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Geld verdienen, um Geld zu geben

Foto: onemorenametoremember / photocase.de, Illustration: Lucia Götz

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Eigentlich müssten Julia Wise und Jeff Kaufmann umziehen. Es wird langsam ganz schön eng in ihrem Haus in Boston, sie haben jetzt zwei Töchter, die brauchen Platz. Mit einem gemeinsamen Jahreseinkommen von 325.000 Dollar könnten sie sich das locker leisten. Und doch entscheiden sie sich, zu bleiben.

Julia und Jeff, Amerikaner, beide Anfang 30, wollen den Großteil ihres gemeinsamen Einkommens nicht für sich behalten. Stattdessen spenden sie die Hälfte. Bis zum Ende des Jahres werden sie mehr als 150.000 Dollar weggegeben haben.

Sie sind Teil einer Bewegung, die sich effektive Altruisten nennt. Sie hat vor allem in den USA Anhänger und breitet sich nun auch in europäischen Ländern aus. Effektive Altruisten wollen ihre Mittel und Möglichkeiten so einsetzen, dass sie damit so viel Gutes wie möglich auf der Welt tun. Ihr beliebtestes Mittel dazu: möglichst viel verdienen, um möglichst viel spenden zu können.

Für die meisten Menschen ist ihr Gehalt etwas sehr Selbstbezogenes: Man braucht Kohle, um sich Miete, Essen, Trinken und ein bisschen Spaß leisten zu können. Je mehr man verdient, desto größer wird vielleicht die Wohnung, desto teurer die Drinks und Restaurants, desto ausgefallener der Spaß. Effektive Altruisten ticken da anders: Sie wollen mehr Gehalt, um mehr helfen zu können.

Weggeben von Geld ist effektiver, als selbst zu helfen

Schon als Jugendliche hat Julia sich Gedanken gemacht über die Unverhältnismäßigkeit zwischen dem, was sie besaß, und dem, was andere hatten, erzählt Julia. Nach ihrem Soziologie-Studium wollte sie als Entwicklungshelferin ins Ausland gehen. Sie lernte jedoch, als sie sich mit dem Thema beschäftigte, dass es vielleicht bessere, effektivere Möglichkeiten gab, weltweite Armut und Ungerechtigkeit zu bekämpfen.

Man könnte selbst ins Ausland gehen und helfen. Man kann aber auch das relativ hohe Einkommen, das man in den USA oder Europa erwirtschaften kann, nutzen, um Organisationen durch Spenden zu ermöglichen, mehrere lokale Mitarbeiter einzustellen. Weggeben von Geld ist effektiver, als selbst zu helfen, schreibt der einflussreiche Philosoph Peter Singer, einer der Begründer des Effektiven Altruismus'.

 

Die Motivation der Bewegung basiert auf der Erkenntnis, dass Spenden für bestimmte Ziele oder an bestimmte Organisationen einen größeren Effekt haben, als andere. Effektive Altruisten spenden nicht auf der Basis von Emotionen, sondern auf der Grundlage von Analysen, Berechnungen und Vergleichen. Studien zeigten beispielsweise, dass in bestimmten Ländern Entwurmung und andere Gesundheitsprogramme erfolgreicher sind, um die Anwesenheit in der Schule zu vergrößern, als Aufklärung und direkte Gespräche mit Schülern.

 

Dieser Wunsch, möglichst viel tun zu wollen, trieb auch Julia an. Sie beschloss, ihre eigenen Ausgaben zurückzuschrauben, um mehr weggeben zu können. Beim Einkaufen fragte sie sich, ob sie das Eis wohl verdiente – oder ob sie damit nicht eigentlich noch mehr Gutes tun konnte. Sie ging so weit, keine Kinder bekommen zu wollen, weil sie dies als unverantwortlich ansah. Zu viel Zeit, Aufmerksamkeit und Geld würden dadurch verloren gehen.

 

Als sie während ihres Master-Studiums Jeff kennenlernte, setzten sie sich gemeinsam zum Ziel, so viel wie möglich ihres Einkommens zu spenden. Im ersten Jahr, 2008, etwa 10.000 Dollar, gut ein Viertel ihres Jahreseinkommens. Damals hatten sie nicht eingerechnet, auch noch Steuern zahlen zu müssen. „Ein Anfänger-Fehler“, erzählt Julia, die heute für das Zentrum für Effektiven Altruismus in Oxford arbeitet.

