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Die Großmutter des Teufels

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Als Renee Pornero an ihre Grenzen kommt, stecken in zwei ihrer Körperöffnungen jeweils eine Männerfaust. Renee will sagen: Es reicht, aufhören! Doch anstatt Worten lässt sie Tränen sprechen. Sie weint und schreit vor Schmerz. In diesem Moment zoomt die Kamera auf ihr Gesicht. „Das ist super! Mach weiter so!“, sagt die Kamerafrau zu ihr. Renee erzählt diese Geschichte mit einem Lächeln, als handele es sich um einen Dumme-Jungen-Streich, der ein wenig außer Kontrolle geraten ist. Die Standardreaktion des Zuschauers, diese Mischung aus fasziniertem Voyeurismus und entsetztem Mitleid hält so auch nur kurz an, denn Sekunden später wieder spricht eine selbstbewusste und erfolgreiche junge Frau über ihren Beruf, als sei sie Unternehmensberaterin. Doch Renee Pornero ist ein ehemaliger Pornostar. "Was hat dich bloß so runiniert?" 81 Prozent aller Deutschen konsumieren mehr oder regelmäßig Pornografie. Doch wer die Darsteller sind, was sie antreibt, wie sie zu ihrem Beruf gekommen sind, all das bleibt hinter einem Schleier der Professionalität verborgen. Porno Unplugged, das Erstlingswerk von Fabian Burstein, ist eine Dokumentation über Pornodarsteller und Produzenten. Der junge Österreicher begibt sich auf eine Reise von Ost nach West, von Budapester Plattenbauten und osteuropäischen Billigmodels über Wien, Bad Ischl nach Amerika ins San Fernando Valley, dem Mekka der Pornobranche. Porno Unplugged versucht anhand von drei Protagonisten, hinter die Kulissen einer Industrie zu schauen, die mehr Geld als Hollywood, mehr Geld als die zehn größten Internet-Unternehmen zusammen umsetzt.

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Bursteins Protagonisten, die ehemalige „Analqueen“ Renee Pornero, der Unternehmer Thomas Janisch und der Pornodarsteller Mike Blue, stammen alle aus Österreich – und an dieser Stelle enden bereits ihre Gemeinsamkeiten. Denn die Beweggründe, in das Pornogeschäft einzusteigen sind, wie der Regisseur betont, vielfältig. Renee war auf der Suche nach einem gut bezahlten Nebenjob, für Mike Blue war der sexuelle Reiz ausschlaggebend, als er bei ödk, der in Bad Ischl ansässigen Pornoproduktionsfirm von Thomas Janisch, anfing. Mittlerweile hat Mike Blue sich als Produzent selbstständig gemacht, er ist auf dem Weg nach oben – ganz oben ist in der Pornobranche, wer es ins San Fernando Valley geschafft hat. 90 Prozent aller amerikanischen Pornofilme werden hier produziert, pro Tag 200 Filme gedreht. Während in Deutschland eine Darstellerin gerade einmal 400 Euro für einen Drehtag erhält, gibt es im kalifornischen Porno-Tal streng gestaffelte Preise: 250 Dollar für einen Blowjob, 600 Dollar für Vaginalverkehr, 800 bis 900 für Anal und 1200 Dollar für die „Double Penetration“. D, DP und ATM Fabian Burstein begleitet Mike Blue nach Las Vegas auf eine Messe, auf der der zwischen all dem Silikon und Muskeln wie ein schmächtiger Schüler wirkende Regisseur selbst vor die Kamera tritt und von Porno-Darstellerinnen geknuddelt wird. Er filmt Mike Blue beim Filmen von Deepthroats und Double-Penetrations und am Ende auch mit seiner Freundin, Viviane, ebenfalls Pornodarstellerin. Immer wieder umkreist Burstein die Frage, woher unser gehemmter und oft tabuisierter Umgang mit Sexualität im Allgemeinen und Pornografie im Speziellen kommt. Er spricht mit Mikes liebevoller Mutter, die nach einigen Anfangsschwierigkeiten den ungewöhnlichen Beruf ihres Sohnes akzeptiert hat. Als dämonischer Gegenpol dient ihm Martin Humer, ein erzkatholischer „Pornojäger“, der vor einem Papst Benedikt-Bild krude Theorien zum Besten gibt („Wenn eine Frau sich mit dieser Sauerei identifiziert, ist sie vergleichbar mit Großmutter des Teufels“.) Manchmal scheint der Film jedoch unter seinen selbst gesetzten Erwartungen zurückzubleiben. Nachdem Mikes Mutter über ihren Sohn gesprochen hat, wartet der Zuschauer vergebens darauf, dass auch der Vater zu Wort kommt. Der so rational wirkende Geschäftsmann Thomas Janisch bleibt genauso kühl, wie er sich selbst inszeniert und Renee Pornero zeigt ihr verletzliches Gesicht eben genauso weit, wie sie möchte. Vergeblich wartet man auf das große Lüften des ach so professionellen Schleiers, hinter dem sich die emotionalen Abgründe verbergen. Vielleicht gelingt das der Dokumentation nicht. Vielleicht lauert hinter dem Schleier aber auch nur etwas unglaublich Banales: Arbeit. Auf der nächsten Seite liest du ein Interview mit dem Regisseur Fabian Burstein


