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So kannst du dich gegen sexuelle Belästigung wehren

Illustration: Daniela Rudolf

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Als Reaktion auf die Vergewaltigungsvorwürfe gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein ist in den vergangenen Tagen eine gesellschaftliche Debatte um sexuelle Belästigung entbrannt. Im Netz zeigen Frauen und Männer unter #metoo, dass auch sie Opfer von Missbrauch oder Belästigung geworden sind.

Doch was kann man eigentlich konkret tun, wenn man belästigt wird? Das haben wir Jelena Stanilov gefragt. Sie arbeitet als Beraterin beim Frauennotruf München und gibt Schulungen zu sexueller Belästigung am Arbeits- und Ausbildungsplatz. 

jetzt: Jelena, wo beginnt sexuelle Belästigung?

Jelena Stanilov: Da gibt es quasi eine Skala von null bis zehn: Die geht von Bemerkungen und komischen Witzen über das Herzeigen anzüglicher Bilder, bis zum Anfassen oder schließlich der Gewaltanwendung. Entscheidend ist immer der Punkt, an dem man merkt, dass man das eigentlich nicht möchte, die andere Person aber dennoch weitermacht. Denn wenn beide damit einverstanden sind, dann handelt es sich um einen Flirt. Diese Einordnung hängt aber natürlich immer vom Kontext, der Beziehung und dem persönlichen Empfinden ab.

Angenommen, ich sitze mit männlichen Kommilitonen in der Mensa. Einer aus der Gruppe macht immer wieder sexistische Bemerkungen, die anderen reagieren mit Schweigen. Wie soll ich mich verhalten, wenn ich mich dadurch belästigt fühle?

Erst einmal solltest du dir überlegen: Meint er das wirklich bösartig? Vielleicht findest du in seiner Bemerkung auch ein gesellschaftliches Thema oder Klischee, das du mit ihm diskutieren kannst. Falls du es als nicht per se bösartig empfindest, kannst du sagen: „Blöder Witz, das ist ja Quatsch“, und so eine Diskussion beginnen. Andernfalls kannst du aber ganz klar sagen: „Ich will nicht, dass du solche Witze machst.“ Wenn du dich dazu nicht in der Lage fühlst, vielleicht weil du selbst schon negative Erfahrungen gemacht hast, kannst du auch einfach den Platz verlassen und gehen. 

Ein anderes Gedankenspiel: Ein Kollege sucht am Arbeitsplatz immer wieder meine Nähe. Er stellt sich beispielsweise nah hinter mich, um mich zu berühren, wenn ich Tassen in den Schrank einräume.

Auch hier ist die Reaktion wieder persönlich bedingt. Die Frage lautet: Zu was bin ich in diesem Moment fähig? Wenn du es kannst, solltest du ihn direkt darauf ansprechen und das auch ganz konkret benennen: „Du hast mich gerade sexuell belästigt!“ Wenn du dich das nicht persönlich traust, kannst du ihm eine Nachricht schreiben. 

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Jelena Stanilov arbeitet beim Frauennotruf München und hilft Betroffenen dabei, Strategien gegen sexuelle Belästigung zu erarbeiten.

Foto: Privat

Ich muss eine Belästigung also nicht unbedingt sofort ansprechen?

Nein. Viele Betroffene sagen, dass sie in dem Moment viel zu überrumpelt waren, um den Anderen damit direkt zu konfrontieren. Sie brauchen einfach Zeit, um sich selbst zu sortieren. Ich sage immer, dass man ja auch nichts beweisen muss, man ist ja nicht schuld. Darum kann man auch im Nachhinein noch sehr gut reagieren, auf die Person zugehen und sagen: „Das, was du gestern gemacht hast, war nicht in Ordnung, ich möchte nicht, dass das wieder passiert!“  

Was kann ich machen, wenn es trotzdem wieder passiert?

Falls die Belästigungen trotz Konfrontation weiter anhalten, solltest du dich an Vorgesetzte oder Betriebsräte wenden oder auch an Beratungsstellen wie unsere. Der Vorgesetzte ist dann nämlich zuständig, dich als betroffene Person zu schützen, das ist rechtlich so geregelt.  

Was ist, wenn ich mich dafür schäme oder Angst habe, dass mir keiner glaubt?

