Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Wie Vergewaltigung im Netz diskutiert wird

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Was wir hier gleich wieder lernen können:

Wer mit einer angeblichen Vergewaltigung an die Öffentlichkeit geht, dessen Glaubwürdigkeit wird automatisch angezweifelt. Das gilt für Schreibwarenverkäuferinnen ebenso wie für Pornodarstellerinnen. Bei letzteren vielleicht aber noch ein bisschen mehr – und das sagt leider viel aus. Gleichzeitig gilt aber auch: Wer der Vergewaltigung beschuldigt wird, wird oft bereits verurteilt, bevor er sich überhaupt äußern konnte. In aller Regel ist die Öffentlichkeit nicht in der Lage, den Fall zu beurteilen. Das Internet hilft hier selten. Besonders, wenn die Protagonisten die Diskussion dort selbst befeuern. "Nein" heißt nein. Auch bei Pornodarstellern. Das sollte jeder kapieren. Auch das Internet.

Die aktuell größte Debatte zum Thema ist deshalb ein besonderes Lehrstück darüber, wie das Netz über Vergewaltigung diskutiert. Nein, halt, wie Menschen im Netz über Vergewaltigung diskutieren. Die Debatte dreht sich um die Pornodarstellerin Stoya (29) und ihren Ex-Freund, den Pornodarsteller James Deen (29). Es steht Aussage gegen Aussage und man merkt auf jeden Fall: Da lief schon lange was falsch im Pornobusiness. Die Geschichte zeigt aber auch, wie durch das Internet das Private öffentlich wird. Und wie es irgendwann unmöglich ist, sowohl für mutmaßliche Opfer, als auch für die Beschuldigten, wieder einzufangen, was mal losgetreten ist. Eine Chronologie.

28. November 2015

Pornodarstellerin Stoya setzt folgenden Tweet ab

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Twitter läuft schnell heiß. Vielen ist direkt klar, dass sie mit dem "gefeierten Feministen" nur ihren Ex-Freund James Deen meinen kann. Der galt bis dahin als Ryan Gosling der Pornoindustrie. Ein schmächtiger "Typ von nebenan", der den Frauen beim Sex in die Augen schaut und schon einmal eine Pornoproduktion absagte, in deren Story Frauen mit hartem Sex für ihr Fehlverhalten bestraft werden ("It made me feel icky"). Er und die auf Natürlichkeit getrimmte, wortgewandte Stoya (die bereits für die New York Times schrieb) galten als Traumpaar der Pornoindustrie, der es natürlich gefiel, ein konsensfähiges Vorzeigepaar zu haben. Ende 2014 verkündeten Deen und Stoya nach einer gut einjährigen Beziehung ihre Trennung, blieben allerdings weiterhin auch geschäftsmäßig miteinander verbunden, beispielsweise bot Stoya weiterhin Pornos mit ihm auf ihrer Webseite an.

Kurz nach dem ersten Tweet konkretisiert Stoya ihre Vorwürfe und bestätigte, was alle vermuteten:

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sätze, die im Internet daraufhin fallen:

- Der Arsch gehört für seine Taten bestraft (freundlich formuliert) #solidaritywithstoya

- Die Frau ist Hardcore-Pornodarstellerin. Gehört das nicht zum Job?

- Sie hat es doch sicher gewollt

- Warum geht sie damit erst jetzt an die Öffentlichkeit?

- Das ist doch alles PR- Würde das stimmen, würde sie keine Filme mehr mit ihm bewerben

Stoya geht nach besagtem Tweet offline. Der Beschuldigte James Deen reagiert zunächst nicht auf die Vorwürfe sondern twittert einen Link zu seinem neusten Anal-Streifen. Joanna Angel, ebenfalls Darstellerin und Exfreundin von Deen, solidarisiert sich hingegen mit Stoya.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

30. November 2015

Die Pornodarstellerinnen Ashley Fires, Tony Lux und eine unter dem Pseudonym T.M. schreibende Frau erheben ebenfalls Vorwürfe gegen Deen. Sie sagen, er habe sich bei Drehs nicht an Abmachungen gehalten oder sie danach vergewaltigt. Eine Darstellerin berichtet, er habe sie geschlagen und ihr sein Geschlechtsteil in den Mund gedrückt. Sie hätten von da an abgelehnt, mit Deen zu drehen. Er selbst äußert sich an diesem Tag auch zum ersten Mal auf Twitter zu den Vorwürfen - und bestreitet sie.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sätze, die im Internet daraufhin fallen:

- Deen lügt und ist ein mieser Vergewaltiger

- Warum gehen die anderen Darstellerinnen damit erst jetzt an die Öffentlichkeit?

