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„Ein überlegtes Aufgeben ist meistens befreiend“

Illustration: Katharina Biztl; Foto: simonthon/photocase.de

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"Du schaffst das!", "glaub ganz fest an dich!", "Halte durch!", "No pain, no gain!" -  Kalendersprüche, Eltern und Hobbypsychologen haben bei Frust und Überanstrengung in Job und Uni eigentlich immer nur einen Rat: weitermachen!

Aber wie steht es eigentlich mit einem überlegten Aufgeben? Kann das nicht manchmal die bessere Alternative sein? Darüber haben wir uns mit der Karriereberaterin Madeleine Leitner unterhalten, die auch als SZ-Jobcoach die Job-Fragen der Leser beantwortet.

jetzt: Frau Leitner, das Aufgeben ist in unserer Gesellschaft eher verpönt. Zu Unrecht?

Madeleine Leitner: Das hängt ganz vom Fall ab und ist auch eine Generationenfrage: Früher war der Imperativ zum Durchhalten noch größer, eingebläut in einer strengen Erziehung, die Pflichtbewusstsein und Durchhalten als Tugenden und das Aufgeben als Schwäche und Versagen vermittelt hat. Heute wünsche ich mir von manchen jungen Leuten eher mehr Durchhaltevermögen. Eine gesunde Frustrationstoleranz ist etwas, was man als kleines Kind lernt. Wohlmeinende Eltern verkennen das heute gerne.

Was machen diese jungen Leute falsch?

Viele gehen mit unrealistischen Vorstellungen in die Welt. Neulich hatte ich ein Vorgespräch mit einem jungen Klienten, der sich beklagte, dass er nicht wirklich jeden Tag voller Begeisterung und topmotiviert in seinen Job geht. Das kann man aber meiner Meinung nach selbst vom besten Job der Welt nicht erwarten. Ein anderer Fall sind Hochbegabte, denen in ihrem bisherigen Leben alles in den Schoß gefallen ist. Wenn sie nach der Schule ein anspruchsvolles Studium oder einen fordernden Beruf wählen, sind sie plötzlich mit einem Leistungsniveau konfrontiert, das sie so bisher nicht kannten. Und dann geraten sie oft in Selbstzweifel und Depressionen, anstatt zu verstehen, dass es eben nun auch für sie wirklich herausfordernd wird. 

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Karriereberaterin Madeleine Leitner

Foto: privat

Haben Sie auch da ein Beispiel?

Ich hatte einmal eine junge Ärztin als Klientin, die regelmäßig an der Befundung von Kernspintomografien scheiterte. Sie zweifelte an ihrem Beruf und war kurz davor hinzuschmeißen. Wir konnten die Zusammenarbeit beenden, nachdem sie verstanden hatte, dass Kernspintomografien eben eine hochkomplexe Sache sind, die erst mit wachsender Erfahrung leichter fällt.

 

Aber es gibt doch auch Fälle, in denen man  tatsächlich aufgeben sollten, oder?

Ein definitiv ernstzunehmender Hinweis sind schwere gesundheitliche Probleme. Falls die Ursache in Beruf oder Studium liegt, sollte man auf jeden Fall handeln und seinen eisernen Willen hintenanstellen. Ein anderer Fall ist lang andauerndes Mobbing: Da man da im Beruf auf juristischer Seite leider wenig Chancen hat, sollte man lieber kündigen, als die Situation stoisch ertragen zu wollen, wenn man eh keinen Blumentopf gewinnen kann.

 

Woran kann ich als Student noch erkennen, dass ich aufgeben sollte?

Im Studium wird es kritisch, wenn man es zum Beispiel im ersten Semester nur mit Ach und Krach ins nächste schafft, obwohl man sich anstrengt. Anstatt sich über lange Zeit zu quälen und am Ende doch durchzufallen, sollte man das Feld dann oft lieber gleich räumen. Das ist traditionell ein großes Problem bei Jurastudenten. In anderen Studiengängen wird zu Beginn radikal ausgesiebt, damit die Nervenschwachen oder fachlich Schwachen gleich aufgeben. Das ist hart, aber immer noch besser, als Jahre zu verschwenden.

 

"Oft liegt es gar nicht an der mangelnden Motivation, sondern daran, dass man die eigenen Fähigkeiten völlig falsch einschätzt."

 

Und wenn man sich in den folgenden Semestern so richtig reinkniet?

Oft liegt es gar nicht an der mangelnden Motivation, sondern daran, dass man die eigenen Fähigkeiten völlig falsch einschätzt. Ich hatte zum Beispiel mal einen sehr ehrgeizigen jungen Klienten: Er war verzweifelt, ging sogar in Therapie, weil er sich in seiner Tätigkeit wie ein Komplettversager vorkam. Wir fanden heraus, was sein Problem war: Er hatte ein exzellentes visuelles Vorstellungsvermögen, das ihm bei vielen Dingen half. In seinem Job bei einem Verischerungsunternehmen hatte er es aber mit abstrakten Zahlen zu tun, die er sich eben nicht vorstellen konnte. So befand er sich nachvollziehbar ständig auf dem Glatteis - und hat sich das wegen seiner Durchhalte-Mentalität nicht eingestehen wollen.

 

Neigen die Menschen in unserer Leistungsgesellschaft also eher dazu, zu lange an aussichtslosen Plänen festzuhalten?

Das ist natürlich individuell unterschiedlich. Aber gerade ehrgeizige und leistungsorientierte Menschen, die ja gewissermaßen das gesellschaftliche Ideal repräsentieren, stellen nach einer Beratung oft fest, dass sie eher zu lange an Dingen festgehalten haben. Manche Menschen, die Herausforderungen lieben, lassen sich nicht abschrecken, halten bis zum Umfallen durch und verheben sich fast.

 

Wenn Sie in Ihrer Funktion als Jobcoach Menschen raten: "Lassen Sie das bleiben, das wird nichts!" Wie reagieren die dann?

Oft mit Erstaunen, weil ihnen diese Perspektive meist vollständig gefehlt hat.

 

Ist das Aufgeben dann immer eine frustrierende Erfahrung? Oder kann es auch befreiend sein?

Ein überlegtes Aufgeben ist meistens tatsächlich befreiend! Und zwar, weil ihm bestenfalls auch immer die Einsicht innewohnt, dass es nicht an mangelnden Fähigkeiten oder besagtem Einsatzwillen gemangelt hat. Sondern dass man tatsächlich einen Punkt erreicht hat, an dem ein bloßes Weitermachen sinnlos wäre. Insofern kann das Aufgeben eine sehr kluge Sache sein.

 

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