Das ist in der Realität leider häufig der Fall, deshalb dauert es meist auch recht lange, bis eine Belästigung gemeldet wird. Hier kann ein Gespräch in einer Beratungsstelle vorab gut helfen. Dort kann man klären und erarbeiten, was man selbst möchte und wie man sich schützen kann. Wenn es zum Beispiel sehr massive Belästigungen sind und das eigene Gefühl sagt, dass man einfach nicht mehr zur Arbeit kann, kann man sich krankmelden. Auch aus rechtlicher Sicht gibt es Möglichkeiten, in solchen Fällen der Arbeit fernzubleiben – dafür sollte man aber Juristen um Rat fragen. Konkret kann es auch helfen, wenn man jemanden zu dem Gespräch mit den Vorgesetzten oder dem Betriebsrat mitnimmt oder das Erlebte dort einfach schriftlich meldet. 

Besonders schwierig sind Situationen, die sich durch ein Machtgefälle auszeichnen – wie auch der aktuelle Fall um Harvey Weinstein. Was soll ich tun, wenn ich von jemandem belästigt werde, der über meine Zukunft entscheiden kann, zum Beispiel von meinem Professor oder Chef?

Bei sexueller Belästigung oder Gewalt geht es nie um reine Sexualität, sondern immer um Macht. Nicht selten geht das wirklich von einem Vorgesetzten aus. Dann solltest du dir die Frage stellen: „Was möchte ich und welche Konsequenzen bin ich bereit zu tragen?“ Manchmal heißt das auch wirklich, den Job aufzugeben oder den lang ersehnten Studienplatz zu wechseln, sodass es um Existenzfragen geht. In solchen Fällen sollte man sich immer psychologische Beratung suchen, dann entstehen für einen selbst neue Zukunftsperspektiven. So was muss man wirklich nicht allein entscheiden.

 

Was sind  meine rechtlichen Möglichkeiten? 

Der erste Schritt ist immer, es sich selbst einzugestehen und es „öffentlich“ zu machen – also mit Vorgesetzten, dem Betriebsrat oder Beratungsstellen darüber zu sprechen. Natürlich ist auch eine Anzeige eine Möglichkeit. Da empfehle ich aber ebenfalls, sich bei einer Beratungsstelle oder bei Juristen Hilfe zu holen, damit man am Ende nicht noch unnötige Konsequenzen tragen muss. Denn so eine Anzeige kann Kosten und psychischen Stress verursachen. Beratungsstellen wie wir arbeiten oft mit Anwältinnen zusammen, mit denen individuelle Strategien entwickelt werden. Wir kennen auch Fälle, in denen der Täter oder die Täterin am Ende das Feld räumen musste.

 

Was soll ich tun, wenn mir eine Freundin, Kommilitonin oder Arbeitskollegin von sexueller Belästigung berichtet?

Das ist häufig sogar der noch schwierigere Part: Man weiß genau, man muss unterstützen, aber die andere Person ist noch nicht so weit, professionelle Hilfe anzunehmen oder Vorgesetzte zu informieren. Die oberste Regel lautet deshalb: Sei für die Betroffene oder den Betroffenen da. Gerade am Anfang ist es wichtig, erst einmal geduldig zuzuhören und die eigene Unterstützung anzubieten. Kein Vorpreschen, kein Über-den-Kopf-hinweg-Entscheiden, keine Unternehmungen auf eigene Faust – das alles könnte schädlich sein.

 

Was soll ich tun, wenn ich merke, dass das bloße Zuhören und Trösten nicht ausreicht?

Vor allem bei subtilen sexuellen Belästigungen werden die Betroffenen oft zunehmend depressiv und bleiben häufig von der Arbeit fern. Wenn man solche negativen Veränderungen bemerkt, dann kann man schon auch mal sagen: „Hör zu, ich stehe dir gerne bei, aber es nützt nichts, wenn ich dir zwei Jahre lang nur zuhöre und wir nichts dagegen unternehmen.“ Es ist wichtig, den klaren eigenen Standpunkt mitzuteilen. Es kann auch helfen, wenn man spiegelt, was man bei dem anderen wahrnimmt: „Ich sehe, dass es dir nicht gut geht, deshalb holen wir uns jetzt Hilfe!“ 

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