- Warum diskutieren die das überhaupt auf Twitter?

- Warum ist Stoya immer noch offline?

2. Dezember 2015

Immer mehr Pornodarstellerinnen erzählen, wie Deen sie bei, aber auch abseits von Drehs missbraucht habe. Deens Ex-Freundin Joanna Angel gibt in einer Radiosendung explizite Einblicke in die sechsjährige Beziehung. Was als einvernehmlicher BDSM-Sex begonnen habe, sei mit der Zeit immer härter geworden. Irgendwann habe Dean ihren Kopf in ein mit Wasser gefülltes Becken gedrückt, während er Sex mit ihr hatte. Zudem habe er sie immer wieder verbal erniedrigt, sie eine Hure genannt, die ihn betrügen würde, dabei habe er selbst ja auch im Pornobusiness gearbeitet. Sie habe nur mithilfe einer Therapie die Trennung geschafft und danach abgelehnt, mit ihm zu drehen. In der Branche sei bekannt gewesen, dass Deen einen miesen Umgang mit Frauen pflege.

 

Sätze, die im Internet daraufhin fallen:

- Warum hat sie noch mit ihm gedreht, wenn er sie so behandelt hat?

- Warum fällt ihr das erst jetzt ein?

- Warum hat sie nicht direkt mit ihm Schluss gemacht?

- Wenn das stimmt, warum hat dann niemand in der Branche was gesagt?

 

Diverse Experten führten sich daraufhin genötigt, darauf hinzuweisen, dass auch Pornodarstellerinnen in abhängigen Beziehungen leben können.

4. Dezember 2015

Der Guardian veröffentlich eine Exklusivstory mit Stoya, zu diesem Zeitpunkt haben bereits acht Frauen ähnliche Vorwürfe aufgebracht. Stoya erzählt, die Vergewaltigung sei im privaten Umfeld passiert, am Tag drauf sei sie wieder arbeiten gegangen. Wenige Tage später hätte sie sogar eine Szene mit Deen gedreht. Als sie ihn mit ihren Vorwürfen konfrontiert habe, hätte er nur gesagt, sie würde versuchen ihn mit ihren Tränen zu manipulieren.

 

Sätze, die im Internet daraufhin fallen:

- Warum hat sie sich nicht getrennt?

- Warum ist sie nach der Vergewaltigung wieder zur Arbeit gegangen?

- Warum promotet sie weiterhin ihre Pornos auf Twitter

 - Nach diesen alte Tweets von vor drei Jahren hätte sie wissen müssen, dass Deen ein Arsch ist

7. Dezember 2015

Farrah Abraham, in den USA bekannt als C-Promi aus der Teen-Mom-Serie "16 and pregnant" behauptet in der Dailymail als neunte, Deen habe auch sie vergewaltigt.

 

Sätze, die im Internet daraufhin fallen:

- Warum hat sie trotzdem ein Sextape mit ihm gedreht?

- Das ist doch PR

- Der kann man eh nix glauben

8. Dezember 2015

James Deen äußert sich im Daily Beast zu den Vorwürfen. Er sagt, die Trennung von ihm und Stoya sei nicht sauber gelaufen und deutet an, dass sie einen persönlichen Rachefeldzug gegen ihn fahren würde. Er sagt, er verstünde selbst nicht, warum ihr das auf einmal einfiele, nachdem sie sich jahrelang nur positiv über ihn geäußert hätte. Außerdem würde er ja weiterhin in Filmen ihrer Pornofirma mitspielen. Vielleicht habe sie mit den Vorwürfen also nur Traffic auf ihre Seite ziehen wollen. Außerdem verlinkt er auf ein Outtake, in dem Deen beim Sex mit Stoya sofort aufhört, als diese "nein" sagt.

 

Zu diesem Zeitpunkt haben nahezu alle Pornoproduktionen und Sextoy-Hersteller ihre Verträge mit Deen gekündigt. Stoya wiederum ist nun die Gallionsfigur einer Bewegung, die sich für bessere Bedingungen im Porno-Business stark macht. Dass die Sache an die Öffentlichkeit kam, war richtig. Auch, damit andere sich raustrauten und sich hoffentlich etwas ändert. Etwas anderes ist aber auch klar: Die Geschichte wird keiner der Beteiligten mehr los. Ein Leben lang.

  • teilen
  • schließen