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„Die Polizei dachte anfangs, Dating sei eine Form von Prostitution“

Fotop: Joni Sternbach

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In ihrem Buch „Labor of Love: The Invention of Dating“ erforscht und beschreibt Moira Weigel, 31, das Werben um einen Partner vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis heute. Moira promoviert an der Yale University in Medienwissenschaften und vergleichender Literatur, lebt aber mit ihrem Ehemann in San Francisco. Per Skype haben wir mit ihr gesprochen. Über Sex im Auto, die biologische Uhr und – natürlich – Online Dating.

jetzt: Du hast 2006 für ein Jahr in Berlin gelebt. Sind dir da Dating-Unterschiede zwischen den USA und Deutschland aufgefallen?

Moira Weigel: Alles, was ich jetzt sage, ist nur Klischee, aber: Deutsche werden schneller ernsthaft in ihren Beziehungen. Es gibt weniger dieses „nett zu allen sein“. Ich muss zum Beispiel bis heute darüber lachen, dass es im Deutschen den Unterschied zwischen "Freunde" und "Bekannte" gibt. In Amerika ist jemand dein Freund, wenn du ihn ein Mal getroffen hast. Und diese Klischees von der Oberflächlichkeit in den USA und der Ernsthaftigkeit in Deutschland schlagen sich auch im Dating nieder. 

In deinem Buch geht es allerdings nur um amerikanisches Dating. Warum?

Dating ist eine amerikanische Erfindung. Das ganze Konzept ist darum auch sehr amerikanisch: "Partner shoppen", bis du den richtigen findest, und die Idee, dass es mit der perfekten Beziehung am Ende klappen wird, wenn du nur hart genug arbeitest.

Wie und wann wurde das Dating denn erfunden?

Vor dem 20. Jahrhundert gab es das gar nicht. Da wurde die Brautwerbung von den Eltern, dem Rabbi oder dem Priester kontrolliert, sie brachten Mann und Frau zusammen. Als Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts zum ersten Mal Jobs außerhalb des Hauses hatten, also ausgezogen sind und alleine in der Stadt gelebt haben, änderte sich das. Die Geschichte des Datings ist also auch die Geschichte des Feminismus. Die Verbindung ist extrem eng.

Im Job hatten die Frauen dann erstmals die Gelegenheit, selbstständig Männer kennenzulernen. Und die Männer führten die Frauen aus.

Genau. Die Polizei dachte anfangs, Dating sei eine Form von Prostitution – weil der Mann bezahlte und die Frau dafür etwas mit ihm unternommen hat. Es ist bis heute manchmal noch schwer, da die Grenze zu ziehen. Den Unterschied macht am Ende nur deine eigene Intention. Denn von außen ist es schwer zu erkennen, wo der Unterschied sein soll, wenn dich jemand zum Abendessen einlädt und ihr danach Sex habt, oder wenn er dir den Betrag gibt, den das Essen gekostet hätte, und ihr dann Sex habt.

"Die Marktlogik hat die altmodischen Moralvorstellungen ersetzt, aber sie hat ganz ähnliche Effekte."

Du verbindest die Geschichte des Datings aber nicht nur mit der des Feminismus, sondern auch mit der der amerikanischen Wirtschaft.

Ja, denn die Art von Dates, die Menschen haben, wird sehr konkret von der aktuellen wirtschaftlichen Lage bestimmt. 

Wie zum Beispiel?

Erstmal durch die Frauen als Arbeitskräfte, das war ja die Grundvoraussetzung. Dann zum Beispiel  durch die Entstehung von Kinos Anfang des 20. Jahrhunderts – dann ging man zum Date eben ins Kino. Oder durch die Arbeitszeiten: Früher hatte man um fünf Feierabend, also ging man um sieben Abendessen. Heute haben wir weniger geregelte Arbeitszeiten, also haben wir auch Dates auf Abruf: "Ah, du hast grade Zeit? Lass uns treffen!" Aber auch auf einer abstrakteren Ebene, also wie wir über Dates und Beziehungen denken und reden, hat die Wirtschaft großen Einfluss.

Inwiefern?

In den Zwanzigern, der Ära des Börsenwachstums, gab es den Ausdruck "rating and dating". Das bedeutete: Geh mit so vielen Leuten aus, wie du kannst, das erhöht deinen Kurs. In den Fünfzigern, der Ära der Vollbeschäftigung, ging es allen darum "steady" zu werden, also dauerhafte Beziehungen zu führen. Und heute haben wir dieses Freiberufler-Vorgehen: Es gibt kein Modell für Dating und Beziehung, dem alle folgen müssen, sondern jeder definiert selbst, wie es laufen soll. Du weißt nicht, was dich erwartet, und du schließt nicht mehr so schnell einen lebenslangen Vertrag. Manchmal denke ich, dass das Marktkonzept sogar die Moralvorstellungen ersetzt hat. 

Wie das?

Es gilt heute immer noch als unfein, wenn eine junge Frau mit irgendeinem beliebigen Mann Sex hat – aber nicht, weil es unmoralisch ist, sondern weil es dann heißt: "Du gibst so viel her und kriegst dafür nicht genug zurück." Als ich das Kapitel zu Teenager-Schwangerschaften recherchiert habe, habe ich auch darüber nachgedacht, dass es zum Beispiel in Yale ein Skandal wäre, wenn eine junge Studentin schwanger würde und das Kind bekäme. Nicht, weil sie Sex hatte, sondern weil es bedeuten würde, dass sie ihre Möglichkeiten wegschmeißt. Denn du musst immer den größten Wert für dich rausschlagen. Diese Marktlogik hat die altmodischen Moralvorstellungen ersetzt, aber sie hat ganz ähnliche Effekte. 

weigel buecher
Foto: oh

Was hatte neben Feminismus und Wirtschaft den größten Einfluss auf die Entwicklung des Datings?

