wer Geld verdient, zahlt Steuern. In Deutschland zum Beispiel zahlte Apple auf einen Milliardengewinn ganze 25 Millionen Euro Steuern. Außerhalb der USA, wo zwei Drittel der Gewinne erwirtschaftet werden, lag der Steuersatz seit 2010 faktisch zwischen einem und sieben Prozent.

Das Parasitäre daran: Der Konzern profitiert von einem System, das den Menschen hier ihren Wohlstand überhaupt erst möglich macht. In dem man sich über öffentliche Verkehrssysteme, Müllentsorgung, Schulen wenig Gedanken machen muss – alles finanziert durch Steuern. Der Deal besteht eigentlich darin, dass sich Unternehmen auch an diesem System beteiligen, von dem sie in großem Maße profitieren. Aber Apple hat, obwohl sich der Konzern gerne sehr menschlich und modern gibt, daran offenbar kein Interesse. Stört das eigentlich niemanden?

Beim Apple Store in München jedenfalls stehen die Menschen auch nach den skandalösen Enthüllungen noch Schlange. Vor dem Laden für das kostenfreie WLAN, im Laden für das neue iPhone X (ab 1149 Euro). Der durchschnittliche Apple-Kunde hat die Werte des globalen Kapitalismus längst verinnerlicht: „Die müssen ja Gewinn machen. Natürlich umgehen die die Steuer, wo sie können“, sagt einer beim Rauslaufen.

Man könnte tausende Fragen vor hunderten Läden stellen: Warum kaufen die Leute noch unfair gehandelte Kleidung? Warum genießen Menschen noch ihren Urlaub in der Türkei (wegen der gefallenen Preise sogar jetzt noch mehr), wo doch Menschen dort unschuldig eingesperrt werden? Warum gibt es überhaupt noch bösen Konsum auf der Welt? Wir wissen doch alle längst genug, um alles zu ändern?

So rutscht man über die glatten Oberflächen der iPhones direkt in das ewige Dilemma des ethischen Konsums. Sobald wir keine direkten Auswirkungen unseres Verhaltens spüren, benehmen wir uns systematisch unkooperativ. Wie in der so genannten „Tragik der Allmende“: Wirtschaftswissenschaftler nennen so den gut erforschten Hang des Menschen, gemeinsam genutzte Güter, von der Viehweide bis zu den Weltmeeren, zu übernutzen – und schließlich für alle zu verderben. Auch wenn wir im Falle des Konsums nicht unbedingt gemeinsame Güter verbrauchen, schaden wir uns auch hier selbst. Alleine, indem wir weitermachen wie bisher. Obwohl man seine Sachen zum Beispiel bei Unternehmen kaufen könnte, die mit ihren Steuern Schulen, Polizei und Abwasserwerke mitfinanzieren, statt das fast gänzlich zu umgehen.

Aber das scheint nicht so wichtig. Es ist offenbar nicht so schlimm, wenn ein Konzern Geld umleitet, wie wenn er Angestellte und Auftragnehmer richtig mies behandelt. So wie in den Sweat-Shops und Giftküchen vieler Textilfabrikanten in Bangladesch oder Pakistan. Dafür gibt es mittlerweile mehr Bewusstsein: Ich muss auf das „Made in“ Schildchen in den Klamotten schauen, und wenn da der Name eines Landes steht, das neulich in einer traurigen Weltspiegel-Reportage als vom globalen Kapitalismus gebeutelt dargestellt wurde, dann lege ich das Teil zurück. Als Apples menschenunwürdiger Umgang mit chinesischen Arbeitern ans Licht kam, besorgte ich mir ein Fairphone. Da funktioniert mein moralischer Kompass. Aber bei Steuern?

Im Regal meines Vaters stand das Buch „1000 ganz legale Steuertricks“

Als ich klein war, stand im Regal meines Vaters auf meiner Augenhöhe, also eher weiter unten, das Buch „1000 ganz legale Steuertricks“. Ein dicker gelber Klassiker der mittelständischen Steuerspar-Strategie. Als ich ihn einmal aus dem Regal zog und darin herumblätterte, freute sich mein Vater halb krumm. „Von wem hast du das wohl?“, fragte er schelmisch, und meinte den fast sportlichen Ehrgeiz, mit dem er sich gegen übermächtige Gegner wie dem Finanzamt um ein paar Euro reicher trickste. Wie er ticken vermutlich Millionen Deutsche. So lange es gesichtsloses Geld ist, scheint die eigene Bevorteilung also so völlig in Ordnung, dass man sie gerne an die eigenen Kinder weitergibt.

So ähnlich – nur mit hochbezahlten Juristen statt eines dicken Buchs – macht es auch Apple. Und natürlich extremer. In einem jetzt veröffentlichten Fragebogen klappert eine Kanzlei für Apple ab, ob eine Steueroase wirklich für einen Geschäftssitz in Frage kommt. Im Gespräch sind gleich mehrere Standorte, die nicht für ihre IT-Fachkräfte berühmt sind, sondern für ihre Steuergesetze: die Britischen Jungferninseln, die Kaimaninseln, die Isle of Man, die Kanalinseln Guernsey und Jersey. Aber nur unter der Sicherheit, dort Geschäfte abwickeln zu können, „ohne besteuert zu werden“. Das soll amtlich bescheinigt werden: „Ist es möglich, eine offizielle Bestätigung der Steuerbefreiung zu bekommen, und kostet das etwas?“ Apple lässt über die Kanzlei Baker McKenzie abklopfen: „Müssen Geschäftsberichte veröffentlicht werden“ und „welche Informationen sind öffentlich einsehbar“? Der Konzern fragt sogar nach der Wahrscheinlichkeit, dass eines Tages eine Opposition an die Regierung kommen könnte. Vielleicht weil diese dann gegen Niedrigsteuern vorgehen würde? „Gibt es eine glaubwürdige Oppositionspartei oder eine Bewegung, die die jetzige Regierung ersetzen könnte?“

