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Sind Weihnachtsfilme eine schöne Tradition oder nerviger Kitsch?

Illustration: Daniela Rudolf

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Die (Vor-)Weihnachtszeit ist voll von kleinen Ritualen und großen Traditionen. An ihnen scheiden sich jährlich die Geister: Die einen hassen den Trubel rund um das Fest, die anderen genießen nichts mehr. Folge neun der großen Streitfragen rund um Weihnachten: zum hundertsten Mal „Kevin allein zu Haus“ anschauen oder bitte, bitte nicht?

Tami fühlt sich mit Weihnachtsfilmen sehr geborgen:

Wenn ich an Weihnachten denke, denke ich ans Warten. Am 24., wenn mein Bruder und ich als Kinder schon als nervliche Wracks aufwachten und die Zeit zum Abend einfach nicht zu vergehen schien, hatte meine Mama früher oder später genug von unserem ständigen „Wie laaaaangeee noch?“. Sie setzte uns vor den Fernseher und schaltete „Wir warten aufs Christkind“ an, das Weihnachts-Kinderprogramm des WDR. 

Da lief dann „Kevin allein zu Haus“, „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ oder irgendein anderer Klassiker aus der Weihnachtsfilmkiste. „Sissi“, „Der kleine Lord“, „Weihnachten bei den Hoppenstedts“ und so weiter. Wir fanden, dass dieses Fernsehen fast so cool war wie das Auspacken der Geschenke. 

Seitdem gehören diese Filme für mich zu Weihnachten wie das Mousse au Chocolat meiner Mama, das es nur einmal im Jahr, am 24. Dezember, gibt. 

Und genau wie beim Schokoladenmousse gehört es zum Besonderen dieser Filme, dass sie fest mit Weihnachten verknüpft sind. Denn, ganz ehrlich: Wie Franz und Sissi einander sehnsuchtsvoll entgegenrennen und in die Arme fallen und er sie dramatisch durch die Luft wirbelt – das kann ich mir zu keiner anderen Jahreszeit anschauen. Genauso wenig, wie ich Kevin normalerweise dabei zusehen kann, wie er die Einbrecher mit Fallen durch sein Haus lockt und die, auch nachdem ihnen der Kopf flambiert wurde und ihnen Nägel in die Füße gerammt wurden, immer noch nicht aufgeben wollen.

Das Pathos! Die Musik! Die flachen Witze! An Weihnachten geht das. Denn da bin ich emotional so aufgeweicht und durch Rotwein und Kerzenlicht berauscht, dass ich das lustig oder sogar süß finde. Und das ist doch super: Mal die ganze Coolness, die ganze Ironie fallen lassen und sich dem Kitsch hingeben. Macht man ja sonst nie.

Gleichzeitig geben mir diese alten Filme ein Gefühl von Geborgenheit und Heimeligkeit. Klar, ich kenne sie ja auch nur aus der Weihnachtszeit, aus diesem besonderen, abgekapselten Raum voller Gemütlichkeit und Familie.

Auch deshalb kann ich es jedes Jahr kaum erwarten, dass die Weihnachtsklassiker im Fernsehen rauf und runter laufen. Und das ist noch ein Grund dafür, warum ich klassische Weihnachtsfilme gern habe: Sie sind beständig. Denn auch wenn sich jedes Jahr unzählige Dinge zum Guten oder zum Schlechten verändern – die Weihnachtsfilmauswahl über die Feiertage ist auf tröstliche Weise eintönig. Und ein bisschen Gewohntes und ja, vielleicht Langweiliges ist zum Jahresende oft genau das, was ich brauche. 