Neue Technologie spielten zu jeder Zeit eine große Rolle. Ich habe sehr lachen müssen bei all den Büchern und Artikeln aus den Dreißigern, in denen Eltern sagen, dass das Auto das Dating total verrückt werden lässt.

 

Was hat das Auto denn verändert?

Na, wenn du ein Auto hast, kannst du damit überall hinfahren! Die Jugendlichen hatten dadurch einen privaten Raum, den sie sonst nicht hatten und mit dem sie sich sogar bewegen konnten. Die haben alles im Auto gemacht! Mein Opa hat mir von den "joyrides" erzählt: mehrere Paare zusammen im Auto und alle haben gefummelt. Lehrer haben dann die Regel aufgestellt, das die Jungs eine Zeitschrift zwischen sich und das Mädchen auf dem Schoß legen mussten…

 

Und heute dann die neuste Technologie: Dating Apps.

Die übrigens das bieten, was auch das Auto bietet: mobile Privatheit. Du kannst privat mit jemandem plaudern und dabei unterwegs sein. Früher musstest du daheim bei deinen Eltern am Telefon sitzen und auf einen Anruf warten.

 

"Tinder zum Beispiel ist ja wie ein Videospiel um Menschen, die eventuell mit dir schlafen würden."

 

Was denkst du über Onlinedating und Dating-Apps? Gut oder schlecht?

Ich weiß, dass das keine besonders befriedigende Antwort ist, aber: beides. Vieles daran ist toll. Du triffst viel mehr Menschen. Und es ist viel toleranter, vor allem für LGBT-Menschen, für Menschen mit Behinderung aber auch für eine 45-jährige, geschiedene Mutter, die jemanden kennenlernen möchte. Dating ist also viel flexibler geworden. Das hat aber auch negative Seiten, weil es Menschen verfügbarer macht und dadurch auch ersetzbarer. Manche nutzen das, um andere schlecht zu behandeln, wie zum Beispiel beim "Ghosting".

 

Und die Plattformen haben auch wieder eine wirtschaftliche Macht.

Dating-Plattformen waren schon immer dafür da, dass jemand damit Geld verdient. Ein Barbesitzer will, dass du immer wiederkommst. Der Betreiber von OkCupid will das auch. Und die Dating-Apps wollen dich süchtig machen, damit du immer weiter damit spielst. Tinder zum Beispiel ist ja wie ein Videospiel um Menschen, die eventuell mit dir schlafen würden.

 

Apropos Barbesitzer: Ich war sehr überrascht von der Info, dass die bekannte Restaurant-Kette "TGI Friday's" früher eine Bar für Dates war!

(lacht) Es ist so lustig, dass mich darauf immer alle ansprechen! TGI Friday's war in den Sechzigern eine coole Single-Bar in Uptown Manhattan. Diese Gegend nannte man das "Girl Ghetto", weil alle Frauen, die gearbeitet haben, dort lebten. Aber in die meisten Bars kamen sie nur mit Begleitung – kamen sie alleine, hielten sie alle für eine Prostituierte. Ein Unternehmer hat damals die Schwulenbars entdeckt, in die Männer gingen, die potentielle Partner kennenlernen wollten, und fand das eine brillante Idee. Er dachte: Auch Heterosexuelle würden doch noch viel mehr in Bars gehen, wenn sie dort die Möglichkeit hätten, neue Leute kennenzulernen. Also hat er TGI Friday's gegründet, eine Bar, in die jeder kommen konnte, auch Frauen. Später hat er es verkauft und dann wurde daraus diese Restaurant-Kette.

 

Ich hab dir erzählt, was mich am meisten überrascht hat. Jetzt musst du sagen, was dich während deiner Recherche am meisten überrascht hat!

Mmmh (denkt lange nach). Verschiedene Sachen. Einen Fakt erzähle ich immer gerne, um Männern Angst zu machen, aber ich bin auch selbst erschrocken: Die männliche Fruchtbarkeit nimmt mit dem Alter fast genauso stark ab wie die weibliche, und in den USA lassen sich genauso viele Männer wie Frauen wegen Fruchtbarkeits-Problemen behandeln. Alle reden immer über die weibliche "biologische Uhr" und dass Frauen alles planen müssen – und tun so, als hätten Männer für immer Zeit und könnten darum machen, was sie wollen. Das hat einen extrem großen Effekt auf unser Dating-Verhalten. Dabei ist es frei erfunden!

 

Hat das Buch auch die Art verändert, wie du selbst über Dating, Beziehungen und Liebe denkst?

Das Lustige ist: Während ich an dem Buch schrieb, habe ich meinen jetzigen Mann kennengelernt. Und ich glaube, dass ich auch eine historische Perspektive auf das Thema eingenommen habe, hat mir geholfen, weniger gestresst und ängstlich zu sein. Und das hat mir wiederum dabei geholfen, mich wirklich zu verlieben. Es gibt bei der Partnersuche so viele gesellschaftliche Vorgaben, die die Menschen, vor allem Frauen, stressen: Du bist nicht dünn genug, du bist nicht schön genug, du bist nicht cool genug, du machst dies nicht richtig, du machst das nicht richtig. Und vieles davon ist nur dafür da, dass Unternehmen Geld verdienen – aber nicht, um dich glücklich zu machen. Durch meine Arbeit habe ich es geschafft, mich davon freizumachen. Das hilft mir, eine bessere Beziehung zu führen, anstatt irgendein Spiel zu spielen, von dem ich denke, dass man es spielen muss.

 

Für vor und nach den Dates:

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