Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

"Wenn gar nichts passiert, trinkt man, damit etwas passiert“

Illustration: Federico Delfrati

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Die Alkolumne handelt vom Trinken. Von den schönen und schlechten Seiten dieses Zeitvertreibs und den kleinen Beobachtungen und Phänomenen an der Bar. Aber egal, worum es grade geht, lieber Leser – bitte immer dran denken: Ist ungesund und kann gefährlich sein, dieser Alkohol.

Wie oft ist dir der letzte Gin Tonic schon zum Verhängnis geworden? Vermutlich oft. Zur Abwechslung könntest du aber auch einmal darüber nachdenken, was du ihm zu verdanken hast.

Ganz ehrlich: Hast du schon mal jemanden bei einem Glas Apfelsaftschorle gedated? Ist natürlich möglich – aber halt Quatsch. Natürlich sollte man immer an die negativen Folgen von zu viel Alkohol denken. Aber zumindest auch einen kleinen Gedanken daran verschwenden, was es ohne den einen oder anderen Drink nicht gäbe. Deine derzeitige Beziehung, deinen Uni-Abschluss oder die Babyshambles zum Beispiel.

Nun, da wir deine Aufmerksamkeit haben: Was trinkst du gerade? Rotwein, während du deine Hausarbeit schreibst? Einen Whiskey Sour, weil du auf deine Verabredung wartest? Oder deinen siebten Gin Tonic, weil du gerade auf Geschäftsreise bist und noch lange durchhalten musst, bis auch deine trotteligen Kollegen endlich müde sind, weil du weißt, dass der trinkwütigste von allen bald in die Chefetage aufsteigt und du es dir mit ihm nicht verscherzen willst? Es ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen mit dem Alkohol – denn er hält die Welt zusammen.

Alkoholfrei, einsam und ohne Abschluss

Ohne unzählige Flaschen an Rotwein hätte ich mein Studium nicht geschafft. Ohne ein Glas Rotwein hätte ich mich oftmals nicht überwunden, die erste Seite einer Hausarbeit zu füllen. Freunde hätte ich im Übrigen auch nicht gefunden. Im Philosophiestudium war es Kernkompetenz, im schwarzen Rollkragenpulli vor einem Sartre-Buch zu sitzen und hochtrabend nachdenklich an einem Glas Merlot zu nippen. Und nein, das wäre ohne das Merlot-Accessoire nicht gegangen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich ohne dieses eine Glas Wein zu viel nämlich nicht zwei meiner besten Freundinnen angesprochen hätte, mit denen ich maßgebliche Teile meines Studiums überstanden habe. Durch nächtliche, von Rotwein durchtränkte Sartre-„Lesekreise“ zum Beispiel. Selbst unsere Katze hieß Sartre, denn sie mochte es, an den leer getrunkenen Weingläsern zu lecken. Wir vermissen Sartre bis heute kläglich. Alles wäre anders gewesen ohne ihn. 

Beziehungen hätte ich auch nicht geführt, denn man lernte sich beim sogenannten Umtrunk kennen. Auf Erstsemester-Partys, an irgendeiner Bar oder im Club. Und selbst, wenn man auf all dies verzichtet und sich stattdessen beim Mittagessen in der Mensa kennengelernt hätte – was, um alles in der Welt, hätten wir beim ersten Treffen gemacht? Ganz bestimmt nicht geküsst, weil man verdammt nochmal zu schüchtern ist, das nüchtern zu tun. Vorausgesetzt, man ist eine Mutgranate und hat auch das ohne Prozente hinter sich gebracht, ist man zumindest nach dem ersten Streit so weit, dass man in der Bar eben keine Guavenschorle bestellt, sondern ein Herrengedeck. Von einer Trennung möchte man erst gar nicht sprechen. Beziehungen führen oder ein Studium machen: alkoholfrei nicht möglich.

Kunst und Kamikaze

Musik auch nicht, weder aktiv noch passiv – zumindest, wenn es nicht gerade um Beethoven geht. Wobei man sich auch dazu ein Weißweinschörlchen vorstellen kann. Aber denkt euch doch mal in eine Musikwelt ohne Whisky, Wein und Vodka! Da wären nicht nur Künstler wie Pete Doherty oder Amy Winehouse unvorstellbar, auch das Hören der Musik wäre mit einer Tasse Rotbuschtee schlichtweg anders als mit einem Glas Rotwein. Und dass Lieder wie „Whiskey in the Jar“ ohne den Whiskey schlichtweg inhaltslos wären, brauchen wir nicht zu sagen. Von Amys „Rehab“, Elliott Smiths „Between the Bars“ oder dem „Alabama Song“ von den Doors ganz zu schweigen. Und, wo wir schon in der Kunstwelt sind: Hast du mal versucht, dir einen Western ohne Whisky vorzustellen? Einen Piraten-Film ohne Rum? Unmöglich. Und zu Pulp Fiction hat man jetzt auch kein kleines Wasser getrunken. Serien wie Mad Men und Californication wären in Stil und Inhalt quasi nicht existent und Autoren wie Charles Bukowski hätten niemals über Spezi geschrieben.

Von Vodka und Völkerverständigung

Kommen wir zum Politischen. Weißt du, was die so genannte „Whisky-Wodka-Linie“ ist? Das ist die Linie, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die US-amerikanischen und die sowjetischen Besatzungsgebiete markierte. Bei dem Wanfrieder Abkommen wurde nach Vertragsbeschluss jeweils eine Flasche Whisky und eine Flasche Wodka getrunken, als Symbol einer gelungenen Völkerverständigung. Auf dem Weg zur Bundesrepublik scheint es jedenfalls geholfen zu haben. Und ganz ehrlich, wenn David Hasselhoff in der Silvesternacht 1989 am Pariser Platz mit seiner blinkenden Lederjacke „Looking for Freedom“ singt, reicht eine Mate eben auch nicht mehr.

Wo Alkohol fließt, entstehen Probleme. Aber wo Probleme entstehen, fließt Alkohol. So oder so ähnlich hat sich das auch während der Prohibitionszeit in Roaring Twenties zugetragen. Viel getrunken wurde da in den Südstaaten, also hat man es verboten. Wenn man Dinge verbietet, resultiert daraus für gewöhnlich vor allem, dass sie dennoch geschehen – heimlich eben. Erst die Prohibition hat dazu geführt, dass Schwarzbrennerei so richtig floriert hat, dass ein funktionierendes Netz an Schmugglerwegen ausgebildet und der Wilde Westen mit Whiskey versorgt werden konnte. Danke, liebe Prohibition, für diesen Schluck Geschichte – und all die Whiskeyvielfalt, die wir heute haben.

Der Mensch lebt und trinkt, so lange es ihn gibt – und darum gibt es auch so viel anderes. Nämlich einen enormen Teil deines Lebens, wie es bisher verlaufen ist – ob du nun selbst trinkst oder nicht.  Wie man es auch dreht und wendet, es scheint überall Alkohol im Spiel zu sein. Und wer könnte dieses Phänomen besser durschaut haben als ein gewisser Charles Bukowski?

 

„Das ist das Problem am Trinken, dachte ich mir, während ich mir einen Drink einschüttete. Wenn etwas schlechtes passiert, trinkt man um zu vergessen; wenn etwas gutes passiert, trinkt man um zu feiern; und wenn gar nichts passiert, trinkt man, damit etwas passiert.“

Durst bekommen? 

  • teilen
  • schließen