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Kein Wald in meinem Alkohol!

Illustration: Federico Delfrati

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Die Alkolumne handelt vom Trinken. Von den schönen und schlechten Seiten dieses Zeitvertreibs und den kleinen Beobachtungen und Phänomenen an der Bar. Aber egal, worum es grade geht, lieber Leser – bitte immer dran denken: Ist ungesund und kann gefährlich sein, dieser Alkohol.

Freitagabend, Großstadtbar. Mit einem dumpfen „Klonk“ stellt der Barkeeper meinen Drink auf den Tisch. Mein fassungsloser Blick erreicht ihn nicht. Er hat sich längst weggedreht. Zurück bleibe ich mit meinem Bloody Mary – und der unterarmlangen Stange Sellerie, die wie ein Fahnenmast daraus hervorragt. Im Kopf gehe ich die Möglichkeiten durch: das Teil als Salatbeilage verspeisen; die Stange tropfend auf den Tisch legen; oder die Flucht nach vorn, mich irgendwie durchs Dickicht zu meinem Drink vorkämpfen. Ich entscheide mich, zu kämpfen. Drücke die Stange mit einem Finger an meine Backe, damit sie nicht aus dem Glas kippt, setze an und hoffe auf Alkohol. Die Blätter kitzeln in der Nase. Es riecht nach scharfem Grün. Gerade so schaffe ich den ersten Schluck, ohne mir meinen Drink ins Gesicht zu schütten. Meine Begleitung E. lacht und nippt an ihrem Bier.

Eigentlich kann ich mich glücklich schätzen: Ich wohne in einem Berliner Viertel, das für seine guten Kneipen bekannt ist. In den Straßen reiht sich Cocktailbar an Cocktailbar. Vielleicht ist das das Problem: Irgendwie muss man sich von der Konkurrenz abheben. Also gibt es Drinks mit Aktivkohle, roter Beete und Thymian-Gin. Zutatenlisten werden zum Dreizeiler: „Kamille infusionierter El Dorado Rum, Wray and Nephew overproof Rum, Noilly Prat Wermut, Lavendel Sirup, Lavendel Bitters“ – „Rumpelstilzchen“ heißt diese Kreation. Soll nicht heißen, dass das nicht schmeckt. Das Problem ist: Wer so aufwändige Cocktails zaubert, will anscheinend, dass jeder im Umkreis weiß, dass hier etwas Besonderes geschaffen wird.

Ein vegetarisches Feuerwerk im Glas

Ich vermute, dass deshalb zwischen mir und meinem Alkohol immer häufiger ein kleiner Wald steht. Basilikumblätter, Thymianzweige, kunstvoll aufgespießte Ingwerwurzeln und Minzbüschel versperren den Weg zu dem, wofür ich eigentlich mein Geld auf den Tresen lege. Ein Thymianzweig macht eben jedem unmissverständlich klar, dass hier nicht einfach Alkohol mit Tonic gemischt wurde, sondern der Barkeeper auf dem nächsten Level operiert. Und damit der Gin Tonic optisch auch mit dem Beetroot-Basil-Smash mithalten kann, bekommt er einen Gurkensalat als Beilage. Gleichzeitig rechtfertigt die Deko den Preis – statt lieblos zusammengekippter Mische kann man sich ja gleich drei Bier im Späti gegenüber holen. Ein vegetarisches Feuerwerk im Glas aber scheint für manche ein Verkaufsargument zu sein.

Wenn ich den Barkeeper so einen Drink zubereiten sehe, erinnert mich das jedes Mal an die Kaufhaus-Szene aus „Tatsächlich Liebe“, in der Rowan Atkinson alias Mister Bean nicht aufhört, ein Geschenk zu verpacken. Sein armer Kunde ruft irgendwann: „Nein, nein, nein, kein verdammter Stechpalmenzweig!“ Am liebsten würde ich dasselbe rufen, sobald Alkohol und Eis ihren Weg in mein Glas gefunden haben.

