Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

"Die Hauptverantwortung liegt bei den Städten selbst"

Foto: Viktor Descenko / photocase.com; Illustration: Federico Delfrati

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Ein paar Tage in Paris, ein Wochenende in Barcelona, im Spätsommer noch eine Woche Airbnb in Lissabon – junge Menschen lieben Städtereisen. Gerne kurzfristig, gerne günstig und vor allem: möglichst authentisch mitten im Szenekiez, wo man sich wie ein echter Anwohner fühlen kann. Und bloß keine Bettenhochburg im Umland – das ist was für Eltern.

Doch genau dieses superauthentische Verreisen, ganz ohne sich wie ein Tourist fühlen zu müssen, wird in vielen Städten gerade zum Problem: Das Zentrum wird mit Hostels zugepflastert, die Wohnungen zu Ferienapartments für Touristen umgewandelt. In Städten wie Barcelona explodieren deshalb gerade die Mieten. Und die kleinen Geschäfte und Restaurants weichen austauschbaren Burgerketten, Pizzerien, Eisdielen.

Macht unsere Suche nach dem authentischen Stadterlebnis also genau dieses kaputt? Wir haben einen Experten gefragt: Christoph Sommer ist Mitinitiator der Forschungsgruppe „New Urban Tourism" an der HU Berlin, die sich intensiv mit den Auswirkungen des boomenden Städtetourismus auseinandersetzt.

jetzt: Herr Sommer, wenn ich als junger Mensch den superauthentischen Local-Eindruck will und mir dafür beim Städtetrip ein Airbnb-Apartment gönne – muss ich mich da schuldig fühlen, weil die Städte unter meinem Besuch leiden?

Christoph Sommer: Ich finde es sehr schwierig, es jemandem übelzunehmen, dass er eine Stadt erleben will und deswegen auch dieses Einwohnerfeeling sucht - dieses Streben nach einem Echtheitserlebnis ist auch wirklich nicht neu. Die Intensität des Kieztourismus ist sicherlich größer, Städtekurztrips sind en vogue, mit wachsendem Wohlstand gibt es allerorts mehr Touristen, als noch vor ein paar Jahrzehnten. Aber das Interesse an fremden Städten und wie deren Einwohner so leben – das ist ein ganz altes touristisches Motiv. Sich das selbst komplett zu verbieten, ist Quatsch.

Wie eng ist denn der Zusammenhang zwischen Verdrängung von Einwohnern und Tourismus?

Die rasanten Mietpreissteigerungen sind meistens primär auf einen zu langsamen Wohnungsbau zurückzuführen oder darauf, dass Städte ihren eigenen Wohnungsbestand an Investoren verkauft haben. Das ist und bleibt in den meisten Städten die Hauptursache. Aber Tourismus kann natürlich auch zu Mietsteigerungen beitragen, zum Beispiel wenn jemand seine Wohnung in einem innerstädtischen Kiez ausschließlich als Ferienwohnung vermietet. Die Wohnung steht dann normalen, dauerhaften Einwohnern nicht mehr zur Verfügung, das Angebot wird verknappt und das hat natürlich auch einen Verdrängungseffekt.

"Man ist als Tourist durchaus in der Pflicht, sich selbst zu fragen: Was bewirkt mein Handeln vor Ort?"

In Städten wie Barcelona ist es aber doch recht offensichtlich, dass gerade junge Wochenendreisende durchaus mitverantwortlich für austauschbare Restaurants, explodierende Mieten und eine Verdrängung der eigentlichen Bürger sind, oder?

Ja, in Barcelona ist die Entwicklung wesentlich weiter fortgeschritten, die aktuelle Bürgermeisterin ist 2015 hauptsächlich aufgrund ihrer Kampfansage an Hotelbetreiber, Airbnb und Investoren aus der Branche ins Amt gekommen. Da zeigt sich auch, wie sehr Tourismus heutzutage politisiert.

Was kann ich also selbst tun, um in solchen Städten nicht als böser" Tourist dazustehen?

Da kommen wir zu dem zweiten Punkt, von dem ich sprechen wollte: Man ist als Tourist oder Touristin durchaus in der Pflicht, sich selbst zu fragen: Was bewirkt mein Handeln vor Ort? Ich kann zum Beispiel versuchen, mich vorab zu informieren: Wie verhält sich meine Unterkunft zum eigenen Kiez? In Berlin gibt es ja zum Beispiel ein Hostel, das das verdiente Geld in sinnvolle Nachbarschaftsprojekte steckt. Und natürlich sollte man Airbnb-Apartments meiden, die ausschließlich als solche vermietet werden und gar keine „echten“ Einwohner mehr haben. Diese Angebote sollte man einfach nicht wahrnehmen und seinen Einfluss nutzen.

fullsizerender

Christoph Sommer (33), Mitglied der Forschungsgruppe "New Urban Tourism" am Georg-Simmel-Zentrum für Metropolenforschung der HU Berlin.

Foto: privat

Endet dieser Einfluss bereits bei der Wahl einer korrekten Unterkunft?

