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Eine Bar, designt für das perfekte Instagram-Foto

Foto: Columbia Room

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Wenn man im hintersten Raum des „Columbia Room“ an der Bar sitzt, schaut man auf ein riesiges Wand-Mosaik. Eineinhalb Meter hoch und siebeneinhalb Meter lang. In der Mitte ist ein Baum zu sehen, an dem Schilder wehen. "Ginger" (Ingwer) steht darauf, oder "Wormwood" (Wermut), oder "Angelica" (Englwurz). Der Baum wächst aus einem Wappen, das von geflügelten Löwen gehalten wird, links und rechts davon: Figuren, Tiere, Landschaft. Es gibt also viel zu gucken. Und viel zu fotografieren. 

Genau das wollte Brian Miller erreichen. Brian ist 39 und Innenarchitekt in Washington D.C.. Er hat den Columbia Room geplant und eine Frage war dabei besonders wichtig: Wie muss der Raum gestaltet sein, damit die Gäste sich darin wohlfühlen – aber gleichzeitig auch schöne Fotos machen können, die sie anschließend auf Instagram posten? 

Brians Büro in der Blagden Alley – einer der wenigen historischen Gassen, die es in Washington noch gibt – befindet sich ein Stockwerk über dem Columbia Room und in der Nachbarschaft einiger anderer Läden, die er geplant hat. Drumherum erstreckt sich Shaw, eines dieser typischen amerikanischen Innenstadtviertel, die jahrelang verfielen, jetzt aber wie verrückt gentrifiziert werden. 

Brian filtert im loftartigen Büro Kaffee in eine Glaskaraffe, und das allein würde ziemlich gut auf einem Foto aussehen. Er selbst wirkt aber eher bodenständig und zurückgenommen als durchdesignt: gemütliche Statur, Brille, blonder Bart, grün-weiß-kariertes Kurzarmhemd. Er faltet die Hände auf dem Bauch und benennt erstmal eine wichtige Tatsache: "Die Menschen machen Fotos, ob du’s willst oder nicht. Also denkst du beim Planen besser darüber nach, was du dafür tun kannst, dass diese Fotos gut werden."

Instagram ist perfekt für Werbung – dort postet niemand etwas Negatives

Diese Überlegung in die Planung mit einzubeziehen, werde unter Innenarchitekten und Designern immer gängiger, sagt Brian. Manche Kunden fragten mittlerweile sogar direkt nach "Instagram-Momenten" für ihren Laden. Also nach einem Design, das online verbreitet wird und so als Werbung fungiert. Instagram ist dafür die perfekte Plattform: Dort postet niemand miese Bilder und beklagt sich, wie schlecht die Spaghetti oder wie schwach die Drinks waren. Sondern alle bemühen sich darum, zu zeigen, wie toll alles war, wie al dente oder gut gemixt.

Der "Tasting Room" des Columbia Room (in dem man für 75 Dollar ein festes "Menü" aus bis zu fünf Drinks serviert bekommt) ist ein Beispiel dafür, wie Foto-optimierte Innenarchitektur funktioniert. Der Raum ist lang und schmal, er besteht (abgesehen von wenigen in Wandnischen versteckten Tischen) nur aus dem Tresen für die Gäste, dem Bereich für die Barkeeper dahinter und der Wand mit dem großen Mosaik hinter den Barkeepern. Das Mosaik hat viele Details, denn Details funktionieren auf Instagram sehr viel besser als großflächige Strukturen. Da es außerdem die gesamte Rückwand bedeckt, ist es auf jedem Bild zu sehen, das die Gäste vom Tresen aus machen, und es hat einen sehr viel größeren Wiedererkennungswert als das Bar-typische Flaschenregal – das war auch der Wunsch des Besitzers, sagt Brian. "Gerade machen hier in Washington so viele neue Bars und Restaurants auf wie nie zuvor. Es ist also gut, wenn dein Laden den Leuten im Hinterkopf bleibt, indem er immer wieder in ihrem Feed auftaucht.

Einer der schwierigsten Punkte war das richtige Licht. "Wenn du eine Bar oder ein Restaurant so ausleuchtest, dass es sich gut anfühlt, drin zu sein, heißt das noch nicht, dass dieses Licht auch in einem Foto gut aussieht", sagt Brian. Kerzen zum Beispiel seien zwar schön, um drumherum zu sitzen, aber für ein Foto nicht gerade ideal. Brians Lösung sind Spots über dem Tresen: "Die sind sehr konzentriert, sodass wir schwere Schatten vermeiden und die Bar unabhängig vom Raum beleuchtet wird", sagt er. Man selbst sitzt also in schwachem Licht, aber das Glas vor einem wird angestrahlt. Weil das Holz des Tresens sehr dunkel ist, legen die Barkeeper für einen besseren Kontrast zusätzlich einen hellen Untersetzer unter jedes Glas.