Fabian, siehst du, seitdem du „Porno Unplugged“ gedreht hast, mehr oder weniger Pornofilme an? Insofern mehr, ja, weil ich mir davor so gut wie gar keine Pornos angeschaut habe. Erst mit diesem Film bin ich eigentlich dazu gekommen – unter anderem auch deswegen, weil mir meine Protagonisten Filme von sich gegeben haben. Trotzdem bin ich privat immer noch kein Pornokonsument, mein Interesse daran ist beruflich. Aber natürlich beobachte ich seit diesem Film auch die Szene genauer. Bist du bei der Arbeit an deinem Film eigentlich an persönliche Grenzen geraten? Ja, sehr oft. Es gab ein paar Situationen, die grenzwertig waren. Zum Beispiel? Am Anfang des Films gibt es eine Szene, die wir in Budapest gedreht haben: Da taucht ein Typ auf und schreit auf dem Set Mike Blue an „Du fickst sie nicht! Du fickst sie nicht!“. Das war im ersten Moment furchterregend. Ich wusste ja nicht, wie so ein Typ tickt. Er hat mir einfach Angst gemacht. Die Vorgeschichte war: Er war der Manager einer Darstellerin, die ihre Gesundheitstests nicht dabei hatte. Er musste ihre Ergebnisse holen. In der Zwischenzeit hatten sie Ergebnisse aber schon per Telefon eingeholt. Er war also umsonst gekommen und deswegen ziemlich aufgebracht. Grenzwertig waren auch Besuche in Swingerclubs, in denen Renee Gangbangs moderiert hat. Zu dritt standen wir angezogen zwischen 15 Männern in Bademäntel, die onanierten. Das war nicht wirklich schlimm, aber es war mühsam und irgendwie ekelhaft. Ehrlich gesagt, sieht es ziemlich witzig aus, wenn du selbst mit Hemd und Sakko etwas verloren neben Mike Blue und den operierten Pornodarstellerinnen stehst. Ist das ein Grund, warum du selbst so oft in deinem Film zu sehen bist? Ja, ich wollte einen Kontrast setzen. Ich hatte immer ein Problem damit, wenn die Leute moralisieren und deswegen wollte ich auch eine Art Selbstversuch machen. Die sollten sehen, dass auch ich mich nicht entziehen kann, wenn ich über die Messe gehe und ständig Pornostarlets mein Gesicht zwischen ihre Silikonbrüste drücken. Im Nachhinein wurde mir vorgeworfen, ich hätte dort zuviel Spaß gehabt. Genau das aber wollte ich zeigen: Ich in einer braun gebrannten Masse aus Muskeln und Silikon. Was stand am Anfang des Films? Woher stammt dein Interesse an dieser Branche? Vor drei Jahren habe ich für ein österreichisches Filmmagazin ein Dossier über die drei Hauptdarsteller geschrieben. Bei den Recherchen hatte ich das Gefühl, zwar irrsinnig viel gesehen zu haben, aber doch nur an der Oberfläche dieser Welt gekratzt zu haben. Aus diesem Interesse entstand dann die Idee zu „Porno Unplugged“.