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Eva findet, dass Weihnachtsfilme als Tranquilizer funktionieren – aber es tut weh, sie anzuschauen: 

In meiner Kindheit habe ich wenig ferngesehen. Darum war Weihnachten nicht nur geschenketechnisch ein Highlight: Kurz vor der Bescherung herrschte auch erziehungstechnisch der Ausnahmezustand und wir durften so lange vor der Glotze sitzen, bis es endlich losging. Während die Erwachsenen noch last minute irgendwo einkaufen gegangen sind, zogen wir uns einen Weihnachtsfilm nach dem nächsten rein. Von „Väterchen Frost“ bis zum „Grinch" – ich würde behaupten, ich habe sie alle gesehen. Und genau deshalb muss ich sie auch nicht mehr sehen. Denn an Weihnachten gibt es eine Million schönere Dinge, die man machen kann, statt sich von dem immer gleichen Gedudel einlullen zu lassen. 

 

Warum sollte man an den drei Tagen im Jahr, an denen mal alle zusammenkommen, schweigend oder meinetwegen auch kuschelnd vor der Glotze kleben? Familien, in denen das zur Weihnachtstradition gehört, unterstelle ich: Das Gesülze ist der perfekte Tranquilizer, um Kinder ruhig zu stellen und Familienstreit vorzubeugen. Wer nicht spricht, muss sich auch nicht auseinandersetzen. Aber mal ganz ehrlich, ist es das wert? 

 

Denn die Filme sind ja nicht mal gut. Das Genre „Weihnachtsfilm“ umfasst einfach alles, was irgendwie Weihnachten im Namen hat („I’ll be home for Christmas“, „Nightmare before Christmas“ und, und, und…) oder eine rotweiße Mütze trägt. Dabei sind die Filme in den meisten Fällen künstlerisch wie schauspielerisch eine krasse Zumutung. Noch dazu wissen wir, wie sie ausgehen. Denn sie reproduzieren das immer gleiche Erfolgsrezept, das ja auch sonst in Hollywood ganz gut funktioniert: Happy Ends, vorhersehbare Liebesgeschichten und kleinere Überraschungen. Niemals würden wir für so einen Film ins Kino gehen. Warum sollte also unser Geschmack, über den wir uns sonst im Alltag so profilieren, an den Weihnachtsfeiertagen plötzlich aussetzen?  

 

Klicke ich mich durch die „Weihnachtsfavoriten“ auf Netflix, flimmern mir die Augen schon vor lauter Lametta und Glitzerschnee. Der Großteil der Titel und Cover wäre beliebig austauschbar: Überraschte Weihnachtsmänner, die sich an den Kopf fassen, oder Familien, bei denen es nach „Chaos“ aussieht. Die Szenen, bei denen Menschen Treppen oder Schornsteine runterpurzeln, den Weihnachtsbaum umschmeißen oder der Braten verbrennt. Ich muss diese Filme nicht erst sehen, um mich schon jetzt zu Tode zu langweilen.    

 

Und überhaupt, Stichwort Netflix: Als ich klein war, musste man vielleicht wirklich abwarten, bis im ARD endlich „Väterchen Frost“ lief. Der Zauber des „Das gibt’s nur einmal im Jahr“ ist aber in Zeiten des Streamings längst verpufft. Klar schaut man sich Filme mit Schnee nicht unbedingt im Sommer an, aber vor und nach Weihnachten gibt es ja noch andere kalte Tage, an denen man das tun könnte. Dann ist man neben der körperlichen Zumutung durch Essen und Trinken während der Feiertage nicht auch noch geistig gelähmt durch sechs Stunden Bingewatching.  

 

So sehr ich die Nostalgie um die flimmernden Retro-Streifen à la „Der Zauberer von Oz“ verstehen kann – heute sehe ich sie pragmatischer. Ich erkenne, warum meine klugen Eltern uns damals vor den Fernseher gesetzt haben und dass es dabei nicht in erster Linie um ein Familienritual oder die besinnlichen Filme ging, sondern darum, dass die Erwachsenen kurz ihre Ruhe haben. Heute bin ich selbst erwachsen und erfreue mich an den Dingen, bei denen ich als Kind nie verstanden habe, wie man sie vier Stunden Fernsehen vorziehen könnte: Wein trinken, Musik hören und sich unterhalten. 

 

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