 

Inzwischen stellen sie immer zum Ende des Jahres eine Haushaltsplanung für das folgende Jahr auf. Das grobe Muster: 50 Prozent werden gespendet, 23 Prozent für Steuern eingeplant, 21 Prozent gespart, 6 Prozent ausgegeben. Im vergangenen Jahr gaben sie 160.635 Dollar weg. Bei einem gemeinsamen Jahreseinkommen von rund 325.500 Dollar entspricht dies 49 Prozent. In den Jahren davor waren es 53,6 Prozent und 50,2 Prozent. Durch das relativ hohe Einkommen von Jeff, der als Software-Entwickler unter anderem für Google arbeitete, bleibt trotzdem noch genug zum Leben.

 

Wofür sie spenden, machen sie weniger vom Ziel der Organisation abhängig, als von deren Effizienz

 

Das Geld geht hauptsächlich an die Against Malaria Foundation, Oxfam und GiveWell, eine Organisation, die Spendengelder an Partner-Organisationen weitergibt, die sie als besonders effizient beurteilt und für die sich Julia engagiert. Auch die Against Malaria Foundation gilt unter Effektiven Altruisten als besonders beliebt, weil durch ihren Einsatz – das Verteilen von Moskitonetzen – sehr viele Leben gerettet werden können. Ein Moskitonetz kostet rund 2,50 Dollar. GiveWell hat berechnet, dass das Leben eines unter fünf Jahre alten Kindes für 3.000 Dollar gerettet werden kann.

 

„Möglichst viel Gutes“ wird von Anhängern der Bewegung unterschiedlich definiert. Für Julia und Jeff bedeutet es, so viel Leid auf der Welt wie möglich zu beseitigen und so viele Leben wie möglich zu retten. Wofür sie spenden, machen sie weniger vom Ziel der Organisation abhängig, als von deren Effizienz. Das Geld soll dort eingesetzt werden, wo es nachweisbar am meisten bewirkt.

 

Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass mit diesem Ansatz nur bestimmte Ziele und Organisationen berücksichtigt werden können – vor allem jene im Gesundheitswesen zum Beispiel. Bei diesen Projekten sind genug Daten verfügbar, ihr Erfolg lässt sich einfacher messen.

 

Anders als viele Philanthropen, die sich für ein bestimmtes Ziel engagieren, basieren effektive Altruisten ihre Entscheidung auf Zahlen, Fakten und Beweise. Gutes besser tun.

 

Manche machen dies zu ihrem obersten Karriere- und Gehaltsziel. Schuften vor allem, um zu spenden. Der Unternehmer John Greenbaum begann seine Karriere 1980 mit dem Ziel, später große Beträge spenden zu können. Er brachte es zum Chef eines amerikanischen Telekommunikationskonzerns und geht heute davon aus, bis zu seinem Lebensende mehr als 100 Millionen Dollar weggeben zu können.

 

Student Jason Trigg wurde berühmt, weil er nach seinem Elitestudium als Software-Entwickler wohl fast überall eine Stelle gefunden hätte. Er entschied sich bewusst für einen Job an der Wall Street, wo er einen sechsstelligen Betrag verdiente. Obwohl ihm diese Welt fremd war. So konnte er besonders viel spenden, erklärte er der Washington Post.

 

Julias Mann Jeff, ebenfalls Programmierer, arbeitete zuletzt für ein Start-up in der IT-Branche, wechselte vor kurzem aber die Firma. Ein entscheidender Grund: Jetzt verdient er mehr.

 

Trotz des überdurchschnittlichen Einkommens hat die Familie noch nie ein Auto besessen. Sie macht weniger Urlaub als andere. Früher, während des Studiums, wären die beiden vielleicht mehr gereist, wenn sie damals nicht schon gespendet hätten. „Unsere Zufriedenheit ist dadurch aber nicht geringer“, sagt Julia. Natürlich habe sie materielle Bedürfnisse wie andere. Sie mag Eis, kocht und näht gerne.

Inzwischen habe sie gelernt, dass es wichtig ist, sich diese Dinge auch zu gönnen. „Es geht nicht darum, etwas zu opfern und dadurch verbittert zu werden“, erklärt sie. Motivierte und überzeugte Menschen könnten einfacher und besser Gutes tun. Auch ein Leben ohne Kinder hätte sie unglücklich gemacht. Heute haben sie zwei Töchter, ein und drei Jahre alt.

 

Große Teile ihres Einkommens weg zu geben an sich mache sie nicht glücklich – sie sieht das als moralische Verpflichtung. Zufriedenheit erfahre sie durch das Erfüllen dieser Verpflichtung. Durch das Gefühl, das Richtige zu tun.

 

„Sich an die üblichen Regeln zu halten wie nicht zu stehlen, nicht zu töteten und anderen keinen Schmerz zuzufügen, ist nicht genug“, schreibt Philosoph Singer. Zumindest nicht für diejenigen, die in materiellem Wohlstand leben. „Ein vollständig ethisches Leben zu führen, bedeutet für sie, so viel Gutes wie möglich zu tun.“

 

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