Nein, das kann natürlich auch andere Entscheidungen betreffen. Ein gutes Beispiel sind lokale Gemüsemärkte, sozusagen der heilige Gral der Authentizität. Auch hier muss man sich im Klaren sein: Wenn der Markt weiter bestehen und in Zukunft sein Angebot nicht auf Touristenkitsch-Artikel ändern soll, sollte man bei einem Besuch dort auch Lebensmittel kaufen. Wenn man auf einem solchen Markt nur noch am Stehtisch einen Weißwein trinkt und „landestypische“ Häppchen verzehrt, verliert dieser nach und nach sein Versorgungsfunktion für die ortsansässige Bevölkerung. Das gilt eigentlich für jede Kaufentscheidung: Trinke ich meinen Espresso für teures Geld in der offensichtlich schnieken Szenebar, die sich frisch ins Wohnviertel gesetzt hat, oder in einem Café, das erkennbar schon länger Teil eines Kiezes ist? Ich bin sicher, die meisten Reisenden haben ein Auge dafür.

 

"Die Hauptverantwortung liegt bei den Städten und ihren Verwaltungen selbst"

 

Reicht es also, wenn alle sich nett und nachhaltig verhalten?

Nein, natürlich liegt die Hauptverantwortung bei den Städten und ihren Verwaltungen selbst. Die sind in der Pflicht, Tourismus als Thema anzuerkennen, das viele Bereiche der Stadtentwicklung berührt. Tourismus ist nicht länger nur ein Wirtschaftsfaktor, den es nach der Regel „je mehr, desto besser“ zu entwickeln gilt. Tourismus berührt Wohnungspolitik, Verkehrspolitik, öffentliche Räume... da muss die Stadt regulierend eingreifen und gewachsene Strukturen schützen.

 

Wäre es eine gute Idee, Airbnb-Apartments schlicht zu verbieten?

Diese Plattformen haben ja auch positive Seiten: Die Bürger haben einen Anteil an der touristischen Beliebtheit ihrer Stadt – indem sie ihre Wohnungen für kurze Zeitabschnitte vermieten. Wohnraum, der normalerweise für kurze Zeit leerstehen würde, wird so effektiv genutzt - im Idealfall.

 

In der Realität handelt es sich dabei aber oft um Wohnungen in der Hand von Privatinvestoren.

Hier stünde dann die Plattform selbst in der Pflicht. Das Geschäftsmodell von Airbnb und Co. basiert ja auf der Attraktivität der Städte, die wiederum maßgeblich von ihren Bewohnerinnen und Bewohnern Tag für Tag hergestellt wird. Die Sharing-Plattformen müssen deswegen auch an Regeln gebunden werden: Warum sollten sie nicht auch eine Tourismussteuer bezahlen, wie klassische Hotels? Und falls die jeweilige Stadt gesetzliche Einschränkungen bei Ferienapartments vorschreibt, muss Airbnb die natürlich einhalten und illegale Apartments gar nicht erst freischalten. Die rechtliche Handhabe ist momentan allerdings in jeder Stadt anders, die Problematik aber fast überall gleich. Hier sollten die jeweiligen Städte zusammenarbeiten, um gemeinsam Druck auszuüben.

 

Haben viele Städte in Bezug auf die negativen Effekte von Tourismus bisher ein bisschen geschlafen?

Wenn man sich zum Beispiel gastronomische Monostrukturen anschaut - also touristenfreundliche, austauschbare Restaurants anstelle von traditionellen Kleingeschäften und Wirtshäusern – gewinnt man durchaus diesen Eindruck. Wenn diese Monostrukturen einmal entstanden sind, kann die Stadt das Rad natürlich nicht mehr zurückdrehen und die alten Gaststätten aus der Vergangenheit zurückholen. Die sind weg, und zwar für immer. Die Stadtpolitik muss sich also ihrer Verantwortung für eine stadtverträgliche Tourismusentwicklung bewusst sein.

 

Gibt es eigentlich bereits Städte, die wegen touristischer Übernutzung gekippt sind – also Ziele, die so austauschbar und seelenlos geworden sind, dass sie auch für Touristen nicht länger attraktiv sind?

Darüber haben wir auch schon oft nachgedacht. Vermuten könnte man eine solche Entwicklung ja zum Beispiel in Venedig. Die Stadt funktioniert aber offensichtlich weiterhin als Touristenziel, obwohl immer mehr Einwohner weggezogen sind und die Touristenzahlen ins Unermessliche steigen. Die Touristen scheinen dort trotz der vermeintlichen Disneyland-Atmosphäre recht glücklich zu sein und kommunizieren auch nicht in die Welt: „Fahrt nie mehr nach Venedig“. Die Stadt funktioniert allerdings nurmehr für ein kleines Klientel: Für die Touristen, die ein Mal im Leben dieses Abziehbild namens Venedig sehen wollen. Niemand wird allein wegen des Stadtgefühls jedes Jahr nach Venedig reisen – und echte Venezianer muss man mittlerweile fast mit der Lupe suchen.

 

Mehr Reisen:

  • teilen
  • schließen