Wozu das Gestrüpp?

Dabei bin ich alles andere als ein Pflanzenfeind. Vor meinem Küchenfenster gedeiht Basilikum, Salat esse ich schüsselweise. Auf zwei bis drei Minzblättern im Mojito kaue ich auch gerne rum. Aber warum für meinen Cocktail ein halber Basilikum gerodet wird, verstehe ich nicht. Wer aus Pflichtbewusstsein schon mal versucht hat, das gesamte Gemüse zu essen und dabei herzhaft in eine Ingwerscheibe gebissen hat, weiß, dass die Beilage oft noch nicht mal schmeckt. Zumindest mir nicht. Die Frage bleibt also: Wozu das Gestrüpp?

Manche würden den Barkeeper bei der Kräutergartenplünderung wohl am liebsten anfeuern. Während ich immer noch an meiner Selleriestange kaue, kehrt ein Typ vom Tresen zurück. In seiner Hand eine Kreation mit Gurkenstange und Thymianzweig. Er stellt sein Getränk auf den Tisch und strahlt. Dann zückt er sein Handy. Als er den Instagram-Filter auswählt, verstehe ich: Die Cocktailgarnitur ersetzt die Latte Art. Ein Cocktail wird, wie mittlerweile fast alle Lebensmittel in hippen Großstadtvierteln, nach dem Kriterium der Instagrammability bewertet. Schön muss er aussehen, besonders nach Feierabend. Das macht aus freizeitlichem Alkoholgenuss oberflächliches Gepose. Es ist nicht nur unpraktisch, sondern auch anstrengend.

Doch anscheinend hat der Verzierungswahn schon den gesamten Planeten erfasst. Das TimeOut-Magazine stellte gerade die „Most Instagrammable cocktails on the planet“ zusammen. Der Titel tut weh. Auf Platz eins: Der #133 Spirit Forward aus der Botanist Bar in Shanghai, garniert mit Minzzweig und Rosenblüten. Serviert wird der Cocktail in einer – Achtung, Pinterestfaktor! – nackten Glühbirne. Da kommt selbst einem Menschen wie mir, der ab und zu das Macbook im Jutebeutel trägt, die Lust, beides aus dem Fenster zu werfen.

Etwas mehr Mut zum Minimalismus, bitte!

Klar, Cocktails sind ein alltäglicher Luxus. Und irgendwie ist es auch spannend zu sehen, was man mit ihnen alles machen kann. Aber gerade am Tresen fühlt sich überzogene Oberflächlichkeit falsch an: Cocktailbars sind kleine Inseln der Glückseligkeit, an denen Filter nichts zu suchen haben. Man trinkt zur Entspannung mit Freunden, nicht zum Posen für die Follower. Und wie cool ist es schon, eine Glühbirne an die Lippen zu setzen?

Einen der besten Cocktails meines Lebens habe ich übrigens in der Apothéke in New York getrunken. Eine Cocktail Bar in Chinatown, superhip und ziemich teuer. Komplexe Zutaten, perfekte Balance, kein Stängel im Glas. Trotz allem tat der Alkohol hier, was guter Alkohol am besten kann: nach sich selbst schmecken.

Etwas mehr Mut zum Minimalismus wäre also schön. Denn die Deko und das Instagrammen halten von dem ab, wozu der Drink eigentlich gemixt wurde: zum trinken. Ohne Gemüse könnte man den Cocktail im doppelten Sinn barrierefrei genießen. Auch der junge Mann, der in der Bar neben mir zufrieden seine Hashtags setzt, legt irgendwann das Handy weg, schlägt den Thymian und die Gurkenstange in seine Cocktail-Serviette ein – und trinkt. „Cheers“, sage ich und lege endlich den Sellerie zur Seite. „Prost“, sagt E. und hebt ihr halbleeres Bier zum Himmel.

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