Das alles ist jetzt bekannt. Aber es wird wenig ändern. Zumindest nicht an unserem Kaufverhalten. „Das ist eine Sache zwischen Apple und dem Finanzamt“, sagt eine, die aus dem Münchner Store kommt. Ohne Tüte. Sie wollte nur mal schauen. Die MacBooks sind ihr zu teuer. Aber das Finanzamt vertritt ja auch sie? „Nein, ich hab mit denen auch nur Ärger.“ Aber das Geld, das Apple hier nicht versteuert, das fehlt dem Staat doch? Für Schulen, Straßen, Sozialhilfe? „Ja, stimmt“, sagt sie ohne Leidenschaft. Es ist eine rein mathematische Zustimmung. Diese Milliarden von Euro übersteigen unser Vorstellungsvermögen. Deshalb fühlen wir uns paradoxerweise davon weniger betrogen als von einem Uli Hoeneß, der „nur“ Millionen hinterzog. Und es stirbt ja niemand daran. Zumindest nicht direkt und nicht sofort.  

„Macht doch jeder“, ist die häufigste Antwort vorm Apple Store

„Ist doch nur Geld“, kann man also sagen, in Kombination mit: „Alle anderen machen es auch.“ Und damit die Luft aus dem Konflikt lassen.

Ja, ich habe auch schon mal eine Taxirechnung geltend gemacht, die vielleicht nicht hundert Prozent einem professionellen Zweck entsprach. Also, hypothetisch. Vor langer, langer, längst verjährter Zeit. Und so geht es uns vermutlich allen: „Steuern hinterziehen ist wie Fremdgehen – jeder der es kann, tut es auch.“ Das sagte mal jemand Anonymes, der nicht erwischt werden wollte bei einem von beidem. Und Apple hat nach jetzigem Kenntnisstand nicht einmal hinterzogen. 

Ist Apples Trickserei also nicht so schlimm, weil es jeder von uns kennt und auch tun würde? Oder ist es andersrum: Bin ich genau so schlimm wie Apple, wenn ich bei der Steuer trickse?

Vor dem Apple Store ist man sich da einig: „Macht doch jeder“, das ist die häufigste Antwort, oder auch: „Ist doch eine amerikanische Firma?". Und überhaupt: „Erst mal sollen die Steuern sinnvoll genutzt werden.“ Eine seltsame Mischung aus Verdrängung und Verständnis. Sogar auf Facebook oder Twitter, wo sich sonst die Empörung entlädt: Stille. Kein Shitstorm. Was vielleicht auch daran liegt, dass Apple, anders als fast alle Unternehmen, wenig in den Netzwerken präsent ist. Und damit auch nur wenig Platz für einen öffentlichen Dialog mit seinen Kunden bietet.

Ich selbst kann leider auch keinen gerechten Zorn entwickeln. Denn warum, mal ganz simpel gefragt, macht „Apple“, also eine Armada an Managern und ihnen unterstellten Juristen, das so? Weil es den Gewinn steigert. Und wozu das? Weil es die Dividende für die Aktionäre steigert. Und wie viele Aktionäre sind das? Tausende. Die sich alle ein kleines oder ein großes Bisschen bereichern. So wie auch die Menschen hier vor dem Store, die schnell mit der teuren Beute durch die Kälte nach Hause hasten, erst mal auf sich schauen.

„Ein bisschen was im eigenen Land ist mehr als ein großer Haufen in einem anderen“

Aber noch etwas anderes fällt den Menschen hier auf: „Zu einem Betrug“, sagt einer, „gehören immer zwei dazu! Einer der betrügt, und einer der sich betrügen lässt.“ Meint er damit uns, die wir weiter bei Apple einkaufen? „Nee, den Staat.“ Und er hat Recht. Auch mich nervt etwas anderes noch mehr als eine Horde gehorsamer Juristen: ein offenbar völlig zahnloses, unterbesetztes Finanzamt, in dem drei Beamte gegen dreihundert Anwälte ankommen sollen. Und noch mehr: die Staaten, die das zweifelhafte Spiel mitspielen. Ermöglichen. Decken. Und zwar keine völlig verarmten Failed States, sondern unsere freundlichen EU-Partner, wie die Iren oder Niederländer, zu denen laut Paradise Papers viele der steuerumgehenden Konzerne ein inniges Verhältnis haben. 

Auch dort sitzen Leute, die ganz einfach egoistisch rechnen. „Ein bisschen was im eigenen Land ist mehr als ein großer Haufen in einem anderen“, beschreiben die Kollegen dieses Prinzip. Aber auch bei uns versuchen mit CDU und FDP zwei Parteien momentan eine Regierung zu bilden, die nicht gerade für Antikapitalismus stehen. Weil sich Menschen von ihnen eine brummende Wirtschaft erhoffen. Und damit eigenen Wohlstand. Der Kreis schließt sich.

Wie ich hier so stehe, im hellen Schein des Technologie-Tempels namens Apple Store, tippe ich altklug in mein iPhone: „Es gibt nicht das eine Monster namens ‚Apple’. Das Monster ist immer der Mensch selbst.“ Dann geht es aus. Der Akku ist schwach. Das Display gesplittert. Höchste Zeit, ein neues zu kaufen.

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