Du sprichst am Anfang des Films davon, wenn überhaupt, dann nur vielschichtige Antworten auf die Frage zu finden, was Menschen an Pornografie so reizt. Gibt es trotzdem eine Quintessenz, die du bei der Arbeit an diesem Film gelernt hast? Definitiv habe ich zwei Dinge gelernt: Die ganze Branche ist unglaublich widersprüchlich. Sie oszilliert zwischem untersten Sozialgrind und extrem prospektiven Entertainment, zwischen Pornomesse und Plattenbau und zwischen professionell-ökonomisch und einfach nur schmuddelig. Die zweite Erkenntnis ist, dass die gesamte Branche sehr imagefixiert ist. Jeder männliche Darsteller mimt ununterbrochen den geilen Hengst und jede Frau spielt ständig die laszive Femme fatale. Deswegen hat es uns sehr viel Zeit gekostet, den Darstellern wirklich nahezukommen. Dass Renee Pornero für uns kocht, ist das Resultat von zweieinhalb Jahren, in denen ich immer wieder Kontakt mit ihr hatte. Inwieweit unterscheiden sich Pornoproduktionen in Europa und Amerika? Der Professionalisierungsgrad von Europa, besonders in Osteuropa, liegt weit unter dem von Amerika. Die Produktionen dort sind dreckiger im Sinne von riskanter. Osteuropäische Darsteller kommen zum Set mit Tests aus Labors, von denen man zum Teil noch nie gehört hat. Im San Fernando Valley ist das zentralisiert. Es gibt ein Verfahren, das auf alle Geschlechtskrankheiten testet und wer das nicht hat, kriegt keinen Job. Jeder hält sich daran, das ist wie eine Art Ehrenkodex. Am Anfang des Films läuft ein Lied von „Die Sterne“. „Warst du nicht fett und rosig, warst du nicht glücklich? Was hat dich bloß so ruiniert?“ Das klingt viel sagend. Warum ist die Pornobranche trotz so vieler Konsumenten noch immer zwielichtig? Hm. Ich glaube, es hat am Ende nur noch mit dem Schlagwort der Sexarbeit zu tun. Bezahlter Sex weckt Assoziationen, die für die meisten Menschen noch immer verwerflich sind. Das Pornobusiness ist die letzte Branche neben der Prostitution, in der transparent Sex gegen Geld getauscht wird. Automatisch denken wir dann auch an Menschenhandel, Kriminalität und Zwangsprostitution. Hinzu kommen Tendenzen innerhalb der Branche: In letzter Zeit tauchten Strömungen auf, die immer gewalttätiger wurden. Beim Deepthroat zum Beispiel würgt die Frau und bekommt kaum noch Luft. Als Kritiker tritt in deinem Film Martin Humer, selbst ernannter Pornojäger, auf. Seine Thesen sind allerdings derart haarsträubend, dass sie kaum einer deiner Zuschauer teilen wird. Warum hast du andere kritische Positionen ausgespart? Was ist zum Beispiel mit feministischer Kritik? Das liegt an zwei Gründen: Dieser Film ist schon in seinem Zugang sehr komplex. Eine feministische Kritik wäre wieder eine neue Baustelle gewesen. Dann hätte ich mich ausschließlich auf die Frauen konzentrieren müssen. Humer ist in Österreich das Sinnbild des Pornofeinds. Er hat jahrzehntelange Menschen terrorisiert und Kunstwerke zerstört, weil sie ihm zu pornografisch waren. Er ist ein unglaublich radikaler, stockkatholischer Prototyp – und paradoxerweise genau deswegen zu einer Figur der Pornoszene geworden. Im österreichischen Fernsehen tauchte er immer wieder in Diskussionen auf und wurde dann natürlich nieder geredet. Ich habe ihn darum gebeten, sein „philosophisches Vermächtnis“ zu erzählen. Er ist nicht wirklich ein realer Gegenstandpunkt, er ist mehr ein abstruses Gegenkonstrukt. Das Interessante an deinem Film ist, dass du den Protagonisten emotional nahe kommst. Was aber hältst du vom Pornokonsum? Glaubst du, wir sehen zuviel Pornos? Ich spiele ungern den Hobbypsychologen, aber ja: Ich glaube, dass die permanente Verfügbarkeit von Pornografie nicht gut ist. Warum? Weil Maßstäbe gesetzt werden, oder sexuelle Kriterien aufgestellt werden, mit denen gerade Minderjährige nur schwer zurechtkommen. Jeder Mensch hat ein Recht darauf, seine Sexualität frei auszuleben. Aber es gibt eine Art sexuelle Entwicklung, einen Reifeprozess im Laufe des Lebens. Eine 40-jährige Frau kann wahrscheinlich, wenn sie in einem Film zuerst eine Deepthroat-, dann eine Rough-Anal- und schließlich noch ein ATM-Szene sieht, das Gesehene einordnen und mit ihren Bedürfnissen abgleichen und damit umgehen. Ein 14-jähriges Mädchen aber ist damit überfordert.

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