Natürlich ist es nichts Neues, dass Bar- und Restaurantbesitzer sich wünschen, dass es in ihren Räumen schön aussieht. Aber jetzt fangen sie und ihre Designer eben an, auch darüber nachzudenken, welche Lichtverhältnisse eine Handykamera braucht, wo Fotos von ihren Drinks oder Gerichten später landen oder welche Details besonders fotogen sind.

Eine Bar in San Francisco baut zum Beispiel auf besonders ausgefallene Getränkekarten, ein Burger-Laden in New York auf Milchshakes, die so üppig und bunt sind, als hätte eine Sechsjährige sie erfunden. In einem Taco-Laden, ebenfalls in New York, wird das Essen mit Hinblick auf Handy-Fotos angerichtet – und der Besitzer sagt, dass er über Yelp und Instagram jetzt schon 70 Prozent seiner Kundschaft gewinnt. Erst vor Kurzem gab es sogar eine ganz konkrete, extra für Instagram designte Kampagne: Eine amerikanische Fast-Food-Kette hat auf dem diesjährigen Coachella-Festival quadratische Milkshakes verteilt. Und zwar nur an diejenigen, die die Werbung dafür in ihrem Instagram-Feed entdeckt und auf "Shop now" geklickt haben. Der Milkshake war dann umsonst, wenn man ihn dafür fotografiert und gepostet hat.

Sind unsere Köpfe und Augen nur noch Kameras und Linsen? Verlieren wir die Fähigkeit, „im Hier und Jetzt“ zu leben?

Man kann das schrecklich finden. Manche finden das auch schrecklich. Es gibt Blogger, die klagen, dass der Foto-Hype für Qualitätsverluste bei Gerichten oder Getränken sorgt. In Berlin wurde vor drei Jahren ein Restaurant-Besitzer dadurch berühmt, dass er seine Gäste bat, das Essen nicht zu instagrammen (und das Schild, auf dem die Bitte stand, auch nicht). Es gibt auch immer wieder Köche, die verbieten wollen, dass man ihr Essen fotografiert (was sie immer dann dürfen, wenn sie "Künstler" sind und darum das Urheberrecht am Essen haben – ohne, das genau feststeht, ab wann ein Gericht ein "Kunstwerk" ist). Und es gibt natürlich auch schon die, die sich über all das lustig machen. Wie in der Mockumentary von "Millenials of New York" über ein Restaurant, in dem das Essen besser aussieht als es schmeckt – und darum auch gar nicht gegessen, sondern nur fotografiert werden soll.

Aber ist das alles wirklich so schlimm? Sind unsere Köpfe und Augen nur noch Kameras und Linsen? Zeigt sich an dem Trend, Räume mit "Instagram-Momenten" zu gestalten, dass die Kulturpessimisten doch Recht haben, und wir alle die Fähigkeit verlieren, "im Hier und Jetzt" zu leben (und weiß eigentlich irgendjemand, ob wir diese Fähigkeit überhaupt brauchen)? Dass wir alles nur noch als Post und potentiellen Like betrachten und die Welt um uns herum darum in Fragmente zerfällt, die wir nacheinander abfotografieren? 

Brian Miller glaubt tatsächlich, dass manche Menschen mittlerweile Schwierigkeiten haben, einen Raum als Ganzes zu sehen, und gedanklich alles wie durch eine Kamera betrachten, mit einem Rahmen drumrum. Andererseits, sagt er, würden durch das viele Fotografieren Design-Details heute viel mehr geschätzt: "Vor zehn Jahren konntest du eine schöne Tapete aussuchen und ab und zu hat mal jemand gesagt, dass er sie mag. Heute passiert das ständig und die Leute gehen extra auf die Toilette, wenn es da eine schöne Tapete anzuschauen gibt!" Das "Nicht im Hier und Jetzt"-Problem sieht er nicht. Er betont mehrmals, dass er keine Räume nur für Fotos designt – sondern solche, in denen man sich gerne aufhält, die sich aber eben auch gut in Fotos übersetzen lassen, die man online mit seinen Freunden teilt.

Der Columbia Room taucht schon recht häufig auf Instagram auf. Die Bar hat Anfang des Jahres aufgemacht und unter den Hashtags #columbiaroom und #columbiaroomdc findet man bis jetzt fast 700 Beiträge (einige davon allerdings noch aus der vorigen Location ein paar Blocks entfernt). Das Konzept funktioniert also. Momentan.

Denn die Technologie und die Foto-Trends werden sich weiter entwickeln und in zehn Jahren werden Kameras vielleicht anders funktionieren oder die Fotos in einem ganz anderen Netzwerk auftauchen. Darum war es Brian auch wichtig, den Raum so zu planen, dass er "gut altert". Also fürs Visuelle zu gestalten, aber nicht zu spezifisch für den aktuellen Stand der Technik oder ein bestimmtes Netzwerk. "Den Columbia Room soll es im besten Falle ja 15, 20 Jahre lang geben – da wollte ich natürlich keinen Raum designen, der in ein paar Jahren das Äquivalent ist zu 'Wir sehen uns dann auf Myspace!'" 

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