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Kein "Rechts stehen, links gehen" mehr auf Rolltreppen am Münchner Hauptbahnhof

Foto: Stephan Rumpf

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Der Deutsche hängt an ihr, der goldenen Regel für Rolltreppen, mit der fast jeder einverstanden scheint: Rechts stehen, links gehen – rechts Pause, links Hektik. So einfach trennen sich Welten. Bis vor 17 Jahren war sie tatsächlich noch MVG-Regel, jetzt ist sie immernoch gelebter Grundsatz. Keine Großstadt-Maxime ist deutscher, keine lernt man auch als Fremder schneller kennen. Wer einmal den Fehler macht, links stehen zu bleiben, wird innerhalb von Sekunden zum Feind deklariert und muss weichen. Über Falschsteher ergießen sich deshalb oft Schimpftiraden, Ellenbogen werden gegen sie besonders hart eingesetzt – solange bis die Exoten gelernt haben, wie es hier eben läuft.

Es wirkt deshalb fast wie eine Provokation, was die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) da gerade von uns verlangt: Voraussichtlich bis zum ersten September soll auf den Rolltreppen am Hauptbahnhof gestanden werden – links und rechts.

Auslöser für die neue Regelung ist eine Baustelle am Übergang zwischen U1/U2 und U4/U5. Hier ist der Durchgang gesperrt, weil zwei alte Rolltreppen erneuert werden müssen. Viele Passagiere sind deshalb gezwungen, einen Umweg über eine andere Etage zu nehmen. Dazu zumindest postete die MVG auch eine Erklärung.

Zum Umstand, dass die Baustelle aber auch eine Revolution unseres Rolltreppen-Verhaltenskodex bedeuten soll, hat sich die MVG aber nicht auf Facebook geäußert. Also, zumindest solange nicht, bis ihr Nutzer quasi Selbstzensur zum Selbstschutz vorwarfen. Die MVG, so die Theorie, würde mit Absicht keinen Post zur Regeländerung absetzen, um einen Shitstorm zu vermeiden – mit dem sie natürlich zu rechnen habe.

Denn natürlich ist sie da, die Wut der Münchner Rolltreppengänger. Da hatte man sich doch gerade erst seit ein paar Jahrzehntchen an die Regel gewöhnt, dann soll schon wieder alles auf den Kopf gestellt werden. 

Da hilft auch die Erklärung der MVG wenig: Weil die Rolltreppen durch die Umleitung der Passagiere in diese Richtung deutlich voller seien als sonst, entstünde auch mehr Stau. Das beidseitige Stehenbleiben sollte jetzt helfen, mehr Platz zu schaffen. In einem Londoner Pilotprojekt hatte sich schließlich auch gezeigt, dass alles schneller voran ginge, wenn die Menschen einfach auf beiden Seiten stehen bleiben würden.

Die MVG meint es sicher nur gut mit ihrem Rolltreppen-Verhaltenskodex-Kurswechsel. Aber sie scheint vergessen zu haben, dass sie in München operiert. Hier zählt das Gefühl: Wer in Bewegung ist, glaubt, etwas für sein Vorankommen zu tun. Wer danach seine Bahn verpasst, ist sich wenigstens sicher, alles versucht zu haben. Wer wie angeordnet aber auf der Rolltreppe stehen bleibt und dann nicht rechtzeitig ankommt, ärgert sich, dass er sich nicht wenigstens ein bisschen beeilt hat. Auf rationales Verhalten sollte sie gerade an einem hektischen Ort wie dem Hauptbahnhof jedenfalls nicht vertrauen. Wer gestresst ist, lässt sich ungerne durch schlaue Zahlen und grüne Häkchen auf blauen Plakaten belehren.

Bisher passiert also, was erwartbar war: Es ändert sich erstmal nix. Links steht kaum jemand und wer steht, muss trotz aller Regelkonformität mit Rüge der anderen Passanten rechnen. Dem Deutschen, und dem Münchner natürlich erst recht, ist die wichtigste seiner Regeln nicht auszutreiben. Eher würde man wohl das Oktoberfest absagen oder den Flughafen Franz Josef Strauß in Martin-Schulz-Airport umbenennen als auf diese Weise die städtische Ordnung zu gefährden. Das Rechts-Stehen-Links-Gehen ist Kulturgut wie Bratwurst und Bier, daran kann doch die MVG nicht einfach so rütteln. Wir hoffen, die Sache lässt sich ohne Revolution und Bürgerkrieg lösen.

lath

 

 

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